Frisch – Kritik
Aus Duisburger Gullis dringt Dampf, als wären wir in New York. Damian John Harper hat mit Frisch einen deutschen Gangsterfilm gedreht, dem der Balanceakt zwischen Realismus und Stilisierung nicht immer gleich gut gelingt.

Kai (Louis Hofmann) ist so unscheinbar als wäre er durchsichtig. Tagsüber zerlegt er im Schlachthaus Schweine, nachts versucht er mit Pferdewetten und Drogenkurierfahrten aus seinen Schulden herauszukommen, was ihn aber immer nur weiter in die Misere treibt. Zögerlich, angespannt und mit gesenktem Blick lässt er sein Leben hilflos an sich vorüberziehen. Und doch träumt er noch immer davon, dass sich alles zum Guten wenden könnte.
Für diese Rest-Utopie greift Regisseur Damian John Harper auf die Mythen des Wilden Westens zurück. In einer Bar tönt aus der Jukebox verheißungsvolle Country-Musik und wiederholt laufen im Fernsehen alte DEFA-Indianerfilme mit Gojko Mitić. So rau wie im Western ist zwar auch der Alltag in der konsequent finsteren Industrie-Tristesse von Frisch, der entscheidende Unterschied besteht jedoch darin, dass in Kais Welt eben nicht alles möglich ist. Dass der Wilde Westen durch die Linse der DDR gezeigt wird, entlarvt ihn noch deutlicher als Fantasie. Denn auch Kais Dilemma ist, dass er zwar gerne nach Paris oder Colorado auswandern möchte, sich aber eigentlich nach einem Ort sehnt, den es gar nicht gibt.
Klassischer Thrillerstoff

Mehr noch als von den äußeren Umständen wird der Protagonist von seinem dominanten Bruder Mirko (Franz Pätzold) erdrückt. In romantisch verklärten Rückblenden sehen wir, wie die beiden Cowboy und Indianer spielen. Der sensible, in sich gekehrte Kai ist seinem Bruder gegenüber loyal, weil er ihn damals schlagkräftig gegen mobbende Mitschüler verteidigt hat. Aber irgendwas passiert über die Jahre mit Mirko. Wie von einer dunklen Macht besessen, wird er immer aggresiver und unkontrollierbarer. Als er schließlich im Gefängnis landet, ist Kai insgeheim froh darüber.
Basierend auf Mark McNays gleichnamigem, in einem Arbeiterbezirk von Glasgow angesiedeltem Roman erzählt Frisch von einer so fragilen wie zerstörerischen Brüderbeziehung. Die Story an sich ist ein klassischer Thriller-Stoff: Bevor Mirko ins Gefängnis ging, hat er in Kais Wohnung Geld deponiert, das sein Bruder bald ausgegeben hat. Als Mirko vorzeitig entlassen wird, versucht Kai verzweifelt, das Geld wiederzubeschaffen. Dieses Problem ist im Film aber überraschend schnell gelöst. Von nun an versucht Kai, seine Ehe zu retten und seinen Bruder ganz los zu werden.
Geheimnisvoll glühendes Orange

Die eigentlich simple Geschichte übersetzt Frisch zunächst in eine komplexe Rückblendenstuktur, durch die sich die unterschiedlichen Erzählstränge nicht immer leicht auseinanderhalten lassen. Auf eine gewalttätige Kindheit folgen Kais Versuch, mit Freundin Ayse (Canan Kir) das bürgerliche Familienglück zu finden und schließlich eine Reihe gedankenloser Investitionen. Sounds und Bilder verschiedener Zeiten fließen ineinander, wodurch man sich nicht immer leicht orientieren kann. Lediglich einige Details wie der blonde Schnauzer, den Mirko nach seiner Haftentlassung trägt, geben bei den ständigen Handlungssprüngen Halt.
So utopisch wie die Zukunft, nach der sich Kai sehnt ist, so irreal wirkt auch die stilisierte Neo-Noir-Kulisse des Films. Im Ruhrpott soll Frisch spielen, aber trotz authentischer Einsprengsel (Spuren von Dialekt) befinden wir uns in einer überhöhten Kinowelt. Leer sind die Straßen und Dampf dringt aus den Gullis, als wäre man in New York. Zudem beherrschen irreal wirkende Farben die Bilder: Kalte Blautöne und ein geheimnisvoll glühendes Orange, das von Draußen durch die Fensterscheiben dringt.
Bemüht augenzwinkernd

Harper beweist Einfallsreichtum und Stillwillen, was seinen Film dynamisch, stimmungsvoll und visuell abwechslungsreich wirken lässt. Die Hochzeit mit Ayse erzählt Frisch etwa als Dia-Show aus Schnappschüssen nach und bei einem besonders brutalen Ausbruch seines Bruders verharrt die Kamera lange auf dem nervösen Gesicht Kais, der sich ins Nebenzimmer zurückgezogen hat. Besonders in der ersten Hälfte übertreibt es der Film gelegentlich mit seinen inszenatorischen Mätzchen. Besonders misslungen ist die Idee, Kais innere Stimme durch eine zweite zu ergänzen, die von Ralf Richter gewohnt rotzig polternd gesprochen wird. Das wirkt etwas bemüht augenzwinkernd und passt nicht recht zum restlichen Tonfall des Films. Glücklicherweise verschwindet dieses Stilmittel aber nach einer Weile wieder.
In der zweiten Hälfte von Frisch kommen die siffig vergilbten Interieurs, die abgründigen Charaktere und die ausweglose Situation Kais durch eine geradlinigere Erzählweise besser zur Geltung. Besonders die Spannung zwischen den beiden Brüdern bestimmt den Film: Louis Hofmann wirkt immer ein wenig defensiv und verschreckt, während Franz Pätzold mit irrem Blick und einer für sein Alter auffällig rauen Stimme immer übergriffiger und geifernder eskaliert.
Frisch bleibt insgesamt zu sehr in der Schwebe. Er hätte mehr Stilisierung vertragen oder eine genauere Milieuzeichnung, oder auch psychologisch ausgearbeitetere Figuren. Harper versucht teilweise zu viel auf einmal statt seine Stärken gezielter auszuspielen. Doch zumindest streckenweise gelingt ihm ein düster schäbiger Genrefilm jenseits von drögem Realismus.
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