Flux Gourmet – Kritik

Berlinale 2022 – Encounters: Es ist angerichtet: Flux Gourmet serviert feinste Soundfetische und private Obsessionen. Regisseur Peter Strickland identifiziert sich dabei mit den Verdauungsproblemen eines griechischen Schreiberlings.

Die andauernden Flatulenzen, die sexuelle Magie von Eiern und Intimgerüchen, das Innere des Darms: Peter Stricklands Flux Gourmet ist voller unangenehmer Privatheiten und kleiner Obsessionen, die ungern an die Öffentlichkeit kommen. Und doch passiert genau das ständig im Sonic Catering Institute, einer Künstlerresidenz für „kulinarische Kunst“, geleitet von der strengen Jan Stevens (Gwendoline Christie). Für vier Wochen wird hier ein Stipendium vergeben. Das Kollektiv aus Elle (Fatma Mohamed), Billy (Asa Butterfield) und Lamina (Ariane Propria) hat es bekommen, weil es seine Kreativität aus genau diesen Dingen zieht.

Gemeinsam finden die drei langsam die eigene künstlerische Stimme in der Inszenierung von Schocker-Performances: Sie rammen sich, splitterfasernackt und mit blutroter Sauce überströmt, das Mikro tief in den Mund, amplifizieren die Körpergeräusche zu horroresken Schreien, bringen eine Darmspiegelung auf die Bühne oder reiben sich zur Erzählung vom Sex, bei dem man seinen Partner als Toilette benutzt, mit brauner Schmiere ein.

Klogeräusche synchronisieren

Obsessionen nicht nur bei den Figuren, sondern auch bei Peter Strickland selbst, der seinem Sound-Fetisch (wobei er seine Figur Billy einmal darauf insistieren lässt, dass „Fetisch“ das falsche Wort für so etwas sei) freien Lauf lässt. Noch mehr vielleicht sogar als in Berberian Sound Studio, der eher spezifisch dem Ton des 1970er-Jahre-Giallos eine Hommage lieferte. Flux Gourmet jedenfalls kostet öfter die Performances des Kollektivs aus, serviert dabei allerlei Klangspezialitäten, feiert – und da doch wieder ähnlich dem früheren Film – sogar spezifisches Tonequipment.

Nur mit dem Essen, den dazugehörigen Körpergeräuschen und dem Ekel tut sich Flux Gourmet ein bisschen schwerer: ähnlich dem griechischen Schreiberling Stones (Makis Papadimitriou), der mit seiner Verdauung zu kämpfen hat und nicht möchte, dass das irgendjemand mitbekommt. Was da nachts raus will, muss genau mit der Klospülung getimt werden – Direktheit ist Tabu. Und da hat Flux Gourmet in diesem Stones auch wirklich einen Verbündeten gefunden, auch weil dessen Perspektive des Außenstehenden irgendwie die unsere ist, wir uns hier an das ganze Programm des Instituts mit der allabendlichen Essenstafel und den leicht entrückten Diskussionen drum herum gewöhnen müssen. Vor allem aber, weil auch Strickland nie wirklich nur dem Phänomen des Ekels frönt, sein Film nicht unsere Sinne angreift, obwohl es für diesen soundverliebten Regisseur und einen um Körpergeräusche herum konzipierten Film sicherlich kein Problem wäre.

Triebe mit Diskursen kontrollieren

Flux Gourmet weiß um sein Potenzial, möchte aber nicht, dass sein Publikum mit dem der kulinarischen Performances identisch ist: so lange begeistert von der Kunst, wie das Blut, die Darmspiegelung, der Kot echt sind, aber enttäuscht, wenn sich Letzteres doch nur als Schokopudding herausstellt. So wird das ganz Direkte hier systematisch wieder ausgebremst und mit Diskursen (die „Frau am Herd“ und die griechische Antike geistern manchmal herum) belastet, die dann doch nicht wirklich zu etwas führen. Das überraschendste am neuen Strickland-Film ist also vielleicht, wie brav und wenig explizit er bleibt. Aber die eigene Schocktherapie andauernd verweigern ist vielleicht auch ganz gut für ein Werk, das sich Gedanken über die (Un-)Möglichkeit der Unmittelbarkeit von filmischem Ekel macht. Nur dass Strickland damit auch ziemlich viele Schauwerte einfach ausschließt, dem Trieb der eigenen Obsessionen nicht folgt, sondern ihn unterdrückt.

Die Frage nach den Mitteln der Kunst ist dann vielleicht die einzige, die irgendwo hinführt: Häufig wird über sie diskutiert, vor allem zwischen der schöngeistigen und ein bisschen übergriffigen Leiterin des Instituts und der sich als Kopf des Kollektivs verstehenden Elle. Scharf gehen die Meinungen auseinander, ob das Essen in der künstlerischen Verfremdung noch nachvollziehbar sein oder ob es bis zur Unkenntlichkeit überformt werden soll, eben ob das sonic oder das catering im Vordergrund stehen sollte. Strickland schafft es, sich da nicht einfach auf eine Seite zu schlagen. Er macht das Ekelige recht erträglich, nur heißt das noch lange nicht, dass er aus all der Scheiße auch tatsächlich Schokolade macht.

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