Helden sterben nicht – Kritik

VoD: Aude Léa Rapins Langfilmdebüt gibt sich als Doku über einen Franzosen aus, der sich für einen wiedergeborenen bosnischen Soldaten hält. Helden sterben nicht feiert die Möglichkeit, die Wirklichkeit einer Geschichte anzupassen.

Was sagt man seiner Frau, wenn man ihr 35 Jahre nach dem eigenen Tod in Gestalt eines wiedergeborenen jungen Mannes begegnet? Joachim (Jonathan Couzinié) steht unmittelbar vor dieser Situation – oder bildet es sich ein, aber das spielt hier keine Rolle. Alice (Adèle Haenel), die zurate gezogene Freundin, zieht ihr Gesicht vor Konzentration zusammen, ehe sie ihm mit gerührtem Ernst antwortet: Die Witwe soll irgendwie Liebe empfinden, auch wenn sie nicht versteht, woher. Die darauffolgende Begegnung zwischen der alten Dame und dem jungen Joachim ist der unanfechtbare Höhepunkt des Films. Natürlich ob ihres fantastischen, Raum, Zeit und Sprache sprengenden Charakters und ob der ergreifenden Würde, die die seltsame Szene verströmt, aber vor allem als krönender Abschluss einer Erzählung, die Joachim und Alice gemeinsam gesponnen haben und die sie sich gegenseitig schenken, um ihren Schmerz und ihre Angst zu lindern.

Making-of on the road

Helden sterben nicht (Les Héros ne meurent jamais, 2019) ist ein Film über Menschen und über die Geschichten, die sie sich erzählen. Der Akt des Erzählens ist von Anfang an sichtbar, denn Helden sterben nicht beginnt als Film im Film: Vor Alice’ Kamera erzählt Joachim, er sei die Reinkarnation eines in Bosnien gestorbenen Soldaten. Auf der Straße habe ihn ein Unbekannter wiedererkannt – als Zoran, einen „Mörder und Folterer“, der am 21. August 1983 getötet worden sei – Joachims Geburtstag. Alice ist skeptisch, aber sie ist auch Reporterin und guten Storys zugeneigt, das wird die nächste. Die Geschichte begegnet uns also unmittelbar in ihrer eigenen Erzählung, von Anfang an gibt es gleichzeitig das Making-of: Wir hören Alice’ Anweisungen und Kommentare, wir sehen die Unterbrechung, als im Hintergrund eine Sirene heult. Alsbald machen sich die beiden Freunde nach Bosnien, um Joachims früherem Leben auf die Spur zu kommen, begleitet von Virginie (Antonia Buresi), der Tonmeisterin, und Paul, dem Kameramann (Paul Guilhaume spielt sich sozusagen selbst, tritt aber nie in Erscheinung). So wird die Geschichte in Helden sterben nicht über die (vermeintliche) Sichtbarmachung ihrer Erzählung erzählt: Der Film gibt sich als die Doku aus, die Alice, Joachim, Virginie und Paul on the road drehen. Die Erzählung eilt dem Erzählten voraus, die Geschichte entsteht mit dem, was sie vorfinden.

Regisseurin Aude Léa Rapin gelingt eine unerwartete Kreuzung zwischen Gag, Mystery und Drama. In der ersten Hälfte des Films überwiegen die beiden ersten Register. Man ist verwirrt von Joachims tiefer Überzeugung, die Wiedergeburt von Zoran zu sein, und zugleich amüsiert von der unvermittelten Art, mit der die Gruppe den Einheimischen ihr Anliegen erklärt. Witzig ist etwa die Szene, in der die Franzosen im zufällig entdeckten „Bistro Zoran“ haltmachen und dort gesagt bekommen, dass jeder zehnte Mann in Serbien Zoran heiße.

Schräge Vögel treffen auf Nachkriegstrauma

Mit der Ankunft in Bosnien entsteht aber auch ein Unbehagen, das der Film nicht auflösen wird. Die vier leichtfüßigen Franzosen und ihr schräges Anliegen prallen auf eine reale Nachkriegsgesellschaft, die noch nicht alle ihre Toten begraben hat. Auf der gut gelaunten Suche nach Joachims Vorleben stoßen sie auf Menschen, die sich von ihrer schrecklichen Vergangenheit loszulösen versuchen. So beklagt eine Witwe, die Alice für frühere Reportagen interviewt hat (Hasija Borić), sie sei es leid, immer wieder ihre Geschichte zu erzählen. Es sind solche Stellen, die den Eindruck erwecken, dass es Rapin auch darum geht zu hinterfragen, wer sich auf welche Weise welcher Geschichten annimmt. Ihr eigener Umgang mit dem historischen Stoff mutet allerdings selbst vollmundig an. Zum Abschied vertraut die Witwe Alice an: „Ich wünschte, ich könnte mir auch so eine Geschichte wie die eure erzählen.“ Das ist wohl als Erklärung dafür zu verstehen, warum es für Rapins Plot das Nachkriegsbosnien als Hintergrund brauchte, warum sie ausgerechnet darin ihre schrägen Vögel einbetten wollte: Die Kriegswitwe heißt das wilde Rumgespinne gut, das Erzählen von Geschichten heilt von der Geschichte, und damit ist Rapins tollkühnes Vorhaben, den übergeschnappten Joachim mit realen Aufnahmen von Bestattungen von Kriegsopfern zusammenzubringen, erst mal begründet.

Die Wirklichkeit der Geschichte fügen

Warum Rapin ihren Film mit dem Bosnienkrieg überladen musste, bleibt fraglich, denn stark ist Helden sterben nicht ohnehin nicht beim Erzählen als Vergangenheitsbewältigung, sondern beim Erzählen als Bewältigung der Angst vor der Flüchtigkeit der eigenen Existenz. Als Joachim und Alice nach Bosnien reisen, folgen sie seiner Geschichte: seinen Erinnerungen, seiner Visionen. Alice ist skeptisch, bittet Joachim darum, nicht in der ersten Person Singular von seiner früheren Existenz zu sprechen. Dann aber versteht sie – versteht der Zuschauer –, was diese Geschichte – ob sie wahr ist oder nicht – für Joachim bedeutet, und das ist der Punkt, an dem sie von seinen Händen in die ihren überspringt. Alice spinnt die Geschichte weiter, sie macht sie wirklich. Helden sterben nicht feiert die Fantasie, die Möglichkeit, die Wirklichkeit einer Geschichte zu fügen, im Grunde bebildert der Film die grundlegendste Form des Erzählens: nicht die aufwändigen Aufnahmen, die die Gruppe macht, nicht die Diskussionen über diese oder jene Regieentscheidung, sondern das schlichte Dinge-zu-etwas-Erklären, und das ist hier urkomisch und ergreifend zugleich. Dabei zeigt er zugleich auch eine der wichtigsten Funktionen des Erzählens: die Möglichkeit, das, was gesagt werden soll, in ein anderes Gewand zu kleiden, um nicht aussprechen zu müssen, was zu schwer auszusprechen ist. Helden sterben nicht ist die Geschichte von zwei Freunden, die sich konsequent etwas vormachen und darüber die Möglichkeit finden, sich das zu sagen, was sie sich sagen wollen.

Den Film kann man bei Amazon, iTunes, YouTube und Google Play streamen.

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