Four Lions – Kritik
Darf man über islamistische Selbstmordattentäter lachen? Ein CSU-Abgeordneter hielt das für zu brisant und wollte den Kinostart der tiefschwarzen englischen Satire verhindern – zum Glück ohne Erfolg.

Drei selbsternannte Dschihadisten drehen ein Bekennervideo: „Sit properly – like you mean it“, meint der hinter der Kamera zu dem davor, dessen Waffe außerdem zu klein sei, um Eindruck zu schinden. „Like you mean it“ bringt die Komik und die Tragik der planlos posenden Amateur-Attentäter gleich zu Beginn auf den Punkt. Sie wollen gegen westliches Teufelszeug wie die „church of McDonald’s“ und „Mini Babybels“ in den Krieg ziehen, haben dabei aber Tupac Shakur und Mortal Combat als Vorbilder und sind sich nicht sicher und nur selten einig, was sie überhaupt meinen.

Der gefilmte Waj (Kayvan Novak) stellt sich das Paradies als Wasserrutsche in einem britischen Themenpark vor. Ein Anschlag würde dafür sorgen, dass er nicht wie alle üblichen Sterblichen in der Warteschlange stehen müsse. Kameramann Barry (Nigel Lindsay) – „the most al-Qaeda of all“ – möchte gerne eine Moschee in die Luft sprengen, um die muslimischen Brüder gegen die ungläubigen „kuffar“ zum „total war“ zu mobilisieren. Und Fessal (Adeel Akhtar) kauft die Sprengstoffzutaten stets im selben Geschäft, als Tarnung aber immer mit verstellter Stimme – zum Beispiel mit der eines IRA-Terroristen. Regisseur Christopher Morris hat mehrere Jahre über Selbstmordattentäter recherchiert und scheint vor allem zu einer Erkenntnis gekommen zu sein: Nicht wenige von ihnen sind erschreckende Stümper.

Die insgesamt fünf stümperhaften „Stooges“ von Four Lions sind ebenso sympathisch und liebenswert wie verblendet und dämlich. Der kaltblütigste und bis zum Schluss verbohrteste der Truppe, Barry, ist auffälligerweise nicht-arabischer Herkunft. Später sind sie nur noch vier, nachdem einer mit Explosivem über ein Schaf in den verfrühten Märtyrertod gestolpert ist. Ihre Verblendung und Dämlichkeit hat allerdings Abstufungen. Waj hält Hühner für „rabbids without ears“ und meint, Mekka liege immer im Osten, ganz gleich, in welchem Land man sich befinde. Dagegen weiß Omar (Riz Ahmed) im Gegensatz zu Barry zumindest, dass es als „anti-surveillance“-Maßnahme nichts nütze, mit wackelndem Kopf durch die Gegend zu laufen, da CCTV schließlich keine Fotos, sondern Videos mache. Schnappschüsse, Bilder mit Nachsichtgerät und Außenaufnahmen der Sheffielder Terrorzentrale zeigen, dass die Gang tatsächlich von der Polizei überwacht wird, die aber mindestens so unfähig agiert wie ihre Zielobjekte („Whe shot the right man, but the wrong man explodet.“).

