Mad Love In New York – Kritik

Neu auf DVD: Im Fegefeuer der Shore. Ben und Joshua Safdie finden Magie in den Zirkeln der Selbstzerstörung.

„If you loved me, you would’ve killed yourself by now“, sagt Ilya (Caleb Landry Jones). Harley (Arielle Holmes) beweist ihre Liebe. Vor seinen Augen öffnet sie ihre Pulsadern mit einer Rasierklinge. Liebe und Sucht treten in Harleys Welt nicht als gegensätzliche Kräfte auf, sondern als zwei Seiten eines Kreislaufs zwischen Rausch und Selbstzerstörung.

In der Klinik schwebt die Kamera vorbei an den Fratzen der Patienten. Eine Krankenschwester verteilt Pillen. Eine Frau kommt näher. Sie setzt sich zu Harley. Erzählt etwas, rückt näher, greift nach ihr. Weitere Frauen kommen hinzu, dann greift ein Pfleger ein. Er trennt die verschlungenen Körper der schreienden Insassen. Nur die Musik ist zu hören, als er die schreiende Harley davonträgt. Dann wird sie entlassen. Kein Ende, sondern der Anfang. Für Harley ist es der nächste Abschnitt im Höllenstrudel, den Heaven Knows What durchwandert.

Höllenkreis New York

Harleys zweiter Jenseitsführer ist der Straßendealer Mike (Buddy Duress). Das Bild schweißt sich an die Gesichter der beiden, während sie auf der Suche nach schnellem Geld durch die Straßen New Yorks ziehen. Die langen Brennweiten vernebeln die einzelnen Handlungsorte, machen eine Orientierung in der Stadt unmöglich. Die verschmilzt in der Unschärfe zu einem wabernden Dunst, der die Protagonisten in ständiger Ruhelosigkeit einschließt. Während Mike eine seiner zahlreichen Geschichten ausführt, setzt die Musik ein, und die Kamera löst ihren Blick von der Straße. Sie zeigt die Skyline New Yorks, die im Kontext des Films, losgelöst von den Straßen, wie eine andere Welt wirkt. Joshua und Ben Safdie suchen immer wieder diese Momente der Verfremdung. Oft sind es die flimmernden Synthie-Adaptionen Isao Tomitas, die dem Straßenleben mit schrecklicher Intensität eine Verfremdung einbrennen, die mehr Sehnsucht und Leid ausdrückt als die ständige Wiederholung des Bildes von der Nadel im Unterarm, mit der das Kino sonst oft den Höhepunkt des Elends markiert. In Heaven Knows What ist die Nadel Alltag, das Abdrücken reine Notwendigkeit, um bis zum nächsten Päckchen zu funktionieren. Der Rausch ist selten, immer ein Spiel mit der Überdosis, und endet nicht in verzerrten Bildern der Umgebung, sondern im Zusammensacken des Körpers im Heroinrausch. Erhebt sich der Blick wieder vom Asphalt, wartet das Leben von den Resten der Großstadt: Zigarettenkippen für zwischendurch, benutzte Bahntickets, die einen zum nächsten Block bringen, an dem man die Krümel eines Päckchens abstaubt, das einen durch die Nacht bringt.

Arme Seelen

Heaven Knows What durchläuft den Kreislauf mit Arielle Holmes, die als Harley ihre Vergangenheit und den darauf basierenden Roman Mad Love in New York City im Film noch einmal durchlebt. Ihr junges Gesicht, mit den großen Augen und kleinen Narben alter Piercings, ist nicht das einzige, das die Spuren der New Yorker Platte trägt. Viele der Darsteller haben unverkennbar Zeit auf der Straße verbracht. Ob vom Redeschwall überkommen oder vom Heroin völlig gebeugt, strahlen sie die Verwundbarkeit von Menschen aus, deren Alltag sich immer nah am Tod bewegt. Die Safdie-Brüder zeigen jedoch kein Interesse an der bloßen Ausstellung ihrer Protagonisten. Ihr Film beleuchtet nicht einfach das Milieu, sondern taucht völlig in dieses ein. Durch die Immersion entsteht ein Bild vom Leben mit der Sucht, das die Zwischenräume der Drogenelendsbetrachtung füllt. Junkies haben Facebook-Accounts, hängen in Internet-Cafés ab, um sich Black-Metal-Videos auf YouTube anzuschauen. Sie sind keine ohnmächtigen Opfer, die durch einen Plot taumeln, der inmitten des Elends nach den Spitzen der Sentimentalität kramt. Auf dem kalten Asphalt, unter den Lichtern der Stadt wird gelebt, gebettelt, gefeiert und gevögelt. Sean Price Williams Kamera formt diese farbigen Lichter zu kleinen Inseln des Glücks, die sich wie Make-up über die verschmutzten Gesichter der Protagonisten legen. Es sind Momente, in denen es möglich wird, dass ein Handy wie ein Feuerwerkskörper explodiert und die Nacht erhellt. Doch der kleine Zaubertrick hat wie nichts im Leben mit der Shore Bestand. Er existiert nur so lange, bis der nächste Schuss ihn, zusammen mit dem Rest des Tages, verglüht und das Fegefeuer wieder entzündet.

Der Text ist ursprünglich am 04.05.2016 erschienen.

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