Happer's Comet – Kritik
Berlinale 2022 – Forum: Manchmal wird der Ton gegenüber dem Bild so dominant, dass es spukt. Happer’s Comet gibt gespenstisch verdichtete Einblicke in suburbanes Leben

Die Endcredits legen nach gut einer Stunde offen, was man sich bereits nach ein paar Minuten Laufzeit dachte: Der US-amerikanische Low-Budgetfilm Happer’s Comet ist in der Phase des harten Covid-Lockdowns und mit nur einem sehr überschaubaren Drehstab entstanden, die beteiligten Schauspieler*innen sind Familienangehörige, Freunde und Bekannte des Regisseurs Tyler Taormina. Seine Eltern treten als Produzenten auf, die Orte sind vorgefunden und nicht gebaut. Anders wäre es wohl gar nicht gegangen.
Wir sehen und hören in Taorminas zweitem Spielfilm, der inszenatorisch einen deutlich reduzierteren Pfad als sein vorangegangener, lässig-bunter Coming-of-Age-Film Ham on Rye (2019) einschlägt, eine Welt, die dem Debüt in vielen Punkten aber doch ähnlicher ist, als es vielleicht auf den ersten Blick scheint. Denn wieder geht es um die Erfahrungswelten der Erwachsenen und die der Jugendlichen. Sie laufen nebeneinanderher, ihre Wege kreuzen sich nicht, die einen weichen den anderen aus. Und wieder ereignen sich Dinge, die einem wie Rituale, wie ein Geheimkult vorkommen, zu dem einem der Zugang versperrt bleibt.
Suburban-Americana
Statt aber wie im Erstling das Bild einer ausbrechenden Jugend vor allem durch licht- und farbgesättigte Bilder, retroaffine Typos und Stylings sowie pointierte Sitcom-Dialoge zu zeichnen, ist in Happer’s Coment nun alles Zwischenmenschliche wie unter einen düsteren, die Erwartungen aller Beteiligten dämpfenden Schleier gelegt.
Das Szenario ist abgezirkelt und bewegt sich durch eine einzelne Nacht hindurch. Und es kommt bis auf wenige Satzfetzen und Lieder, die man aus dem Radio oder Fernseher aufschnappt, ohne gesprochene Sätze aus. Das klingt nach einer Übung in High-Concept-Art, durch die das Publikum durchmuss, ist aber in der Stimmung der rätselhaften Endsequenz näher, die Michelangelo Antonioni damals unverhofft an das Storytelling von L’eclisse (1962) anbaute. Hier wie dort kommt eine krisenhafte Gegenwart ins Bild, aber man bekommt sie nicht recht zu greifen. Statt Bedeutungen zu suggerieren, hält sich Happer’s Comet lieber an greifbare Räume und ihr schummriges Licht. Die Kamera ist dabei ohne Bewegung. Gibt es doch einmal sanfte Schwenks und Fahrten, sind sie wie eine Klimax in Szene gesetzt. Peu à peu setzt sich so ein Suburban-Amerika der Autowerkstätten, Mall-Parkplätze, Kristallkronleuchter, großzügigen Fernsehsessel und Garagen, Veranden und vorbeirauschenden Güterzüge in lose verflochtenen Einzeleinstellungen zu einer ganz eigenen Topografie zusammen.
Tonbedrohungen

In diesem stillgestellten Setting, übrigens ist es Taorminas Heimat Long Island, treten unterschiedlichste Menschen auf, die mit dieser Nacht unterschiedlich umgehen. Manche schlafen einfach, andere versuchen erfolglos, einen Lieben ans Telefon zu bekommen. Einer führt seinen Hund einen hügeligen, von Straßenlaternen beschienenen Weg entlang und trifft dabei einen Blinden, der mit seinem Smartphone die Umgebungsgeräusche aufnimmt.
Sowieso spielt der Ton in Happer’s Comet eine enorme Rolle. Insekten und Vögel machen sich aus den Bäumen und Sträuchern bemerkbar, der Wind lässt die Blätter rascheln, das Klappen von Inline-Skates auf asphaltierten Straßen stellt einen hypnotisierenden Rhythmus her. Mitunter wird der Ton gegenüber dem Bild sogar so dominant, dass es spukt. Es ist, als würde der Surround Sound eine nahende Bedrohung ankündigen. Man wäre nicht überrascht, wenn doch noch der Horrorfilm um die Ecke käme, ein Killer von Haus zu Hause zöge. Vielleicht ist mit diesem ordentlichen, feinsäuberlich in einzelne Privatbereiche parzellierten Kleinstadtleben etwas nicht in Ordnung, eben so, wie uns Lynchs Kino immer wieder diesen uramerikanischen Fassadenschein und die dahinter schlummernden Ungeheuer präsentiert.
Nur Seitenblicke
Dabei liegt eigentlich alles, will man seinen Augen trauen, ruhig da. Taorminas Kameramann Jesse Sterling gibt uns flüchtige, zugleich aber irgendwie auch gespenstisch verdichtete Einblicke in das Leben der Locals und ihrer Wohn- und Schlafzimmer. Es scheint auch darum zu gehen, Dinge ins Bild zu rücken, denen man in seinem eigenen Leben wenig Beachtung schenkt. Das heißt, in einem Leben, in dem man vermeintlich Besseres zu tun hat, als auf sie zu achten. Aber in der Welt von Happer’s Comet gibt es ja eben keine „Story“, bei der Seitenblicke vom Wesentlichen ablenken könnten: Wenn ein Auto mit seinen Scheinwerfern vorbeifährt, zeigen die Zimmerwände Schattenspiele. Geräusche der Umgebung spiegeln sich im Herzschlagmuster der Aufnahme-App wider. Ein Auto, das nahe einer Sprinkleranlage parkt und in dem sich ein Pärchen nichts zu sagen hat, kriegt in gleichbleibenden Abständen Wasser auf die Windschutzscheibe gespült. Man könnte diese Aufzählung von Impressionen beliebig weiter fortsetzen.
Children of the Corn

Der Übergang von der Objekt- zur Gefühlswelt ist aber fließend: Eine Frau kann neben ihrem Freund im sanft beschienenen Schlafzimmer nicht einschlafen und zieht apathisch an ihrer E-Zigarette. Ein anderer googelt an seinem Schreibtisch erst nach POV-Porn, dann nach Depressionshilfe. Die pandemiebedingte Isolation ist in diesen Mosaiken anwesend, auch wenn sie nie benannt wird. Es scheint mehr um einen diffusen Zustand des Wartens, das sich endlich doch etwas ereigne, als um dokumentarisch aufgeladene Bilder und Töne der letzten beiden Jahre zu gehen.
Doch diese Lethargie, die den Film durchzieht, wird nach und nach von gerichteten Bewegungen durchkreuzt. Der junge Teil des Städtchens bereitet sich auf etwas vor. Frauen und Männer fahren mit ihren Skates und Boards Landstraßen entlang (hier gibt es nebenbei die einzige Covid-Schutzmaske zu sehen); einer schminkt sich mithilfe der Kamerafunktion seines Handys, als stünde noch ein Date an. Der Ausbruch aus der Einsamkeit hat wohl mit einem abschüssigen Maisfeld zu tun, das die Opening Credits bereits, wie wir nun wissen, mittels des Close-ups eines langsam verfallenden Maiskobens vorwegnahmen. Maisfelder – wieder so ein amerikanischer Ort; auch einer, in dem sich in der Filmgeschichte schon vieles abspielte.
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