Gasoline Rainbow – Kritik

Neu auf MUBI: Die Ross-Brüder (Bloody Nose, Empty Pockets) begleiten fünf Jugendliche von einer Kleinstadt in Oregon zu einer Party an der Pazifikküste. Der weitgehend improvisierte Gasoline Rainbow ist eine schillernde Hommage an die Jugend und fängt zielsicher den Moment vor dem Ernst des Lebens ab.

Das Glücksversprechen einer Fahrt gen Westen, kaum etwas ist enger mit der amerikanischen Mythologie verbunden als dieses Motiv. Der Road Trip mit Planwagen, Motorrad oder Hippie-Bus hat unzählige Filmbilder hervorgebracht, spielte für die Western-Tradition, siehe Stagecoach, ebenso eine zentrale Rolle wie für diejenigen, die sich als Gegenkultur gerierten, siehe Easy Rider. Dass sich ausgerechnet die Ross Brothers nun diesem uramerikanischen Motiv angenommen haben, ist erstmal überraschend. Denn das Regieduo der Brüder Bill und Turner ist eher für eigenwillige, multiperspektivische Filme zwischen dokumentarischer Form und behutsamer Fiktionalisierung bekannt, die meist an einem festen Ort spielen: In Bloody Nose, Empty Pockets filmten sie die letzten 24 Stunden einer Kneipe in Las Vegas, Tschoupitoulas war das Porträt einer Partymeile in New Orleans.

Sonnenuntergänge und verschwitzte Körper

Mit Gasoline Rainbow haben sie nun ihr erstes Roadmovie geschaffen, und das beginnt mit einer rasanten Parallelmontage in Wiley, einer fiktiven Kleinstadt im ländlichen Oregon. Wir sehen fünf jungen Leuten bei ihren Reisevorbereitungen zu. Makai, Micah, Nicole, Nataly und Tony sind Highschool-Buddies. Jetzt packen sie in ihren unordentlichen Jugendzimmern ein paar Sachen zusammen, texten sich gegenseitig, kichern und kiffen. Nach dem Schulabschluss wollen sie noch ein Abenteuer erleben: gemeinsam an den Pazifik fahren. Irgendwo dort am Strand steigt die „End-of-the-World-Party“, da wollen sie hin. Doch ihr Heimatkaff liegt 518 Meilen entfernt von der Küste, das scheint fast so weit weg wie der Mond. Mit einem abgehalfterten Van machen sie sich mitten in der Nacht auf den Weg – ohne genauen Plan, mit zu wenig Geld, aber endlos guter Laune und einem nostalgischen Soundtrack von Beatles bis Guns N’ Roses, zu dem sie schallend mitgrölen.

Dramaturgisch sind die Ross-Brüder ihrem improvisiertem Stil treu geblieben. Gefilmt wird immer mit mehreren Kameras, aus der Hand, manchmal wackelig und unscharf wie bei Handy-Videos. TikTok-Ästhetik trifft auf fein komponierte Frames, große Panoramen auf körnige Close-ups, wildromantische Landschaften auf verschmiertes Glitzer-Make-up im Gesicht, glühende Sonnenuntergänge über Oregons endlosen Kornfeldern auf verschwitzte Körper im Taschenlampenfokus. Es gab zwar vorher geplante Szenen, aber keine geskripteten Dialoge, alle Gespräche und inneren Monologe sind improvisiert und klingen wie beiläufig mitgehört. Die Darsteller:innen sind Laien, die erstmals vor der Kamera stehen, was dem Film eine besondere Frische verleiht.

Kuscheln, Streicheln, Weinen

Auf ihrer Fahrt begegnen die Freunde verschiedenen Fremden, werden bestohlen, von anderen Lost Kids zum Feiern auf eine entlegene Kuhweide eingeladen, von tätowierten Profi-Streunern in den Hobo-Lifestyle eingeführt. Mitternachts schleichen sie auf einen Güterbahnhof und springen auf Frachtwaggons gen Westen. In Portland hängen sie mit einem weit gereisten Rollbrettfahrer und der lokalen Skater-Szene ab. Ein entfernter Cousin und glühender Heavy-Metal-Fan nimmt sie bei sich auf und organisiert einen Bootstrip zum Meer. Die heiß ersehnte Beachparty wird leider schon vor ihrer Ankunft von der Polizei aufgelöst. Dafür finden die Kids am Strand phosphoreszierende Wunderlichter und schließlich auch noch ein ausgelassenes Lagerfeuer-Happening vor pittoresker Schiffswrack-Kulisse.

Ästhetisch erinnern die Filmbilder an Ryan McGinleys elysische Fotoserie The Kids Are Allright. Oder an Larry Clarks dunkleren, drogensaturierteren Film Kids. Gasoline Rainbow ist in dieser Hinsicht optimistischer. Drogen werden auch hier reichlich konsumiert, bis die Kids verschallert auf ihre Lotterlaken fallen. Am nächsten Morgen haben sie Hangover-Kopfschmerzen, sehen aber trotzdem so strahlend aus, wie man eben nur als Teenager nach einer durchfeierten Nacht aussieht. Es wird gekuschelt, umarmt, gestreichelt, geweint, expliziter Sex spielt keine Rolle. Es geht um diese dicke Fünfer-Freundschaft und die furchterregende Schwelle von der Kindheit zum Erwachsenenleben. Denn ab jetzt wird’s ernst: Sie müssen sich Jobs suchen, studieren ist in den USA eine teure Sache, für Kinder aus sozial schwachen Familien oft gar keine Option. Deshalb denkt Tony darüber nach, sich zum Militärdienst zu melden, dort würde ihm zumindest eine Ausbildung bezahlt und er käme in der Welt herum, hört man ihn im Voice-over sagen.

Kein Ratschlag im Gepäck

Gasoline Rainbow ist jedoch kein sozialpolitisches Lehrstück. Die Probleme und Herausforderungen unserer Zeit gleiten nur als flüchtige Schatten durchs Bild, dass die Figuren aus schwierigen Verhältnissen kommen, erfährt man nur am Rande. Zuallererst ist dieser Film eine leidenschaftliche Hommage an den Zauber der Jugend, den Optimismus, die Verrücktheit und bedingungslose Liebe dieser fünf Außenseiter-Kids zueinander. Mit ihrem Roadtrip festigen sie noch einmal das magische Band, trinken, tanzen und stolpern traumwandlerisch durchs prallvolle Leben. Die Elternperspektive bleibt außen vor, es ist der radikal subjektive Teenager-Blick, mit dem wir übers Land bis zum Pazifik fahren.

Erst am Ende kommt Wehmut auf. Die Freunde wissen, dass auch dieser paradiesische Trip irgendwann zu Ende geht. Und sich ihre Wege wahrscheinlich trennen werden. Doch auch das wird nicht problematisiert. Der Film bleibt immer im Hier und Jetzt, hat keinen moralischen Rat im Gepäck. Außer vielleicht den einen: Fuck Wiley!

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Kommentare


ThomasM

Typo: begeliten -> begleiten
:-)


Michael

Danke! Ist korrigiert.






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