Moi, un noir – Kritik
Mit großer Zwanglosigkeit improvisiert, markiert der Vorläufer des Cinéma vérité einen echten Bruch in der französischen Kinolandschaft.

„Man entscheidet sich gründlich entweder für die Kunst oder für den Zufall. Und warum? Weil man, indem man aus innerstem Herzen das eine wählt, automatisch auf das jeweils andere zurückfällt. Kann sich die Kunst mit dem Zufall begnügen? Ja, zeigt uns Jean Rouch.“ Godards Begeisterung für Jean Rouchs Moi, un noir wird nicht nur in seiner überschwänglichen Kritik deutlich, sondern auch im Einfluss, den dieser Film auf sein Regiedebüt Außer Atem (À bout de souffle, 1960) wenige Monate später haben sollte. Wenn André Bazin der große Theoretiker des Realismus gewesen ist, dann war Jean Rouch dessen großer Praktiker; die beiden waren Vordenker und Wegbereiter der Nouvelle Vague.
Für den Ethnologen Jean Rouch, der jahrzehntelang in Schwarzafrika gelebt und geforscht hat, ist das Kino Mittel zum Zweck. Er erhebt den Anspruch, die koloniale Distanz aufzuheben und teilnehmender Beobachter zu sein; seine Filmbilder gleichen zufälligen Fundsachen, deren Suche man auch dem fertigen Film noch ansieht. Moi, un noir entstand zu einem Zeitpunkt, als sich die Zukunft des postkolonialen Afrikas ankündigte und die Landflucht und die gefährliche Wucherung von Slumvierteln gerade erst begannen.

Drei junge Schwarze verlassen ihr Dorf in Nigeria, um Arbeit in Abidjan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste, zu finden. Die Kamera folgt ihnen beim Herumstreunen durch Treichville, einem in wenigen Monaten aus dem Boden gestampften Armenviertel der Stadt, das die Bewohner spöttisch das „Chicago Afrikas“ nennen. Die Spitznamen, die sich die drei Protagonisten selbst geben, sind ein Programm für sich. Edward G. Robinson, Eddie Constantine und Tarzan: Diese jungen Afrikaner, ganz frisch der nigerianischen Provinz entstiegen, entdecken die weiße Gesellschaft über die Mythen amerikanischer und französischer Polizeifilme. Die Geschichte bleibt eine bewusst zwiespältige Mischung aus Fiktion und Dokument, in der sich Schauspieler und Figuren überlagern. Rouchs Geniestreich ist es, seinen Hauptdarsteller Oumarou Ganda einen Off-Kommentar zu den stummen Bildern improvisieren zu lassen, in dem er sich selbst reflektiert und aus dem Film einen Spiegel seiner Vorstellungswelten macht. Gandas nonchalanter Sprechfluss inspirierte Godard für seinen Protagonisten Michel Poiccard bei der Postsynchronisation von Außer Atem.
Neue Kritiken

Mein 20. Jahrhundert

Caught Stealing

Wenn der Herbst naht

In die Sonne schauen
Bilder zu „Moi, un noir“


zur Galerie (2 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Samuel Döring
In dieser Kritik finden sich leider sehr viele unreflektierte rassistische Klischées sowie rassistische Sprache. Angefangen mit dem Titel. Warum sollte "noir" mit dem N-Wort übersetzt werden? Selbst wenn der "offizielle" Verleihtitel so lauten sollte, ist hier doch wohl Spielraum für eine redaktionelle kritische Neuübersetzung, etwa hin zu "Ich, ein Schwarzer". Auch die unkritische Übernahme der von Rouch aufgemachten Dichotomotie zwischen "nigerianischer Wildnis" und "weißer Zivilisation" ist höhst problematisch und reproduziert koloniales und rassistisches Denken.
Till
Danke für den berechtigten Hinweis. Wir haben den deutschen Titel mit dem Originaltitel ausgetauscht und das Wildnis/Zivilisation-Begriffspaar rausgenommen.
Peter Parlust
"Auch die unkritische Übernahme der von Rouch aufgemachten Dichotomotie zwischen "nigerianischer Wildnis" und "weißer Zivilisation" ist höhst problematisch und reproduziert koloniales und rassistisches Denken. "
Ach , liebes Critic.de... mit diesem Buckeln habt Ihr mich als Leser verloren. Das ist hochnotpeinlich.
Demnächst werden dann wohl mal wieder Bücher und auch Filme verbrannt ?
Frédéric
@Peter Parlust
Rassistische Sprache und koloniale Klischees (auch ungewollt) zu perpetuieren ist nicht unser Ansatz. Wenn Sie das vor den Kopf stößt, sei's drum.
4 Kommentare