Große Freiheit – Kritik
Für Sex mit Männern muss Hans in der BRD wie zuvor in Nazideutschland hinter Gitter. Staat und Verhältnisse entlarven sich dabei wie nebenher: Statt zum Themenfilm zu werden, erzählt Große Freiheit lieber von der Liebe.

Im Jahr 1980 kam es zur Hamburger Spiegel-Affäre (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Presseskandal von 1962): In der Nacht vom 30. Juni auf dem 1. Juli wurden in mehreren Klappen – also in öffentlichen Toiletten – die Spiegel eingeschlagen. Dahinter fanden sich Räume der Polizei. Mit Kameras hatte diese jahrelang homosexuelle Handlungen dokumentiert und sogenannte rosa Listen geführt. Bis ins Jahr 1964 ging diese Methode zurück, also in eine Zeit, als gleichgeschlechtlicher Sex nach Paragraf 175 noch unter Strafe stand.
Es bedarf keiner Dramatisierung

Große Freiheit startet mit fiktiven Aufnahmen dieser rechtsstaatlich nicht haltbaren Klappenkameras, die Hans Hoffmann (Franz Rogowski) zu mehreren Zeitpunkten beim aktiven und passiven Oral- wie Analverkehr zeigen. Statt diese Aufnahmen zu skandalisieren und die Unmenschlichkeit dieser heimlichen Dokumentation zu thematisieren, werden sie hier schlicht als Beweismaterial gegen Hoffmann vor Gericht eingesetzt, als seien sie juristisch unbedenklich. Der Film von Regisseur und Autor Sebastian Meise zeigt dementsprechend keine historische Realität, sondern setzt die Normalität der Kriminalisierung einvernehmlicher Beziehungen sehr simpel ins Bild. Staat und Verhältnisse entlarven sich so wie nebenher. Es bedarf keiner großen Dramatisierung.

Wenn Hoffmann wenig später seine 24-monatige Haftstrafe antritt, wird er sich entkleiden müssen. In vorauseilendem Gehorsam wird er sich, nachdem schließlich auch die Unterhose fiel, nach vorne beugen und seinen entblößten Arsch dem Vollzugsbeamten entgegenstrecken wie einen Mittelfinger. Die schräge Einstellung, mit der das gezeigt wird, gewährt uns durchaus einige Einblicke in die Anatomie von Franz Rogowski, vermeidet aber dabei die Extreme. Weder wird die körperliche Wirklichkeit allzu verschämt versteckt, noch ist es ein provozierender Akt, der, Hoffmanns Aktion folgend, vor den Kopf stoßen und Abneigung ausdrücken möchte.
Immer wieder Einzelhaft

Statt unmenschliche Zustände (im Strafvollzug) anzuklagen, statt sich für die körperliche Seite zu schämen oder sie als Provokation einzusetzen, statt also zum irgendwie gearteten Themenfilm zu werden, erzählt Große Freiheit – der eben hier und da Sex ziemlich explizit darstellt – lieber von der Liebe. Zwischen drei Zeitebenen springen wir hin und her, in denen elliptisch Hans Hoffmanns Haftstrafen gefolgt wird. Direkt auf den Zweiten Weltkrieg und seinen KZ-Aufenthalt folgt das Absitzen der Reststrafe in einem Gefängnis des US-amerikanischen Sektors. Der Paragraf 175 wurde eben auch in seiner im NS-Deutschland verschärften Form unverändert ins Gesetzbuch der BRD übernommen. Die neuerliche Inhaftierung im Jahr 1957 betrifft einen Rebellen mit öliger Frisur, dessen Traum von Freiheit und Liebe, festgehalten in Sommeraufnahmen einer Normal-8-Kamera, immer wieder die triste Realität des Gefängnisses unterbricht. Und 1968/69 ist Hoffmann schon ein alter Hase, der die Routinen des Strafvollzugs ohne emotionales Engagement über sich ergehen lässt. Warum auch gegen etwas aufbegehren, das sich nicht ändern lässt.

In dieser nur bedingt chronologisch verfolgten Evolution – zumindest innerhalb der Zeitebenen geht es stets vorwärts – wird auch ohne große Emotionalisierung dokumentiert. Die Einstellungen verweilen auf ihrem Objekt, ohne dabei zu lang und streng zu erscheinen. Die Kamera ist nicht sehr mobil, aber auch nicht starr. Sie folgt Hoffmann durch die Gänge des Gefängniskomplexes, durch die Gittertüren, die immer wieder auf- und abgeschlossen werden. Sie folgt ihm zur Arbeit an die Nähmaschine oder zum Ausgang auf den Hof. Sie folgt ihm in die Zelle und in einen Käfig, in dem Insassen die Nacht unter freiem Himmel verbringen müssen, die ihr Bett nicht sofort verließen, als es ihnen befohlen wurde. Und immer wieder geht es in die Einzelhaft in eine Zelle ohne natürliches oder künstliches Licht, also in einen Abgrund, den der Film wiederholt aushält, ohne etwas zu zeigen außer Schwärze. So absolut scheint diese Gefängniswelt, dass selbst die Freiheit nach dem Fall von Paragraf 175 die bisherigen optischen Eindrücke nicht abschütteln kann, da das Gefängnis eben nicht aus den Köpfen ist.
Stiche, zärtlich wie ein Kuss

Diese Regulierungsmaschine der Haftanstalt, die darauf aus ist, Körper und Geist auf möglichst enge Bahnen zu lenken und der Selbstbestimmung zu entreißen, lässt nicht viel Platz, und doch sucht Große Freiheit nach den Möglichkeiten von Zuneigung, Wärme und Liebe in den kleinen Ecken, die einem gelassen werden. Manchmal sind es die großen Momente von Zärtlichkeit. Beispielsweise wenn sich Hoffmann mit einem Liebhaber verabredet. Beide lassen sich nachts in den Käfig verfrachten. Die Kälte und der Dreck des Hofes machen das Kuscheln, Küssen und den Sex nur umso mehr zur wärmenden Lebensnotwendigkeit. Oft sind es aber kleine Gesten oder liebevolle Sticheleien, die einem vermitteln, dass die Leute trotz aller Isolationsanstrengungen nicht allein sind. Und so sind selbst die Stiche, mit denen die KZ-Nummer am Unterarm zu einem matschigen Knasttattoo umgearbeitet wird, zärtlich wie ein Kuss.

1957 geht Hoffmann nicht allein ins Gefängnis. Sein Liebhaber (Thomas Prenn) muss ebenso in den Trakt. 1968 findet er eine neuerliche Liebe mit jemanden, mit dem er schon eine flüchtige sexuelle Erfahrung in der von ihm frequentierten Klappe gemacht hat (Anton von Lucke). Beide Beziehungen, die auf eine Welt außerhalb der Haft rekurrieren, enden tragisch. Jede auf ihre Weise, mal düster, mal bittersüß. Nur mit Viktor (Georg Friedrich), einem Häftling, den er zu allen seinen Stationen antrifft, hat Hoffmann eine beständige Beziehung. Sie ist zwar auch von Faustschlägen, Nötigung und Angst vor Nähe geprägt, durch ihr Leben in Haft sprechen sie aber dieselbe Sprache. Und Große Freiheit ist vor allem das Dokument des Auftauens der beiden, das den Unterdrückenden nicht die Genugtuung lässt, aus ihrem Schicksal etwas Trauriges zu machen. Denn vor allem ist dieser luftige, unaufgeregte Film einer voll trotzigem Humor.
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