House of Gucci – Kritik

Lady Gaga als I-Tüpfelchen auf einem lustvollen Trip durch eine wahre Familiengeschichte. Der operettenhafte Overload von House of Gucci sollte Ridley Scott endgültig den längst verdienten Ruf des vulgären Künstlers einbringen.

Recht früh im Film wird Rodolfo Gucci (Jeremy Irons) seinem Neffen Paolo (Jared Leto) ein Taschentuch zeigen, auf dem ein von Rodolfo designtes Muster prangt. Der Jüngere solle sich daran ein Beispiel nehmen und seine stillosen und talentfreien Kleidungsentwürfe am besten wegsperren. Es ist einer der spärlichen Momente, in denen Mode und Stil tatsächlich diskutiert werden – und einer der noch selteneren Momente, in denen die Familienmitglieder eines der größten Modehäuser der Welt im weitesten Sinne aktiv am kreativen Prozess ihrer Produkte beteiligt zu sein scheinen. Denn die Mitte der 1990er Jahre gekappte Verbindung zwischen dem Modeimperium und der Familie Gucci existiert in House of Gucci nie wirklich. Paolo wird auf das Taschentuch pissen – und damit hat es sich auch.

An der Mode des Hauses Gucci zeigt der Film also lediglich Interesse, wenn er damit etwas über die Familie erzählen kann. Dann landen Schuhe und Taschen mit dem Logo vor der Kamera, um über sie zu streiten oder sie als Waffen einzusetzen, nicht aber, um sich damit auseinanderzusetzen, was sie ausmacht. Das weltweite Geschäft und die Modeproduktion spielen ebenso Nebenrollen, die höchstens der Charakterisierung von Familienmitgliedern dienen oder zur Untermauerung von Bruchstellen in der Familiengeschichte. Einen Eindruck über die modische Entwicklung der ein Vierteljahrhundert umspannenden Handlung gibt lediglich die einmalige Änderung der Frisur Maurizio Guccis (Adam Driver) sowie eine wilde, sich unkommentiert abspielende Modenschau von dessen Frau Patrizia (Lady Gaga), deren Frisuren und Kleider sich im Minutentakt zu ändern scheinen.

Statt eines Modefilms eben ein Familienepos. Und in dem wird enterbt, um Macht gekämpft, werden Komplotte geschmiedet, Ehen gebrochen und Charaktere verdorben, wird ins Gefängnis und Exil gegangen. Die Lady Macbeth Patrizia möchte sich an die Spitze des Hauses Gucci bringen, indem sie ihren Mann dorthin presst. Im Machtkampf mit Paolos Vater Aldo (Al Pacino) bricht die Familie schließlich entzwei. So sehr, dass sich auch Maurizio bald von Patrizia scheiden lässt und sie aus dem Zentrum von Glanz und Macht aussperrt. So sehr, dass das Unternehmen aus den Händen der Guccis gleitet.

Ridley Scott verwirklicht mit House of Gucci seine Version eines Mafiafilms fern von gewalttätiger Kriminalität. Parallelen zu Der Pate (1972) sind offensichtlich. Maurizios Entwicklung folgt der Michael Corleones, wenn er sich zu Beginn von seiner Familie abwendet und sein Glück fern von ihr findet, nur um dann zum kältesten ihrer Vertreter zu werden. Oder wenn ein Auftragsmord mit der Reinwaschung des Auftraggebers parallelmontiert wird – hier in der Badewanne und nicht am Taufbecken.

Mehr noch ist House of Gucci aber eine Seifenoper, die der realen Geschichte der Guccis weitestgehend folgt, ohne sie allzu sehr hochzujazzen. Das Prassen, Hintergehen, die Eitelkeiten und das kontinuierliche Besprechen der eigenen Strategien mit einer Wahrsagerin (Salma Hayek) bieten auch so genug Stoff, um alle geschmacklichen Grenzen abzuwerfen und sich einem operettenhaften Overload hinzugeben. Scott, der bei Filmen wie Hannibal (2001) oder 1492: Conquest of Paradise (1992) erst wirklich zu sich kommt, wenn er den inneren Gorebauern von der Leine lassen kann, der bei Filmen wie The Counselor (2013) wirklich keine Scham kennt, der aus unerfindlichen Gründen immer noch nicht den Ruf des vulgären Künstlers hat, nach dem sein Werk schreit, lässt es sich nicht nehmen, dem Geschmackunsicheren völlig freien Lauf zu lassen.

Das Color Grading – mal so sehr ins Sepia gehend, dass der strahlend blaue Himmel kränklich aussieht, mal so farblos, dass das trotzdem noch leuchtende Rot in den sonnendurchtränkten Weingläsern Rettung durch Sinnesbetäubung verspricht – kommuniziert die Leere im Hause Gucci, in dem Mode und Influencertum nur Behauptung sind. Und es ist eine sensationell garstige Entscheidung. Denn diese grässlichen Farben in den klaren, kalten Bildern machen das Porträt eines der stilprägenden Modehäuser sagenhaft hässlich. Zu einer der unablässig spielenden Opernarien gibt es etwas, das wohl nur als animalische Bumsszene zu beschreiben ist, während zu George Michaels „Faith“, einem der ebenso unablässig spielenden Popsongs, im großen Stil geheiratet wird. Während Paolos schlechter Geschmack ein Running Gag des Films ist, nutzt House of Gucci etwas Vergleichbares für seinen ausgelassenen Genuss von billigen Thrills.

Am meisten ist es aber der groß aufspielende Cast, der mit jedem Fünkchen von Erhabenheit im Hause Gucci aufräumt. Adam Drivers Grinsen, das immer wieder Macht über sein Gesicht zu gewinnen scheint, raubt seiner Figur jede Souveränität. Selbst an der Spitze der Macht wirkt er wie ein kleiner Junge, der völlig fehl am Platz ist. Jeremy Irons’ expressive Zurückhaltung macht ihn zwar zu einer der wenigen stilvollen Figuren des Films, rückt ihn in seiner Weltvergessenheit aber in Richtung einer Norma Desmond aus Sunset Boulevard (1950). Al Pacino spielt seinen Aldo wie einen Hausierer, der seinen Kunden unablässig Honig ums Maul streicht und sich selbstbesoffen überschätzt. Und Jared Leto beweist, dass er, wenn er es unkontrolliert tun kann, den Aberwitz seines überzogenen Method Actings auch auf die Leinwand zu transportieren weiß.

Sie alle werden aber von Lady Gaga in den Schatten gestellt. Ihr prolliger Emporkömmling ist dezent genug, um nicht zur Witzfigur zu werden, aber so wuchtig, dass sie den Film trotzdem an sich reißt. Hüftschwung und Dekolleté, von der Kamera lechzend gesucht, nutzt sie als Waffen. In ihren Blicken steht ihre Impertinenz, die die Dialoge im Vergleich dazu umständlich ausarbeiten. Am deutlichsten steckt ihre Figur jedoch in ihren Fingern. Nicht wenn sie wie zu Beginn oft umschmeicheln, sondern wenn sie später ihre Wortgefechte zu Schwertkämpfen machen. Ihr Zeigefinger, kurz und fleischig, potent und doch unzureichend, deutet auf die Gegenüber, als gelte es, sie zu durchbohren. Während die Handkanten und Handflächen wie Schilde alles, auch die Selbsterkenntnis, von ihr abblocken wollen. Lady Gaga ist das I-Tüpfelchen auf diesem lustvollen Trip von Selbstüberschätzung und Leere.

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