Hanussen – Kritik

Neu auf Blu-ray: Die Machtergreifung in der Glaskugel. István Szabós Biografie über den in den 1930er Jahren populären Hellseher erzählt vom langsamen Gleiten in den Abgrund. Dabei erscheint Hanussen (1988) manchmal harmlos versöhnlich, und manchmal voller giftiger Widerhaken.

Ordnung: Danach sehne sich Deutschland zu Beginn der 1930er Jahre, und in der Weimarer Republik gebe es nur die NSDAP, die diese Ordnung bringen könne. Deshalb werde sie an die Macht kommen. Das prophezeit Erik Jan Hanussen (Klaus Maria Brandauer) kurz bevor Adolf Hitler zum Kanzler ernannt wird. Der Wahrsager Hanussen besteht darauf, dass er nicht bloß seine Meinung wiedergibt, sondern Fakten, die nur noch nicht für jeden sichtbar seien.

Stationen eines Lebens

Die Frage, die Hanussen (1988), die Biografie des seinerzeit populären Hellsehers, implizit antreibt, ist dementsprechend auch die nach der Faktizität von dem, was Hanussen erzählt und vorgibt zu sein – implizit, weil diese Frage selbst kaum thematisiert wird. Hanussen liest Gedanken im Publikum, sagt ein Schiffsunglück voraus, und der Film nimmt es für bare Münze. Hanussens Agent und Freund Nowotny (Károly Eperjes) wirft ihm nach der Hitler-Prophezeiung vor, dass er mit seinen Taschenspielertricks zu weit gehen würde, und auch die Presse stellt ihn in Frage. Regisseur István Szabó bietet uns aber ansonsten keinerlei Hinweise, die Zweifel an seinem Können wecken würden. Lediglich der gesunde Menschenverstand legt uns nahe, dass wir es nicht mit einem wirklichen Medium zu tun haben.

Chronologisch stellt der Film die Geschichte Hanussens in den Raum, arbeitet die entscheidenden Stationen seines Lebens ab: Als Klaus Schneider erleidet er während des Ersten Weltkriegs einen Kopfschuss. Im Lazarett hält er einen Selbstmörder mit Handgranate von seinem Tun ab, wird sich seiner suggestiven Kräfte dabei vollends bewusst. Daraufhin geht er zum Varieté, nennt sich in Hanussen um, sagt den Untergang eines Luxusliners voraus, wird zur Sensation und geht nach Berlin. Bei einer Pressekonferenz nötigt man ihn dann förmlich, vorauszusagen, wer in einem halben Jahr Reichkanzler sein wird. Sonst sei er vielleicht doch ein Scharlatan. Hanussen steht vor der Presse und kann nicht anders. Er kündigt die Machtergreifung Hitlers an.

Erinnerungen mit Scheuklappen

Diese Ereignisse sind in sehr viel Zeit eingelassen. In Gespräche mit Freunden, in die Nebenschauplätze der Liebe, in Anekdoten zu den Wilden Zwanzigern und Anschauungsmaterial zur Dekadenz der Weimarer Republik. So richtig kommt Hanussen dabei nicht zum Punkt. Als mäandere der Film um etwas herum, das er uns sagen möchte, aber nicht den Mut findet, oder die Form oder den Willen, es uns direkt mitzuteilen.

Die Zeit vor der Machtergreifung der Nazis wird nicht gerade plastisch dargestellt. Straßenschlachten, überhaupt Straßen, Anzeichen der wirtschaftlichen Depression, Greifbares einer sich wandelnden Zeit und gesellschaftlicher Gegebenheiten: All dies bleibt außen vor. Auch mögliche nähere Kontakte Hanussens zur NSDAP werden nicht thematisiert. Stattdessen wie durch Scheuklappen begrenzte, offenbar gar nicht alles sehen wollende Erinnerungen. Passend dazu sind die Bilder von einem starken Weichzeichner ihrer klaren Konturen beraubt. Als bekämen wir eine lange nostalgische Rückblende präsentiert – nicht mal das blutige Gesicht im Ersten Weltkrieg wird allzu sehr von Entsetzen begleitet.

Die Nazis sind lange Zeit auch kaum eine Gefahr. Sie treten als Witzfiguren auf oder als respektabler Teil von Hanussens zuweilen buntem, nacktem, überdrehtem Varieté-Umfeld. Noch dazu sind sie gar nicht sie selbst, was ihnen den Nimbus des kommenden Schreckens nimmt. Josef Goebbels ist nicht Josef Goebbels, sondern „der Propagandaminister“ (Walter Schmidinger). Leni Riefenstahl ist nicht Leni Riefenstahl, sondern Henni Stahl (Ewa Błaszczyk). Und aus Hermann Chajm Steinschneider wird der ganz deutsche Klaus Schneider, womit seine jüdische Herkunft verdeckt und der kommende Holocaust noch ein Stück weiter weg in den Hintergrund geschoben wird. Auf diese Art erzählt Hanussen von einem verträumten Gleiten in den Abgrund, der sich lange nicht abzeichnet.

Der Sündenfall des Wahrsagers

Der Abschluss einer losen Trilogie über die Ambivalenz in vergangenen deutschen Reichen – zuvor drehte Szabó ebenfalls jeweils mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle Mephisto (1981) und Oberst Redl (1985) – könnte uns also eine Entschuldigung bieten. „Es konnte nicht gewusst werden. Wir wussten es nicht besser.“ Zuweilen wirkt der Film dann auch wie eine versöhnliche Version von Die Blechtrommel (1979), die vom Absurden befreit im Damals schwelgt und respektvoll die Geschichte verkitscht.

Weshalb wir womöglich wieder beim gesunden Menschenverstand angelangen. Denn eine präzise gesellschaftliche Wirklichkeit wird uns zwar nicht gegeben, aber die Politik ist doch allgegenwärtig. Auch wenn sie sich nur langsam und unscheinbar einschleicht. Immer wieder beteuert Hanussen, völlig unpolitisch zu sein. Unaufdringlich, aber beständig wird von ihm verlangt, Farbe zu bekennen. Auch Hanussens „Sündenfall“, dass er mit seiner Voraussage dazu beiträgt, einen Reichskanzler Hitler denkbar zu machen, steht sichtlich nicht im Mittelpunkt – und doch liegt darin das Gravitationszentrum des Films. Auf diesen Punkt läuft alles hinaus, auch wenn er in Hanussen wie ein Punkt unter vielen anderen wirkt.

Die Ambivalenz von Hanussen liegt also darin, dass nicht klar ist, ob wir einen erschreckend harmlosen Film über ein fragwürdiges Leben sehen, der mit den widersprüchlichen und faszinierenden Implikationen Hanussens nichts zu schaffen haben möchte, oder einen Film mit Widerhaken, der von einer limitierten Erinnerungs- und Verantwortungspolitik erzählt, die vor dem sich aufdrängenden Horror die Augen am liebsten verschließen möchte. Über die reale Person Hanussen hat Szabós Film kaum etwas zu sagen, als entrückter wie giftiger Geschichtsfilm ist er aber umso effektiver.

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