Frankie – Kritik
Wo die Liebe wegfällt. Ira Sachs versammelt im portugiesischen Sintra einen grandiosen Cast um die todgeweihte Isabelle Huppert – und lässt auch in Frankie wieder das Große ganz klein aussehen.

Die feine Dame am Kaffeetisch labert Frankie nach allen Regeln der Kunst voll, noch immer trunken vor Glück, dass ausgerechnet an ihrem Geburtstag die bekannte Schauspielerin Françoise Crémont zufällig in die Party läuft. Frankie investiert in ihre Reaktionen gerade so viel wie nötig, um den Schein der Höflichkeit zu wahren, ein Oh hier, ein Ah da, viel schlampige Mimik, aber für die Dame reicht’s. Gegenüber Gary (Greg Kinnear) wird sie später nicht die Kunst der minimalistischen Reaktion üben, sondern die der unausgesprochenen Verachtung: Auf seine Frage, ob er sie Frankie nennen dürfe, sagt sie: „So nennen mich meine Freunde …“ Später entschuldigt sie sich: „Ich muss mal langsam zu meinem Sohn, das hier sollte schließlich ein Familienurlaub werden …“
Gleichgültigkeit und Verachtung

Wohl nur Isabelle Huppert kann Gleichgültigkeit und Verachtung so charmant rüberbringen, dass nur wir, nicht aber die Gleichgültigen und Verachteten etwas bemerken. Gleichgültig ist Frankie vieles, weil sie todkrank ist, wohl zum letzten Mal ihre in alle Winde verstreute Familie um sich versammelt, ins pittoreske Sintra nördlich von Lissabon eingeladen hat. Gary wird von ihr verachtet, weil er ihren letzten großen Plan zu durchkreuzen scheint: Sohn Paul (Jérémie Renier) mit der befreundeten Haarstylistin Ilene (Marisa Tomei) zu verkuppeln. Dass die vom Star-Wars-Set in Spanien, auf dem sie gerade stylt, den mit ihr liierten Second-Unit-Kameramann mitbringen wird, konnte Frankie nicht ahnen. Deshalb wird Überraschung schnell zu Verachtung: Wer ohnehin bald stirbt, muss keinen Gary mögen.

Dass sie aber bald sterben wird, scheint Frankie selbst am wenigsten zu schaffen zu machen. Weil die, um die sich eigentlich alles dreht, bald nicht mehr da sind wird, dreht sich Ira Sachs’ Frankie vorwiegend um die, die sich noch ein bisschen länger um sich selbst drehen müssen. Frankies Mann Jimmy (Brendan Gleeson) versichert ihrem Ex-Mann Michel (Pascal Greggory), dass er an eine Zeit nach Frankie noch gar nicht denkt, betritt morgens aber mit verheulten Augen die Bäckerei. Andere von Frankies Gästen haben andere Sorgen. Jimmys Tochter aus erster Ehe Sylvie (Vinette Robinson) sucht heimlich schon mal nach Wohnungen, um sich von ihrem Mann Ian (Ariyon Bakare) zu trennen, und bringt damit die gemeinsame Tochter Maya (Sennia Nanua) in die Zwickmühle, die deshalb lieber, wie sich das für einen Teenager gehört, in Richtung Strand flüchtet und sich einen Portugiesen mit Surfbrett anlacht.
Die letzte Party eines weiblichen Gatsbys

Auch Ira Sachs geht gewohnt minimalistisch zur Sache in Frankie, investiert gerade mal einen einzigen Tag Handlung, ein hübsches Setting, eine Handvoll Figuren, ein paar Begegnungen und Dialoge zwischen ihnen, ein bisschen Musik. Gleichgültig aber ist ihm nichts, und zum Verachten ist er nicht fähig. Wie bei Rohmer ist alles Situation und Sprache, kommt frische Luft in stickige Verhältnisse. Im beliebten Touristen-Ziel Sintra scheinen die Dinge näher am Licht, die Beziehungskisten lockern ihr Schloss. Gary erklärt Ilene unbeholfen, aber irgendwie von oben herab, er wolle mit ihr zusammenziehen; Ilene sagt später, in New York hätte sie wahrscheinlich ja gesagt. Und auch die Beziehung zwischen Sylvie und Ian scheint kein romantisches Dorf mehr retten zu können, ganz im Gegenteil. Zwei Trennungen mit unterschiedlicher Dauer, beide gehen erwachsen, fast beiläufig über die Bühne.

Aber es ist vielleicht weniger das Licht oder die Luft Sintras als die Präsenz der Sterbenden, die den Regler der Aufrichtigkeit ein wenig aufdreht. Huppert ist diesem Film ein Geschenk, nicht nur wegen der vielen tollen kleinen Gesten, sondern auch weil sie die größtmögliche Präsenz aus der unbestimmtesten Figur herausholt. Wer war Frankie? Wir können das nicht an ihr, wir müssen das an den Menschen ablesen, die mit ihr ein Leben verbracht haben. Der Film ist wie die letzte Party eines weiblichen Gatsby, der ungreifbar bleibt, sich längst in die eigenen Gemächer zurückgezogen hat und die Partygäste mit ihren eigenen Existenzen allein lässt.
Veränderung unter der Lupe

Das Große klein aussehen lassen, das ist die Sache von Ira Sachs. In Frankie geschieht nicht viel, ein jugendlicher Kuss am Strand, eine Entscheidung, die reift, eine andere, die plötzlich da ist, eine Umarmung im Bett, eine gescheiterte Verkupplung. Wie in Jimmys Gesicht fließen die Tränen hier nicht, sondern trocknen. Und doch: Wenn in einer letzten Totale an den Klippen die Figuren nach und nach aus dem Bild abtreten, ist ja doch eigentümlich viel passiert. Ira Sachs’ Filme richten das Vergrößerungsglas auf einen Punkt im Prozess, um den Prozess zu verstehen, ob es dabei um das Altern (Liebe geht seltsame Wege) geht, die Gentrifizierung (Little Men) oder Beziehungen aller Art. Frankie ist das Close-up auf einen Tag, durch das wir ein Gefühl für den Körper außerhalb des Rahmens bekommen. Der „Guardian“ nennt den Film ob seiner Sinnlosigkeit ein Verbrechen gegen das Kino. Ich würde ihn manchem Poser-Regisseur gern als Resozialisierungsmaßnahme vorschreiben.
Neue Kritiken

Mein 20. Jahrhundert

Caught Stealing

Wenn der Herbst naht

In die Sonne schauen
Trailer zu „Frankie“




Trailer ansehen (4)
Bilder




zur Galerie (12 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.