Die unterschiedlichsten Medien sind im Film allgegenwärtig, ob Handy oder Computerspiel, Fernseher im Bus oder Überwachungskamera im Kebab-Shop. Morris ist im englischen Fernsehen als Prankster mediengeiler Promis gefürchtet und hat ohne Rücksicht auf politische Korrektheit sensationsjournalistische TV-Sendungen im Stil von „Explosiv“ durch den Kakao gezogen. Die Figuren von Four Lions sind von westlicher Kultur geprägt und wollen ihr gleichzeitig den Krieg erklären. Nach einem Streit kommunizieren sie nicht direkt miteinander, sondern über ihre Computerstellvertreter, animierte Papageientaucher, die sich zu einer „puffin party“ treffen. Omar erklärt seinem Sohn anhand einer König der Löwen-Gute-Nacht-Geschichte auf verdrehte Weise den Dschihad. Und als sich Waj im Kebab-Shop entscheiden muss, ob er den Laden, in dem sich kein einziger „kuffar“, sondern ausschließlich „brothers“ aufhalten, in die Luft jagen soll, schießt er erst mal ein Handyfoto seines Gesichts, um festzustellen, ob er nun „confused“ ist oder nicht. Man kann das als eine der zahlreichen Waj-Blödheiten abtun, es verdeutlicht jedoch das zentrale Dilemma der Charaktere: Sie vertrauen eher Abbildern als ihren eigenen Gefühlen, sind mehr Ab(zieh)bilder realer Selbstmordattentäter als von ihrem Vorhaben überzeugt. Dabei bekennt Waj in einer früheren Szene: „My heart says it’s wrong, don’t do it.” Ein kürzlich auf YouTube aufgetauchtes Video, in dem pakistanische Kinder Selbstmordattentäter spielen, demonstriert auf bittere Weise den Einfluss der Medien und die Aktualität von Morris’ These.

Der Regisseur denunziert nicht den muslimischen Glauben, er führt religiöse, rassistische und sexuelle Klischees und Vorurteile jeglicher Art vor. Er verteufelt seine Charaktere nicht, sondern stellt sie, bis auf Barry und besonders in Gestalt von Omar, als zunehmend ambivalente Figuren mit wachsenden Gewissenskonflikten dar, die nicht zuletzt wegen ihrer Schwächen und Widersprüche komisch und schlussendlich tragisch wirken. Auch ein Verharmlosen der Thematik kann man Morris’ überwiegend mit Handkamera gedrehtem Kinodebüt nicht vorwerfen, da es das Hauptproblem von Selbstmordattentaten, das Töten Unschuldiger, mehrfach betont.

Bei allen ernsten Aussagen ist Four Lions aber, wenigstens in der Originalversion, in erster Linie sehr, sehr witzig. Das verdankt er der großartigen Buddy-Chemie des Darstellerteams, dessen rasante und absurde Schlagabtausche und Streitereien Morris mit drei Co-Autoren verfasst hat, die ähnlich komische Dialoge für die britischen Serien Peep Show (seit 2003), The Thick of It (seit 2005) sowie das Drehbuch zum Kino-Spin-off von Thick, die Politsatire In the Loop (2009), geschrieben haben. In einer der schönsten Szenen, während des geplanten Anschlags der vier Löwen auf dem Londoner Marathon, diskutieren zwei Scharfschützen darüber, ob ein „Wookie“ ein Bär sei oder nicht. Allerdings zu spät – der Wookie ist „down“, und das eigentliche Zielobjekt ist auch kein Bär, sondern Omar im Tarnanzug des „Honey Monster“. Und der landet schließlich dort, wo er nie enden wollte: „in the wrong place“, zwischen Tampons.
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Kommentare
falschistneuerichtig
super Film. Ich freu mich auf den 21.04.
Herbert
ist der film rassistisch?
anna
tolle kritik. freu mich auf den film!
KoyoteKarl
Lange nicht mehr so gelacht im Kino, aber das Lachen bleibt einem immer wieder im Halse stecken. Ein sehr unterhaltsamer und gleichzeitig tiefgründiger Film.
Panda
Der Film ist sehr witzig und zugleich auch nachdenklich und ernsthaft. Ich würde aber gerne die Orginalfasssung sehen, da ich glaube der Film hat sehr unter der Synchronisation gelitten.
Berthold Schwarz
Barry als extremistischer Konvertit ist wirklich herauszuheben. Zusammen mit Omar, der eine bequeme Mittelschichtsexistenz lebt, aber vom Märtyrertod träumt, bildet er das tragende Duo des Films. Lustig ist der Film allemal, aber erschreckend die beiläufige Begeisterung, mit der der Jihad im Omars Familienkreis besprochen wird.
PS: Das Videospiel heisst Mortal Kombat.
6 Kommentare