Green Room – Kritik
VoD: Nach der Rache von Blue Ruin kommt die Belagerung im Hinterzimmer: Jeremy Saulnier sperrt vier junge Punkmusiker in ein House of Horror mit lauter Neonazis ein.

Die Geisel ist ganz ruhig, die Geiselnehmer machen sich vor Angst fast in die Hosen. Dabei sind sie zu viert und haben eine Waffe. Ihre Geisel aber ist ein stämmiger, bärtiger, tätowierter Mann, und was noch viel schlimmer ist: Dies ist sein Revier. Eine Rocker-Bar, in dem die zu unfreiwilligen Geiselnehmern mutierte Punkband gerade noch einen Auftritt hatte. Doch dann sind die Musiker Zeuge eines nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Mordes geworden, und jetzt hocken sie eingesperrt im green room der Location, mit einer Geisel als einziger Lebensversicherung, während vor der Tür Kneipen-Chef Darcy (Patrick Stewart) und wer weiß wie viele seiner Handlanger stehen. Darcy verspricht freies Geleit im Tausch für die Pistole. Jeremy Saulniers Script für seinen dritten Spielfilm überzeugt besonders in diesem ersten Teil von Green Room, vor allem ist es schön zu sehen, wie die vier Jungs nun weder völlig panisch austicken noch zu Oberschlauen mutieren, sondern, so gut es eben geht, nachdenken, diskutieren und Pläne schmieden.
Rauf auf die Achterbahn, mit stoischer Ruhe

Saulnier kostet diese Situation bis zum Äußersten aus. Mit stoischer Ruhe schickt er uns auf die Spitze seiner Achterbahn; wir wissen genau, dass es rasant werden wird, so lange, wie wir jetzt schon eingesperrt sind im Green Room und den hektischen Dialogen lauschen. Eine gescheiterte Übergabe später schlägt die Tür wieder zu; Pats (Anton Yelchin) Arm war kurz im undurchsichtigen Draußen gefangen, und jetzt ist der Arm wieder frei, aber völlig im Eimer. Mehrere tiefe Schnitte, ein offener Bruch am Handgelenk; der Junge kann es nicht fassen, seine Augen quellen fast aus ihren Höhlen. Green Room ist alles andere als reines Show-Off, aber zutiefst dem Gore verpflichtet: das Blut, das Aufschlitzen, die Eingeweide, das alles gehört zu seinem Funktionsprinzip. Wir müssen mit ansehen, wie der offene Arm notdürftig mit Paketband verbunden wird. Jede Pistolenkugel hinterlässt in der Haut nicht nur ein Loch, sondern zerfetzt eine ganze Menge Gewebe.
White-Power-Monster

Nach Blue Ruin hat Saulnier also den nächsten Genrefilm gedreht, einen nochmals deutlich straighteren, mit ein paar jungen Menschen, die irgendwie, irgendwo rauskommen müssen, um nicht abgeschlachtet zu werden. Der Aufhänger für den Höllentrip ist dabei so austauschbar wie originell: Tiger, Sam (Alia Shawkat), Pat (Anton Yelchin) und Reece (Joe Cole) bekommen während ihres spontan angesetzten Ersatz-Gigs nämlich zu spüren, dass sich die eigene Attitüde nicht so ganz mit der des Ladens verträgt. „Nazi Punks, Fuck Off!“, covern sie kreischend in die Mikros, und prompt fliegt ihnen eine Flasche entgegen. Das titelgebende Hinterzimmer ist vollgekritzelt mit Hakenkreuzen und White-Power-Slogans, in der Ecke steht eine Konföderiertenflagge. (Nazi-Chef Darcy scheint gar am Aufbau einer weißen Erweckungsbewegung zu arbeiten.) Musikalisch liegen die beiden Subkulturen in etwa auf einer Wellenlänge, politisch dagegen riecht hier alles von vornherein nach Krieg. Und letztlich ist Green Room vielleicht auch eher ein Kriegsfilm, der die Flucht aus dem Feindesgebiet begleitet.
Lachen und Leiden

Saulnier inszeniert auch hier wieder sehr gekonnt, mit Gespür für Timing und Schock, und wie in Blue Ruin mischt er dem Blut eine gehörige Portion Humor bei. Der beschränkt sich zwar manchmal auf mal mehr und mal weniger originelle Punchlines (sein Script ist in seiner dramaturgischen Komposition jedenfalls gelungener als im einzelnen Dialog), im besten Fall aber bietet er mehr als comic relief und schiebt sich, wie in den absurd-faszinierenden Attacken von Blue Ruin, als zweite Ebene noch in die brutalsten Momente, sodass einen das Lachen und das Leiden nicht nacheinander, sondern im selben Moment überwältigen. Dabei widersteht er zu jeder Zeit der Versuchung, den Horror vollends dem Witz zu opfern. Der Plot von Green Room ist ultrabrutal, absurd-komisch, teilweise schwer fassbar, aber er ist in sich erstaunlich kohärent und plausibel.

Dennoch ist Green Room sehr viel deutlicher auf Effekt gebürstet, sehr viel kalkulierter als sein Vorgänger. So gekonnt Saulnier für eine Atmosphäre des Unvorhersehbaren sorgt, für ein Minenfeld von einem filmischen Raum, ein bisschen stellt sich am Ende doch das Gefühl einer Nummernrevue ein; zu flüchtig bleibt alles, was zwischen den Momenten höchster Intensität geschieht. In 90 Minuten ist viel mehr vielleicht auch gar nicht zu schaffen, und Genrejüngern wird’s egal sein. Ohnehin kann man sich den Film am besten als idealen Headliner für die gute alte Midnight-Movie-Nacht vorstellen. „Hast du schon von dem Film gehört mit den linken Punks, die in die Fänge von Nazi-Skins geraten?“ – „Bitte, was?!“ – „Ich bring ihn mit.“
Der Film steht bis 21.12.2021 in der Tele5-Mediathek.
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Lotta Königin
Kleine Info: Es war Pats (Anton Yelchins) Arm, der zerstört und mit Paketband von Tiger (Callum Turner) verbunden wurde.
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