Him - Der Größte aller Zeiten – Kritik
American-Football-Spieler als moderne Gladiatoren, Sport als Opium für die Massen: Justin Tippings Him – Der Größte aller Zeiten ist kein subtiler Film. Aber ist das so schlimm?

Der Sportfilm tendiert im Gegensatz zu anderen Filmgenres nicht zur Hybridisierung. Während man heutzutage im Kino ansonsten kaum noch klassischen Genrefilmen begegnet – Horrorfilme sind auch Thriller- und Mysteryfilm, Superheldenfilme sind Actionkomödien und Biopics sind Liebesdramen – bleibt der Sportfilm in sich geschlossen. Natürlich existieren Ausnahmen wie The Wrestler, Jerry Maguire oder Raging Bull, alles Filme die man durchaus als Sportdramen fassen könnte. Doch Sportfilme, bei denen die Sportart und nicht das Individuum im Mittelpunkt steht wie Chariots of Fire, Jericho Mile oder The Replacements verweigern sich meistens einer Genredurchmischung – es gibt kaum Sportwestern oder Sport-Science-Fiction-Filme (eine Ausnahme: Space Jam). Dabei scheint gerade der Horrorfilm in der Spielart des Body-Horror wie dafür gemacht, eine produktive Verbindung mit dem Sportfilm einzugehen. Hochleistungssport lässt sich schließlich nicht nur als eine unter andauernden Qualen ermöglichte Optimierung des eigenen Körpers begreifen, sondern bedeutet in letzter Konsequenz und mit den darauf und daraus folgenden körperlichen Schäden eine Art der Selbstverstümmelung.
Eine zweite Chance

Der kapitalistische Zynismus verleitet einen dazu, aus dem Prefix „Selbst-“ eine Eigenverantwortung abzuleiten, also den Sportlern Schuld an ihrer eigenen Misere zu geben. „Sie suchen sich diesen Weg doch selbst aus!“ heißt es in der Rhetorik des Neoliberalismus, denn „niemand zwingt die Leute dazu, Profisportler zu werden!“. Oder, noch zynischer: „Die SportlerInnen werden für die Qualen ausreichend belohnt!“. Auf perfide Weise wird so das Problem zwar anerkannt, aber gleich wieder relativiert im Sinne des kapitalistischen Irrglaubens, dass alles seinen Preis habe und dadurch legitimierbar sei. Um zu verstehen, dass die Wahl, eine Karriere als SportlerIn zu bestreiten, nicht nur mit intrinsischer Motivation zu tun hat, sondern auch strukturell bedingt ist, muss man seinen Blick nur auf die USA richten. Für viele Jugendliche aus sozial schwächeren Klassen ist Sport die einzige Möglichkeit, an eine Elite-Universität zu gelangen und damit gesellschaftlich aufzusteigen.
Him – Der Größte aller Zeiten, der neueste Film von Jordan Peeles Produktionsfirma Monkey Paw, weiß um diese Strukturen und er weiß auch, dass in den USA vornehmlich die schwarze Bevölkerung unter ihnen zu leiden hat. Der Film spielt in der Welt des American Football und erzählt die Geschichte des Nachwuchstalents Cam Cade (Ryriq Withers), dem eine vielversprechende Karriere als Quarterback in der NFL bevorsteht. Seine Träume platzen jedoch, als ihn jemand in einem Ziegenkostüm beim nächtlichen Training überfällt und er ein Schädeltrauma davonträgt, welches ihn am Spielen hindert. Cam erhält eine zweite Chance, als Isaiah von den San Antonio Saviours, Cams großes Vorbild und der beste Quarterback aller Zeiten, ihm anbietet, für eine Woche in dessen Luxusbunker mitten in der Wüste zu trainieren. Sollte sich Cam als würdig erweisen, dürfe er die Nachfolge Isaiahs antreten.
Ist Plumpheit schon ein Argument?

Him ist kein subtiler Film. Der Prophetenname Isaiah und Ziegenkostüme als Anspielung auf den Ausdruck G.O.A.T. (Greatest Of All Time) unterstreichen die religiöse Dimension des Films. Sport ist hier kapitalistischer Leistungsdruck, religiöser Fanatismus, toxische Männlichkeit und struktureller Rassismus in einem. Alle Themen werden zusammengeworfen. Isaiah hat eine radikale Gefolgschaft, die für den Quarterback alles tun würde – Sport als Opium für die Massen. Marlon Wayans spielt Isaiah wie einen durchgedrehten Tech-Bro, der sich in seinem Bunker verbarrikadiert hat, kalenderspruchartige Lebensweisheiten über Selbstverantwortung und Autonomie herausposaunt und einer angeblich fehlenden Männlichkeit in der Gesellschaft nachtrauert.
Him ist bewusst übertrieben – Kritiker wie David Ehrlich von IndieWire gehen hart mit dem Film ins Gericht und beschuldigen ihn der Plumpheit. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Viele Szenen wirken beinahe lachhaft bedrohlich und überstilisiert. Die Ästhetik erinnert an Hip-Hop-Videos von Kanye West, die gleichzeitig Eleganz und Coolness vermitteln wollen. Jede Einstellung könnte auch als Plakat im Zimmer eines Teenagers hängen. Die Frage, die man sich stellen sollte, lautet allerdings: Ist Plumpheit schon ein Argument gegen den Film?
Fortgesetzte Versklavung

Am interessantesten ist HIM, wenn der Film, wie schon Peeles Get Out den strukturellen Rassismus der USA offenlegt – einen Rassismus, der nicht an einzelnen Personen festzumachen, sondern in gesellschaftlichen Strukturen verankert ist. Beide Filme thematisieren die systematische Ausbeutung schwarzer Körper durch weiße Profiteure: Während in Get Out Ausbeutung die Form einer Gehirntransplantation nimmt, fokussiert HIM – nicht besonders subtil – die für alle sichtbare Ausbeutung im American Football: Die beiden Quarterbacks treten wie moderne Gladiatoren gegeneinander an. Wie die Mandingokämpfer in Django Unchained müssen sie für das Entertainment und den Profit einer weißen Elite kämpfen – der Sport wird zum Medium einer fortgesetzten Versklavung unter kapitalistischen Vorzeichen.
Das spektakelhafte Finale, das an die Halbzeitshows des Super-Bowls erinnert, kulminiert schließlich in einer Wendung, die die Tradition des Blaxploitation-Films der 1970er aufgreift: Der schwarze Protagonist vollzieht seine Rache an den weißen Ausbeutern. Diese Genrereferenz ist kein Zufall – wie in den Blaxploitation-Filmen wird die Ermächtigung des schwarzen Subjekts inszeniert; die Rachefantasie transzendiert bloß symbolische Gesten und etabliert eine metaphorische Alternative gegen ein rassistisches System.
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