Ich will alles. Hildegard Knef – Kritik
Der Knef beim Denken und unaufgeregten, klugen Sprechen zuschauen: Schon dafür lohnt sich Luzia Schmids Doku Ich will alles. Hildegard Knef, die, auch wenn zuweilen irritierend, die nonchalante Künstlerin faszinierend porträtiert.

Ihr Bronzestern auf Berlins „Boulevard der Stars“ ist ziemlich zerkratzt, der nach ihr benannte Platz am Bahnhof Südkreuz eher zugig als mondän. Doch Hildegard Knefs Geist irrlichtert immer noch durch die Stadt. Seit ihrem Tod 2002 kamen alle paar Jahre neue Dokumentarfilme über die eigenwillige Berliner Schauspielerin heraus, dazu ein Musical und ein nicht sehr gelungenes Bio-Pic mit Heike Makatsch in der Titelrolle. Auch in der Victoria Bar werden ihre Lieder immer noch gespielt. Dort trinkt man dazu das Hilde-Gedeck: Champagner und Korn.
Mit Ich will alles. Hildegard Knef versucht nun auch die Schweizer Regisseurin Luzia Schmid eine Annäherung an das Phantom. Dazu lässt sie die Knef erstmal selbst zu Wort kommen. Der Dokumentarfilm beginnt mit einem Auftritt aus den sechziger Jahren, als sie als gefeierte Chansonsängerin die Konzertsäle füllte. Im glitzernden Abendkleid singt sie: „Mit 16 sagte ich still, ich will / Ich will mich nicht fügen / Kann mich nicht begnügen / Will alles oder nichts…“ – der Anfang ihres wohl bekanntesten Songs Für mich soll’s rote Rosen regnen. Ein Lied im trügerischen Walzertakt, das vor Selbstermächtigung und Selbstverherrlichung strotzt.
„Ich habe oft Filme mit großen Regisseuren gemacht, denen man schlechte Filme gar nicht zugetraut hätte. Aber dann machten sie den schlechten mit mir.“

Später sehen wir die Knef bei Proben, wie sie Tontechniker und Kapellmeister charmant herumkommandiert, immer eine Zigarette im Mund. Oder beim Fernsehinterview, wo sie offen über die eigenen Misserfolge spricht. Sie hätte oft „Filme mit großen Regisseuren gemacht, denen man schlechte Filme gar nicht zugetraut hätte. Aber dann machten sie den schlechten mit mir“, sagt sie mit einem entwaffnenden Lächeln. Solche Perlen findet die Filmemacherin reichlich im Archivmaterial. Denn Hildegard Knef hat in einer Zeit, als das noch nicht üblich war, sehr viel von sich preisgegeben, in Interviews, Songtexten und Büchern. Ihre 1970 veröffentlichte Autobiografie Der geschenkte Gaul, in der sie unverblümt über Krieg, Karriere und Krisen schreibt, führte monatelang die Spiegel-Bestseller-Liste an und wurde in 17 Sprachen übersetzt. Bis heute gilt das Buch als international erfolgreichstes Werk eines deutschen Autors seit 1945.
Auch daraus zitiert die Regisseurin viel. Ansonsten hangelt sich der Film lose an biografischen Daten und Karrierestationen entlang. Erst Trümmer-Berlin, 1946. Da wird die 19-jährige von Wolfgang Staudte für die Hauptrolle in Die Mörder sind unter uns entdeckt. Und damit über Nacht zum ersten Filmstar der Nachkriegsgeschichte. Dann Hollywood-Glamour. David O. Selznick holt sie nach Amerika, pimpt ihren Look und lässt sie Englisch büffeln, doch Rollen bekommt sie nicht. Also zurück nach Deutschland, wo sie 1950 in Willi Forsts Melodram Die Sünderin spielt. Der Film wird ein Skandalerfolg, nicht nur, weil die Knef darin kurz nackt zu sehen ist. Der Kölner Erzbischof ruft zum Kino-Boykott auf, weil Tabus wie Prostitution und Suizid thematisiert werden. Es gibt gewalttätige Proteste, Stinkbombenattentate, Flugblätter mit Texten wie „Die Sünderin – Hurerei und Selbstmord! Sollen das die Ideale eines Volkes sein?“ Sechs Jahre nach Kriegsende sehen die Deutschen die schlimmsten moralischen Verfehlungen offenbar nicht mehr in Auschwitz, sondern im zeitgenössischen Kino.
Plüschbären vom Bürgermeister. Störsenderperspektiven

Mit solchen Gedanken hält sich der Film allerdings nicht weiter auf. In Interviewschnipseln sagt die Knef, sie sei damals sehr naiv gewesen, von KZs habe sie erst nach dem Krieg erfahren. Dann sind wir schon wieder in New York, wo wir sie bei Proben mit Cole Porter sehen. Mit dem Musical Silk Stockings, einer Bühnenadaption von Ernst Lubitschs Ninotschka, erobert sie den Broadway. Zurück in Berlin drückt ihr der Bürgermeister einen riesigen Plüschbär in den Arm. Sie findet einen neuen Mann, David Cameron, und schlägt mit ihm eine Karriere als Sängerin ein. Sie wird Mutter, wir sehen Bilder der glücklichen Familie im Urlaub und zuhause auf der Couch.
Dass der Schein trügt und es im Familienleben knirscht, hören wir dann nicht von der Knef selbst, sondern von ihrer Tochter Christina, einer kühlen Mitfünfzigerin mit amerikanischem Akzent. Später kommt dann auch noch Paul von Schell, Knefs Ehemann Nummer 3, zu Wort. Solche Perspektivwechsel sind interessant, irgendwie aber auch irritierend. Die Interviewten, über die man sonst nichts erfährt, wirken wie Störsender. Irgendwann traute die Filmemacherin wohl dem subjektiven Blick ihrer Protagonistin nicht mehr. Merkwürdig ist auch, dass die Doku 1987 endet, obwohl die Knef ja erst 15 Jahre später starb. Und bis dahin auch noch einige wohl dokumentierte Kapriolen schlug. Sie trat mit der Rockband „Extrabreit“ auf spielte mit Roy Black und Uschi Glas in der TV-Serie Schloss am Wörthersee, produzierte mit Till Brönner eine LP, die 1999 den German Jazz Award gewann. Aber vielleicht sind das auch zu kleine Fische für eine Künstlerin, die einst mit Leuten wie Ava Gardner und Gregory Peck spielte.
Am faszinierendsten ist der Film immer dann, wenn es nicht um Promis geht, sondern wir der Knef beim Denken und Reden zuschauen können. Wie unaufgeregt und klug sie spricht, wie lässig sie sich inszeniert, wie emanzipiert sie wirkt. In einer Szene sehen wir sie kurz nach einer Schönheits-OP. Dass sich die Knef Anfang der 80er das Gesicht liften lässt, versetzt ganz Deutschland in Schnappatmung. Ein geifernder Reporter will wissen, warum sie das macht und ob es wehgetan hat. Wie sie ihm da mit geschwollenem Gesicht ganz nonchalant antwortet, die Öffentlichkeit käme leider nur sehr schwer mit der Tatsache zurecht, dass Frauen altern: Allein dafür lohnt sich die Zeit im Kino.
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