Funeral Parade of Roses – Kritik

MUBI: Das Sexuelle, das Politische, das Ästhetische – im queeren Eddie formt sich alles zu einem Aufbegehren. Es endet in Gore und Entsetzen. Funeral Parade of Roses (1969), ein spätes Werk der japanischen neuen Welle, erscheint zum ersten Mal auf DVD.

Im Mythos verlässt Ödipus Korinth, weil er sein Schicksal nicht erfüllen möchte. Das Orakel von Delphi hatte ihm vorausgesagt, dass er seinen Vater erschlagen und seine Mutter heiraten werde. Dieser Fremdbestimmung möchte er entgehen und stattdessen sein Leben selbst entwerfen. Wenn wir von den omnipräsenten entwicklungspsychologischen Interpretationen der alten griechischen Sage zurücktreten, dann finden wir in diesem Moment die Geschichte eines Aufbegehrens gegen die Zuweisung von Identität (durch eine gottgegebene Welt).

Identitäten-Wühlkiste

Funeral Parade of Roses (1969) gleicht, nomen est omen, einem üppigen Blumenstrauß, der sich jedoch weniger wie eine Parade als wie ein Reigen organisiert. Die verschiedenen Stränge des Geschehens unterbrechen sich ohne augenfälligen Plan, greifen vage ineinander und umkreisen einander verspielt. Mal wird eine Geschichte erzählt, mal impressionistisch den Figuren in ihrem Alltag gefolgt, mal wird das Medium Film in Metadiskurse verstrickt. Mal geht es um transsexuelle Amüsierdamen, mal um Studentenproteste, mal um einen Filmklub. Mal gibt es kunstvoll entworfene Einstellungen, mal ungezwungenes Stromern durch eine vorgefundene Welt, mal experimentelle Verformungen. Das Ergebnis hat etwas von einer Wühlkiste, in der voller Spaß neue Identitäten entworfen werden.

Wenn es so etwas wie ein Zentrum gibt, dann handelt es sich um den queeren Eddie (Peter, der Narr aus Kurosawas Ran (1985)). Mit einer Kollegin befindet er sich im Konkurrenzkampf um die Liebe des Barbesitzers, für den beide arbeiten und mit dem beide eine Affäre haben. Ihn begleiten wir, wenn er mit seinen Freundinnen durch die Stadt streift. Und er bildet das Verbindungsglied zwischen der ansonsten autonomen Welt eines Filmklubs zum Rest des Geschehens, wenn er sich dort mit den Studierenden die politischen Experimentalfilme eines mit Che-Guevara-Chic versehenen Regisseurs anschaut.

In Frauenklamotten am Pissbecken

In Eddie fällt es alles zusammen, das Sexuelle, das Politische, das Ästhetische – allesamt Facetten eines allgemeinen Aufbruchs. Das Aufbrechen traditioneller sexueller Identitäten ist in ihm am augenfälligsten. So sehen wir, wie junge Drag Queens ihre Existenz unverschämt und lustvoll in die Straßen Tokios tragen – das ikonische Bild wird gleich mitgeliefert, wenn drei Leute in Frauenklamotten zu sehen sind, die nebeneinander am Pissbecken stehen. Funeral Parade of Roses bringt diese dem Status quo zuwiderlaufenden Geschlechterentwürfe aber ebenso offensiv und spielerisch auf die Leinwand und bestätigt ihre Existenz auch außerhalb der Fiktion durch Dokumentarminiaturen, in denen die Laiendarsteller interviewt werden.

Wenn wir protestierende Studenten in eigenwilligen Formationen durch die Straßen laufen sehen, dann dokumentiert Funeral Parade of Roses zudem ein politisches Aufbegehren, das in Japan schon seit den ANPO-Massendemonstrationen von 1960 schwelte und 1968 abermals massiv entfacht wurde. Die zuweilen obskur scheinenden und verstörenden Details des uniformierten Individualismus der japanischen 68er geht der Film zwar nicht nach, der aus dem dokumentarischen und experimentellen Kurzfilm kommende Regisseur Toshio Matsumoto– gerade dieses Genre stand in Japan zu der Zeit vor allem im Zeichen politischer Dissidenz – findet jedoch auch im Knappen fiktionalisierte wie reale Dokumente eines Lands im Aufruhr, wo in dunklen Zellen und in militanten Paraden voller Jugend ein politischer Umbruch ersehnt wird.

