Heretic – Kritik

Zwei Mormonen-Missionarinnen geraten an einen Herren, der ihnen den Glauben nehmen will. Mit einem oft sensationellen Hugh Grant wirft Heretic eine faszinierende Dialektikmaschine an, erweist sich aber auch zunehmend als abgekartetes Spiel.

Für den französischen Philosophen Blaise Pascal gab es einen guten Grund, an Gott zu glauben. Seinem Argument nach entspricht unser Leben einer Wette darüber, ob nach unserem Ableben Himmel und Hölle warten oder nicht. Gibt es diese Formen göttlicher Belohnung oder Strafe nicht, dann ist es im Grunde egal, ob wir gottesgläubig sind oder nicht. Es hat keine Konsequenzen. Gibt es sie aber, dann sieht es ganz anders aus. Glauben wir an Gott, dann landen wir im Himmel – wir haben gewonnen. Glauben wir nicht, dann landen wir in der Hölle und leiden bis in alle Ewigkeit – wir haben verloren. An Gott zu glauben wird so zur rationalen Notwendigkeit.

Megalomaner Troll

Sister Barnes (Sophie Thatcher) und Sister Paxton (Chloe East) müssen in Heretic ganz ähnlich wetten – nur befinden sie sich in einer weit weniger sterilen Situation als einem Gedankenexperiment. Ganz buchstäblich werden sie vom Film und von Mr. Reed (Hugh Grant) vor zwei Türen gestellt. Auf der einen steht „Belief“, auf der andere „Disbelief“. Sie müssen sich entscheiden, ohne zu wissen, was jeweils auf den anderen Seite wartet – vielleicht führt eine zum Ausgang und die andere zum Tod, vielleicht erwartet hinter einer die Erlösung durch die Wahrheit und hinter der anderen der Horror ewigen Zweifels, vielleicht ist es auch egal, weil die Wette nur verloren werden kann, da der Konstrukteur dieser Wahlmöglichkeit wahrlich nicht gütig scheint.

Die beiden jungen, noch etwas naiven Mormonen-Missionarinnen besuchen Mr. Reed, um mit ihm über Gott zu reden und ihn möglicherweise zu bekehren. Ihre Routine prallt aber an dem schrulligen alten Mann ab, in dem mehr steckt, als es zunächst scheint. Er ist weitläufig belesen, baut aus unscheinbarem Trivia-Wissen sophistische Monologe, die die beiden in ihren Grundfesten erschüttern (sollen), und hat einen genauen Plan mit ihnen. Er ist das genaue Gegenteil der beiden, die den anderen lediglich etwas anbieten, aber nicht aufzwingen wollen. Mr. Reed wirkt nämlich mit jeder Minute mehr wie ein megalomaner Troll, der Gläubigen unbedingt ihren Gott nehmen möchte.

Sadistischer Demagoge

Sein Haus ändert seine Wirkung wie sein Besitzer. Zu Beginn scheint es alt, simpel und gemütlich, je länger der Film dauert, desto verschlungener und beklemmender wird es. Die Leseräume und das in ihnen zutage tretende Wissen – über Monopoly, die Hollies und was diese einem über die Weltreligionen sagen – führen nur zu mehr Unsicherheit, und die Wohnung wird parallel dazu nass, dunkel und kalt. Immer deutlicher sieht sie nach einer Falle und einem Verlies aus. Nach einer symbolischen Darstellung unseres Lebens, in dem Wissen nicht unbedingt zu Gewissheit führt, sondern zu Zweifeln, zu Gefühlen, die sich wie Teppichcutter durch unser Fleisch schneiden, und zur Ahnung, sich in der Hand eines sadistischen Demagogen zu befinden, der uns lustvoll in Trümmer gehen sehen möchte.

Einerseits beschwört Heretic so sehr sehenswert ein grundlegendes Unbehagen herauf. Von unangenehmen sozialen Situationen geht es über tropfende Decken, zwielichtige Gänge oder karge Keller bis zu genüsslichem Gore. Gerade optisch wird alles daran gesetzt, ein seelisches Gleichgewicht aus der Balance zu bringen. Das Setting und der oft sensationelle Hugh Grant zeigen dabei vielleicht nicht allzu viele Dimensionen, aber das, was sie machen, ist schon ziemlich effektiv.

Faszinierende Dialektikmaschine

Andererseits werfen die Regisseure und Autoren Scott Beck und Bryan Woods eine faszinierende Dialektikmaschine an, die Figuren wie Zuschauer konstant mit einem nie stillstehenden Diskurs konfrontiert. Immer wieder dreht es sich um Gegensätze, um Glauben und Unglauben, Beschlagenheit und Naivität, Wissen und Glauben, Sicherheit und Unsicherheit. Der Preis dafür ist aber nicht nur, dass wir wiederholt den Monologen eines Klugscheißers zuhören müssen – so anregend sie sind, so selbstherrlich gefallen sie sich sichtlich in ihrer Cleverness –, sondern auch, dass der Film selbst der Falle im Film nicht unähnlich ist.

Uns Zuschauern geht es nicht anders als Sister Barnes und Sister Paxton. Wir sitzen mit ihnen über die Länge des Films in einer komplett durchkomponierten Falle, die uns Themen und Diskurse aufzwingt. In einem abgekarteten Spiel, in dem nichts zufällig geschieht und das jede Menge Aufwand betreibt, dass wir nicht aus dem Spiel ausbrechen, weil es sonst in sich zusammenfällt. Denn wie das Argument von Pascal, das auf den ersten Blick erstaunlich ist, aber nur funktioniert, solange wir die Grundannahmen – zum Beispiel, dass es Gott nur mit Himmel und Hölle gibt – akzeptieren, ist Heretic wenigstens erstaunlich, solange man seine Cleverness arglos akzeptiert.

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