High Life – Kritik
Claire Denis’ neuer Film spielt im Weltall, aber so wichtig ist das nicht. Juliette Binoche vollführt darin einen rituellen Tanz in der Hoffnung auf einen Orgasmus – eine Verausgabung, wie man sie im Kino nicht oft sieht.

High Life ist ein Film von exquisiter Schönheit. Er spielt im Weltall, jenseits unseres Sonnensystems, aber so wichtig ist das nicht, auf einem Raumschiff, das in seiner perfekten holzbraunen Rechteckigkeit gar nicht wie eins aussieht. Das Raumschiff und der Film hängen in der Schwebe, drehen sich im Kreis, auf unterschiedlichen Zeitebenen, springen zurück und nach vorn. Aber spielt die Zeit hier überhaupt noch eine Rolle? Früher oder später erreichen sie den schwarzen, mit einer rotgoldenen Glutschicht umflossenen Kreis. Das schwarze Loch.
Strafkolonie im Weltall

In den Rückblenden, die auf der Erde spielen, erkennt man kaum etwas außer Konturen: ein komplizenhaftes Lächeln, Wind in den Haaren, Dreck am Stecken, eine nächtliche Fahrt auf dem Dach eines Zuges. Oder ein Spaziergang im Wald, der blutig endet. Warum? Claire Denis, die Meisterin der Ellipsen und der Sinnlichkeit, lässt auch hier vieles offen. Wieder einmal handelt ihr Film von Außenseitern. „Wir waren Abschaum, Abfall, Müll“, sagt eine Stimme aus dem Off. Das Schwarze Loch ist also das Hauptziel einer irrsinnigen Mission, wie sie sich das Strafsystem der Zukunft irgendwann ausgedacht hat. Eine Gruppe von lebenslänglich Verurteilten wurde in den sicheren Tod geschickt, auf der Suche nach neuen Energiequellen, aber so wichtig ist auch das nicht, das Ganze nannte man Recycling. Auf dem Weg dahin wird die Strafkolonie permanent Experimenten unterzogen, die meist mit Fortpflanzung zu tun haben. Aber im All vergeht die Zeit anders, sie zieht sich hin, man stirbt jung, man stirbt langsam. Den täglichen Reporten hören die Menschen auf der Erde nicht einmal zu. Der Austausch ist einseitig, Bilder aus Stummfilm-Western, unpersönlicher Text auf dem Computerbildschirm. Von niemandem überwacht zu werden – wie grausam.
Binoche als Sperma-Schamanin

Die Regisseurin Denis spricht wie gewohnt eine Sprache der exzessiven Schlichtheit. Die schwebende Kamera (diesmal beeindruckend von Yorick Le Saux) filmt das Innere des Raumschiffs, es nebelt traumartig, die leeren Gänge sind in Primärfarben getaucht: schwarz, blau, rot und grün, satt und texturreich. Die Musik von Tindersticks ist für diese Bilder eine perfekte, sonore Begleitung, passgenau, eine feste Umarmung. Wir sehen Monte (Robert Pattinson) – Sträfling Nummer 149, blass, müde Augen, noch immer standhaft – dabei zu, wie er ein Baby beruhigt, es in den Arm nimmt, ins Bett bringt, ihm eine Puppe bastelt. In High Life gibt es also ein Baby auf dem Raumschiff, und dieses Baby ist alles andere als ein schreiendes Prop. In einer Szene von überwältigender Zärtlichkeit macht die kleine Willow vor der Kamera ihre gefühlt allerersten Schritte.

Dass es dieses Baby gibt, ist der Arbeit von Dr. Dibs geschuldet. Von Juliette Binoche bezaubernd verkörpert, in taillierten, eng anliegenden Arztkitteln, mit stabilem Schuhwerk und bodenlangem geflochtenem Zopf, ist sie eine Figur vom mythischen Ausmaß, eine Königin der Körperflüssigkeiten, die noch immer fest an die eigene Mission glaubt. Dr. Dibs hantiert mit Plastikkanistern, schüttet etwas, was zäh und schwarz ist, in kleine Röhrchen hinein, sediert damit die Schiffsbesatzung (mit dabei: Mia Goth und André Benjamin), agiert dann mit und ohne Erlaubnis als Sperma-Schamanin mithilfe einer Pipette. Als eine von der Fortpflanzung besessene Medea gibt sie das Leben und nimmt es auch, liebt und begehrt obsessiv, kümmert sich zärtlich, übt skrupellose Kontrolle aus. Sie ist jemand, die ihre eigenen Kinder in den Tod gewiegt hat.
Kino mit Konsequenzen

„Dunkel und nutzlos“, so hat die Regisseurin eine Szene beschrieben, die in ihrer äußersten Archaik aus dem Film herausfällt, die nichts erzählt, dafür aber umso deutlicher an einer Grenzerfahrung webt, an einer das Science-Fiction-Genre weit übersteigenden Kosmologie, die diesen seltsamen Film ausmacht. Dr. Dibs steigt in die sogenannte fuck box hinein. Sie zieht sich aus, öffnet die Haare, die sich über ihren ganzen Körper verteilen, zu Ästen oder Wurzeln werden, die an ihr zerren, als wären sie Waldgeister, als wäre ihr Körper nicht mehr ihr eigener. Das ist eine Verausgabung, wie man sie im Kino nicht so oft sieht: Juliette Binoche, die einen rituellen Tanz vorführt, in der Hoffnung auf einen Orgasmus. Dieses nutzlose Dunkel ist immersiv und kraftvoll, verführerisch und gefährlich einprägsam. Diese Bilder wird man nicht so schnell wieder los – High Life ist ein Film mit Konsequenzen und Schwerkraft. Claire Denis nimmt das Kino ernst.
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