Spaß an der Desorientierung

Zu guter Letzt ist es eben der Film selbst, der neue Ausdrucksformen sucht. Im Spaß an der Desorientierung drückt sich das wohl am deutlichsten aus. Schon zu Beginn überbelichteter Aufnahmen von hellen, sich liebkosenden Körpern vor hellem Hintergrund: Die Zuordnung von Geschlechtern wird vorsätzlich erschwert. Dann immer wieder Schnitte, die einem im Unklaren lassen, in welchen Kontext sich nun schon wieder hineinkatapultiert wurde – mitunter unterstützt von materiellen oder elektromagnetischen Verformungen der Bilder, die genauso genüsslich ausgekostet werden wie die erst später nachgelieferte Aufklärung der Umstände, die der Schnitt mit sich brachte.

Funeral Parade of Roses beginnt mit einer klaren Situation. Eddie und sein Liebhaber/Chef Gonda (Yoshio Tsuchiya) waren im Bett und besprechen die Situation in Hinblick auf die Konkurrentin Eddies, Leda (Osamu Ogasawara). Als sie im Anschluss durch die Stadt fahren, kommen sie an ihr vorbei. In einem flüchtigen Moment werden Tatsachen geschaffen. Die Handlung scheint sich von diesem Punkt einer indirekten Konfrontation und Erkenntnis wegzubewegen. Tatsächlich kommen wir aber immer wieder hierhin zurück. Immer wieder endet alles in der Einsicht, dass wir uns auf dem Weg zur Eröffnungssequenz befanden und dass diese immer wieder um neue Perspektiven angereichert wurde. Die Suche nach dem Neuen kommt immer wieder an den gleichen, immer vielförmiger werdenden Punkt, der sich sexuell, politisch und ästhetisch auflädt.

Gore, Entsetzen und eine bittere Pointe

Wenn sich die letzten Minuten dann doch darüber hinaus bewegen, wird all das fidele Spiel mit den Identitäten zu einem Punkt verdichtet, wo sich Funeral Parade of Roses als Variation des Ödipus-Mythos offenbart. Laut, mit Gore, Entsetzen und einer bitteren Pointe legen sich diese wenigen Minuten mit ihrem Fatalismus wie ein Schatten über den Rest des Films. Es sticht aus dem sonstigen Wust heraus, auch weil das Geschehen hier Klarheit erlangt.

In einem Interview hat Jacques Rivette einmal sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass politische Filme nur dann nicht naiv zu wirken scheinen, wenn sie das Moment der Niederlage der Utopie in sich tragen. Auch die Spiele, die Freiheit, Selbstbestimmung und Lust versprechen, sie werden kein Utopia mit sich bringen, dafür werden das Schicksal, die Gegebenheiten des Lebens oder was auch immer schon sorgen, so könnte das Ende gelesen werden. Vielleicht ist aber auch der Ausdruck dafür, dass das Ausprobieren in neuen Definitionen enden muss. Ob dieser Schluss nun Weit- beziehungsweise Klarsicht bewies – mitproduziert wurde Funeral Parade of Roses von der Art Theater Guild, welche die Scherben der beim großen Filmstudio Shōchiku gestarteten und schon im Abebben befindlichen japanischen neuen Welle auflas und ihr kurzfristig nochmal ein größeres Standbein gab – oder den Keim der Niederlage in sich trug, mit diesem erneuten Bruch mit sich selbst erweitert sich die Reichhaltigkeit eines aufbegehrenden Films nur noch weiter.

Den Film kann man gerade bei MUBI streamen

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