Abschied von der Nacht – Kritik
VoD: André Téchiné hat auch für seinen neuen Film Abschied von der Nacht mit einer Co-Autorin zusammengearbeitet, die Expertin für jugendliches Begehren ist. Nur richtet sich dieses nun nicht in Richtung erste Liebe, sondern in Richtung Djihad

Auch die Grande Dame Catherine Deneuve kann die Grande Nation vor dem Islamismus nicht schützen. Muriels Enkelsohn ist kürzlich zum Islam konvertiert, und die Besitzerin einer Farm mit Reitschule und Kirschbaumplantage beäugt Alex’ (Kacey Mottet Klein) neue Rituale zunächst noch eher skeptisch als panisch. Als sie aber einen Brief findet, aus dem hervorgeht, dass Alex keineswegs vorhat, nach Kanada überzusiedeln, sondern sich in Syrien dem IS anschließen will, greift sie zu drastischeren Maßnahmen und sperrt ihn in die Scheune. André Téchinés neuer Film Abschied von der Nacht ist dramaturgisch zu fleißig, um die großmütterliche Einzelhaft mit Pferden und regelmäßigen Essensfuhren noch ein wenig zu genießen, also karrt Muriel bald den geläuterten IS-Kämpfer Fouad (Kamel Labroudi) aus dem nahe gelegenen Gefängnis her, um Alex’ von Freundin Lila (Oulaya Amamra) gewaschenes Gehirn wieder zurückzuwaschen.
Keine inszenatorische Entscheidung bleibt folgenlos

Abschied von der Nacht ist ein ungewöhnliches Projekt für André Téchiné, und es ist ein merkwürdiger Film entstanden, changierend zwischen den fast immer tollen Bildern von Kameramann Julien Hirsch und einem Drehbuch, das zwar niemals so didaktisch daherkommt, wie es das in anderen Händen vielleicht wäre, aber doch immer wieder in Richtung TV-Unterhaltung tendiert. Und natürlich kann der politische Unterbau bei einem solchen Sujet nicht nur Staffage sein, bleibt keine inszenatorische Entscheidung folgenlos. Die Figuren müssen, deutlich stärker als in Téchinés letzten Filmen, auch Tendenzen und Phänomene repräsentieren, sind daher weniger frei als in Mit siebzehn, in dem die jugendlichen Protagonisten selbst Bild, Ton und Schnitt völlig in der Hand zu haben schienen, so sehr platzten sie vor Leben. Wie schon diesen letzten Film hat Téchiné auch das Drehbuch von Abschied von der Nacht mit einer Co-Autorin geschrieben, auch dieses Mal mit einer jungen Regisseurin: auf Céline Sciamma folgt Léa Mysius, die kürzlich mit ihrem Debütfilm Ava Preise und Kritikerherzen gewann. Auch dort ging es um ein jugendliches Pärchen auf Abwegen, auch dort war die Sache wilder, weniger vorhersehbar, offener.
Das Begehren filmisch (nicht) erfassen

Aber vielleicht ist es genau das, was diesen Film so seltsam macht: Téchiné will einerseits zeigen, denn das hat er im Buch Les Francais jihadistes von David Thomson gelernt, wie der Islamismus zu einer Mode geworden ist, die längst nicht nur mit dem Islam aufgewachsene Jugendliche anzieht. Im Film erklärt das Fouad der erstaunten Muriel, als die ihm die große Warum-Frage stellt. Andererseits will sich Téchiné nicht erlauben, dieses Begehren auf ähnliche Weise filmisch zu erfassen wie das homoerotische aus seinem letzten Film, kann seinen djihadliebenden Islamisten nicht die gleiche jugendliche Energie, die gleiche Vitalität zugestehen wie seinen einander liebenden Jungs aus Mit siebzehn. Um dieses Problem der Perspektive zu lösen, steht wohl Catherine Deneuve und ihre Großmutterfigur im Zentrum von Abschied von der Nacht, und wenn die dann Bild, Ton und Schnitt völlig in der Hand hat, ist das Ergebnis entsprechend statisch.
Der Film steht bis 17.03.2022 in der Arte-Mediathek.
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