Fluten – Kritik
Schöne neue Arbeitswelt. Georg Pelzer hält uns in seinem Spielfilmdebüt Fluten die bunte Spielzeug-Pumpgun des Startup-Regimes an die Schläfe und fragt: „Bist du faul? Oder bist du einer von uns?“

Der Protagonist ist ein Drifter. Geradezu lautlos und unsichtbar gleitet der junge Mann (Fabian Kloiber) mit Pferdeschwanz durch den Kosmos der anonymen Großstadt. Das U-Bahnabteil, in dem er sitzt, bewegt sich wie eine Raumkapsel in einem urbanen Vakuum schwerelos durch die Zeit. So vergehen mehrere, fast endlos erscheinende Minuten, in denen wir stiller Beobachter eines sich wiederholenden Rhythmus sind: einsteigen, umsteigen und aussteigen. Der Ort des Geschehens offenbart sich erst, als die Haltestelle Landungsbrücken angesagt wird. Hier, am Hafen von Hamburg, wird der junge Mann, den wir als Jonas kennenlernen, angespült.
Auf der Flucht vor der Realität

Schon diese Anfangsszene macht deutlich, dass Georg Pelzers Fluten der Versuch einer soziologischen Studie in Form eines Spielfilms ist. Das fiktive Experiment: Was passiert, wenn ein junger Mensch in einer Großstadt seinen Job verliert? Als Methode wählt Pelzer die teilnehmende Beobachtung. Die von Hand geführte Kamera folgt Jonas wie sein eigener Schatten. Wir werden damit selbst zum Passanten des Geschehens. Jonas’ Gedanken und Emotionen kennen wir nicht. So können wir uns die Handlung nur in dem Maße erschließen, wie Jonas den Lauf der Dinge erlebt. Seine Motivation, seine Person, der Kontext seiner Lebenssituation bleiben durchweg vage, der Blick ein scheinbar objektiver, der die Körper und ihre Bewegungen und Beziehungen allein von außen wahrnimmt.

Der quasi dokumentarische Ansatz von Fluten beruht auf einer Handlungsbeschreibung, keinem Drehbuch. Das Spiel der Darsteller basiert weitestgehend auf Improvisation. Die Realität des Protagonisten formt ihr eigenes Bild, ganz ohne künstlerische oder künstliche Effekte. So wird Jonas’ Situation zunehmend zur Zerreißprobe. Für ihn, aber auch für uns, beobachten wir doch in gefühlter Echtzeit, wie er sich zunehmend in ein ungewolltes Doppelleben verstrickt.

Denn während er durch die Straßen streift, wird er einmal selbst zum Zuschauer, und wir zu seinem Komplizen, als er zufällig mitbekommt, dass sein ehemaliger Chef Marc (Tobias Schormann), ein schnöseliger Startup-Gründer, in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Jonas spürt nun täglich Marc auf und heftet sich unbemerkt an seine Fersen, bricht sogar zwei Mal in seine Wohnung ein. Aus der anfänglichen Leere wird eine Mission und aus der Einsamkeit eine Begegnung, als Jonas schließlich auf die junge Melissa (Tamara Theisen) trifft, während seine Freundin Katharina (Alissa Borchert) zu Hause für ihre Jura-Prüfung büffelt.
Performancedruck in unseren Köpfen

Man muss diesen Film und die eigene Rolle des Beobachters aushalten können, die langen Passagen, in denen nichts zu passieren scheint, die Dialoge, die lose im Raum stehen bleiben; selbst die Sex-Szenen wirken wenig dramatisch, sondern einfach nur: echt. Der Realismus von Fluten kreist dabei immer um die Fremd- und Selbstwahrnehmung seiner Figuren: ein permanenter Zustand der Verunsicherung. Das Heilsversprechen der Selbstverwirklichung entlarvt Pelzer denn auch als Illusion, indem er mit ruhiger Hand das glänzende Image der schönen neuen Arbeitswelt zerlegt: die Startup-Mentalität mit ihrem Teamgeist und Gamification-Lifestyle, die Kreativen und Innovativen von heute, die auf Vernetzung und Kooperation anstatt Konkurrenzkampf setzen, die alles neu machen und denken, und die Zukunft von morgen gestalten. Von wegen. Zu lachen hat hier niemand etwas. Zum Spaß wird mit Spielzeugpistolen aufeinander geschossen, aber eigentlich wollen alle nur raus aus diesem New-Work-System.

Den dystopischen Tonfall lässt Pelzer bereits zu Beginn von Fluten in einer Art Epilog anklingen: Der Screen ist noch schwarz, als Marcs Stimme von oben herab zu uns spricht: „Du musst dir die Frage stellen: Bist du faul oder bist du einer von uns?“. Dieser Performancedruck ist in Fluten allgegenwärtig und pocht auch spürbar in unseren Zuschauer-Schläfen: Katharina kämpft um ihr Staatsexamen, Marc um den nächsten Investor für sein Startup – und Jonas? Jonas schwimmt im Strom der Ereignisse, wie ein Stück Treibgut in seinem eigenen Leben. Doch auf Ebbe folgt bekanntlich die Flut. Die Nordsee ist nicht weit, und während in der großen Stadt sich alle die Köpfe einschlagen, geht Jonas hier Wind und Wellen entgegen.
Neue Kritiken

Nuestra Tierra

While The Green Grass Grows (Parts 1+6)

Copper

Kleine Dinge wie diese
Trailer zu „Fluten“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (13 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.