Highest 2 Lowest – Kritik

Neu auf Apple TV+: Ein eindrucksvoller Thriller ist Spike Lees Highest 2 Lowest schon auch. Aber noch besser funktioniert das Kurosawa-Remake als Film über einen Mann, der es nur in wohlbekannten Mustern zu leben versteht.

David King (Denzel Washington), Hauptfigur von Spike Lees Highest 2 Lowest, ist ein Record Label Executive. Sein Gespür für neue Künstler hatte sein Label Stackin' Hits Records in den 2000ern zum bahnbrechenden Akteur im Musikgeschäft gemacht. Seine Ohren seien die besten im Business, seine Künstler haben 50 Emmys gewonnen. In seinem Büro hängen aber nur Bilder von Aretha Franklin, Stevie Wonder und Jimi Hendrix. Wenn er nachts durch die Straßen fährt, um einen Kidnapper zu konfrontieren, dann läuft James Brown (The Payback und The Boss) im Auto. Immer wieder stehen die Insignien kanonisierter afroamerikanischer Kultur vor der Kamera. Nur dürften die Cover der Alben Illmatic von Nas und Return of the Boom Bap von KRS-One die jüngsten darunter sein. Zwei Alben, die auch schon über 30 Jahre auf dem Buckel haben. Die jüngeren Zeiten hingegen, zu denen King auf seinem Zenit gestanden haben soll, spielen schlicht keine Rolle.

ASAP als Plot Device

Gerade läuft es nicht gut für King. Seinem Label droht die Übernahme. Während er sich ihr erwehrt, wird sein Sohn Tre (Aubrey Joseph) entführt. Beziehungsweise der Sohn seines Chauffeurs und Vertrauten Paul (Jeffrey Wright), den die Kidnapper für Tre hielten. Die Verwechselung ändert kaum etwas an der Zwickmühle, in der Davis nun steckt: Soll er die just zusammengekratzten Millionen für die Rettung seines Lebenswerks oder seines Patensohns verwenden? Der Labelchef mit den phänomenalen Ohren kommt dem Täter schließlich über dessen Musik auf die Spur. Diese hatte er selbst dem Label in der Hoffnung auf einen Plattenvertrag zugesandt. Der zeitgemäße Hiphop ASAP Rockys, der den Anführer der Kidnapper spielt, wird nur verwendet, weil er als Plot Device dient.

Die grobe Struktur dieses Plots und einzelne Szenen sind Akira Kurosawas Zwischen Himmel und Hölle (1963) entlehnt – dort geht es um einen Schuhfabrikanten. Zentral für beide Filme ist das Verhältnis von oben und unten. King lebt in einem Penthouse über den Ufern des East River – immer wieder sehen wir aus seiner Perspektive die sonnendurchflutete Skyline New Yorks –, während der Täter in einem trostlosen, düsteren Kellergewölbe seine Musik aufnimmt. Im von oben gefilmten Panorama sind keine Details auszumachen. Das Elend unten bleibt unsichtbar. Von unten, aus einer apokalyptischen Düsternis, fällt der Prunk da oben umso besser ins Auge – wenn nicht direkt, dann durch die Berichterstattung auf allen Kanälen, in Magazinen, im Fernsehen, in den sozialen Medien.

Künstler mit Seele eben

Kurosawas dezentralisiertes Gesellschaftspanoptikum ohne eindeutige Hauptfigur zeigt oben und unten von Gier, Neid und Hinterlist angetriebene räuberische Praktiken und erschafft so den Fiebertraum einer unrettbaren Gesellschaft. Die Compagnons des Schuhmagnaten verraten ihn, um ihre Häute in Sicherheit zu bringen und setzen ihn dem fast sicheren Ruin aus. Aber auch der Kidnapper geht für seinen Vorteil – seinen gierig herbeigesehnten Reichtum – über Leichen. Oben und unten unterscheiden sich nicht durch ihre Moral, sondern durch die Qualität ihres Vorgehens.

Auch auf Highest 2 Lowest trifft dies zu, nur dass das Business ein anderes ist. Die Vorlage wurde zumindest dahingehend aktualisiert, dass es nun neben Geld und Macht auch um Anerkennung geht – darum, möglichst viele Follower zu haben und möglichst nicht gecancelt zu werden. Während Toshiro Mifune als scheinbare Hauptfigur aber nach einer Stunde fast vollständig aus Kurosawas Film verschwindet, bleibt David King als ambivalente Hauptfigur stets das Zentrum von Lees Films. Und mit ihm das Ringen zwischen Durchsetzungswille und Moral, zwischen dem Verkauf der eigenen Seele und einem authentischen Leben. Die große Utopie Kings ist es, wieder unten mit Kopfhörern durch die Straßen zu laufen und neue Künstler zu finden, denen es um mehr als Reichtum und Ruhm geht. Künstler mit Seele eben, um selbst auch wieder mehr Seele zu gewinnen.

Wie das Fehlen aktuellerer Musik und die Fetischisierung des Vergangenen, bekommt diese Dichotomie einen herben Beigeschmack, zeigt der Film doch kein Interesse, das Abgelehnte, Neue näher ins Auge zu fassen. Unschwer lässt sich hineinlesen, dass Spike Lee mit seinem Film wachrütteln möchte. Aktuelle Musik und Kultur ist von Ruhmsucht, Blingbling und Oberflächlichkeit zerfressen, während früher alles besser war. Das mag Intention sein oder auch nicht, jedenfalls läuft Highest 2 Lowest auf etwas dezent anderes hinaus – auf ein Porträt eben dieser kulturellen, vergangenheitsseeligen Blindheit.

Fürchterlich dudelnde Fremdkörper

Denzel Washingtons Schauspiel unterstreicht dies. Obwohl er den moralischen Tumult eines selbstbetrunkenen Machtmenschen, der gegen seinen Willen über ein Gewissen verfügt, sehr eindrucksvoll spielt, wird es sofort völlig affektiert, wenn er versucht, seinen David King in Musik aufgehen zu lassen. Er wirkt zuweilen wie die Witzfigur eines alten Mannes, der jeden Kontakt zum Zeitgeist verloren hat, aber Bescheidwissen, Jugendlichkeit und Coolness aufführt. Dem entgegen gibt ASAP Rocky seinen Kidnapper und verblendeten Gangsterrapper mit jeder Menge asozialem Verve. Ihm reicht es, hasserfüllt gegen eine Scheibe zu rotzen, um seine angsteinflößende Performance zu krönen, während Washington sich abmüht, einen Eindruck zu hinterlassen, ohne viel zu erreichen.

Highest 2 Lowest ist sicherlich auch ein eindrucksvoller Thriller – gerade da die Polizei bei Lee, anders als bei Kurosawa, ein Haufen alles behindernder Großmäuler bleibt –, aber als Film über jemanden, der in einem Elfenbeinturm über uns Normalsterblichen lebt, der nur in ihm wohlbekannten Mustern denkt, ist er noch eindrucksvoller. Das zeitvergessene „Happy End“ ist schließlich nur noch absurd. David King sitzt wie ein Juror auf der DSDS-Couch und feiert den gängigen Powersoul einer Sängerin mit Pianisten, als sei es die Neuerfindung des Rads. Am schlimmsten aber ist der Soundtrack von Howard Drossin und Pianist Fergus McCreadie, die irgendwelche alten Tugenden beschwören wollen, aber leidige, fürchterlich dudelnde Fremdkörper neben den Bildern bleiben. Spike Lee ist ein Film gelungen, der einen Teil unserer Welt sehr treffend darstellt – nur vielleicht nicht unbedingt so, wie er glaubt.

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