Halloween – Kritik

Eine tolle Plansequenz begleitet Michael Myers bei seinem Schlachtzug durchs nächtliche Gewusel von Haddonfield. Doch drum herum wird in David Gordon Greens Halloween mehr ein Trauma bewältigt als gezittert.

1978 schufen John Carpenter und Jamie Lee Curtis in Halloween das vielleicht ikonischste Final Girl der Slasher-Geschichte: Laurie Strode war eine klassische Außenseiterin, nerdig, schüchtern oder zumindest vorsichtiger im Umgang mit den Jungs und auch auf eine etwas altbackene Weise vernünftig, was ihr bei der Konfrontation mit dem maskierten Killer Michael Myers vermutlich das Leben rettete. Nachdem Curtis noch einmal in der ersten von insgesamt zehn Fortsetzungen zu sehen war, tauchte sie erst wieder zwanzig Jahre später in Steve Miners schon eher als Hommage angelegtem Halloween H20 (1998) auf. Allerdings schien die mittlerweile inkognito als Schuldirektorin lebende Laurie dort weniger eine logische Weiterentwicklung von damals zu sein als eine an Curtis’ Star-Persona ausgerichtete Figur.

Einzelgängerin mit zerrupften grauen Haaren

Noch einmal zwanzig Jahre später schlüpft Curtis nun erneut in die Haut von Laurie, diesmal unter veränderten Vorzeichen. Denn David Gordon Green ignoriert für seinen Beitrag zum Franchise bewusst alle Sequels (sowie das Remake von Rob Zombie, in dem Laurie von Scout Taylor-Compton gespielt wird) und knüpft stattdessen direkt an Carpenters Original an. Aus Laurie ist bei ihm eine von Angst und Alkohol gezeichnete Einzelgängerin mit unmodischer Brille und zerrupften grauen Haaren geworden. Überhaupt konzentriert er sich vor allem auf das Trauma, das nicht nur Lauries Psyche zerrüttet hat, sondern auch das Verhältnis zu ihrer (wiederum von der ständig in Alarmbereitschaft befindlichen Mutter traumatisierten) Tochter.

Was den immer wieder zwischen Independent- und Mainstreamkino wechselnden Gordon Green hier zunächst interessiert, ist vor allem ein realistisch gezeichnetes zwischenmenschliches Drama, in dem aufgearbeitet und verstanden werden soll. Den gerade noch im Hochsicherheitstrakt eingesperrten, aber bald aber schon wieder in der Kleinstadt Haddonfield sein Unwesen treibenden Myers will er denn auch nicht weiter mystifizieren, sondern seinem Geheimnis stattdessen endgültig auf die Spur kommen. Dafür setzt er etwa zwei nervige Reporter als Kanonenfutter auf ihn an sowie einen als Donald-Pleasance-Gedächtnisfigur gedachten Psychiater, der etwas zu genau wissen will, was es mit Michaels Drang zu töten auf sich hat.

Das Trauma der ewigen Wiederholung

Ungewöhnlich ist diese Herangehensweise, weil dem Film über weite Strecken erstaunlich wenig daran liegt, ein Gefühl der Angst, eine beklemmende Atmosphäre oder auch nur eine ganz grundlegende Spannung zu erzeugen. Aber obwohl Gordon Green vieles, was die Reihe eigentlich auszeichnet, bewusst sabotiert, scheint er doch die Grenzen seines Konzepts zu kennen. Damit Halloween doch noch funktionieren kann und Michael seine unheimliche Aura bewahren darf, müssen die Erklärungsversuche letztlich ins Leere laufen. Und auch wenn es ein nicht uninteressanter, vermutlich sogar feministisch gemeinter Gedanke ist, Laurie, mit Tochter und Enkelin im Rücken, auch mal zur Jägerin werden zu lassen, muss er angedeutet bleiben, weil die Degradierung von Michael zum Opfer wohl doch einen Schritt zu weit ginge.

Bei einem vor allem auf Ahnenpflege ausgerichteten Projekt wie diesem erstaunt es nicht, dass sich Gordon Green versucht, nach allen Seiten abzusichern. Halloween ist ein bisschen Familiendrama, ein bisschen Coming-of-Age-Film, ein bisschen Indie-Komödie mit Cops, die über Bánh-mì-Sandwiches debattieren, und auch ein an die Fans gerichtetes Spiel mit Zitaten aus dem Original. Und natürlich ist da auch noch ein sehr klassischer, am Slasher-Genre ausgerichteter Plot. Dass man gerade bei diesem vermeintlichen Routineteil mit einer wunderbaren Kür brillieren kann, das zeigt uns Gordon Green im Herzstück seines Films: einer tollen Plansequenz, die Michael bei seinem Schlachtzug durch das nächtliche Gewusel von Haddonfield begleitet. Hier offenbart sich, was Halloween noch viel mehr hätte werden können: ein Rückgriff auf bewährte Muster, aber doch auch eine visuelle Neuerfindung, die ästhetisch souverän umgesetzt und dabei auch noch verdammt beklemmend ist.

Mit seinem nach außen getragenen Bemühen fühlt sich Halloween zwar nie wie ein schlechter Film, aber doch immer wieder wie eine Themaverfehlung an – vielleicht, weil Gordon Green zwar smart an den Stoff herangeht, dabei aber ein sehr grundlegendes Prinzip des Horrorkinos im Allgemeinen und der Halloween-Reihe im Besonderen unterschätzt. Denn wenn man den Zauber des Franchises wirklich bewahren will, sollte man nicht versuchen, sein zentrales Trauma zu bewältigen, sondern es in immer neuen Variationen wiederholen.

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Kommentare


Moinet

Wie so oft bei critic.de aufgrund genauer Beobachtung ein hilfreicher Text zur Auseinandersetzung. Mir ist aufgefallen, daß Michael hier keine klassische Slasher-Gewalt, sondern eine regelrecht zermalmende, Körper deformierende ausübt. Das Messer wird kaum benutzt. Ich denke nicht, daß David Gordon Green sich damit einfach nur der heutigen Zeit anbiedert, wie man bei vielen Filmen bis hin zum Tatort das Gefühl hat. Es gab nicht dieses Versteckspiel, das sonst vielleicht auch einen Teil des Reizes erklären konnte und üblicherweise Spannung erzeugt, was du ja auch notiert hast. Dazu paßt die Plansequenz: Michaels antisoziale Urwucht können wir einfach nicht mehr wegdiskutieren. So schaue ich den Film, ähnlich wie du, nicht restlos überzeugt, aber wohlgesonnen, und dann kommt plötzlich diese grandiose Schlußszene, die alles ins Wanken bringt: Ich schaue von oben nach unten hinein in den brennenden Käfig, wo Michael, mir in die Augen blickend, in der tödlichen Falle sitzt. Michael als Opfer? In dieser Einstellung ist das jedenfalls nicht wegzudiskutieren. Kannst du damit was anfangen?


Michael

Der Film versucht auf jeden Fall die sonst recht klare Aufteilung zwischen Täter und Opfer, also zwischen Michael und Laurie, zu durchbrechen. Es gibt am Ende ja sogar diese eine Einstellung aus Carpenters Original, in der die Rollen vertauscht werden (in der es also nicht mehr Michael ist, der nach dem Sturz vom Dach plötzlich verschwindet, sondern sie). Aber der Gedanke, dass Michael zum Opfer wird, darf eben nur angedeutet werden, weil sonst das ganze Franchise seinen Zauber verlieren würde.






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