What a Fantastic Machine – Kritik
VoD: Mit einer rasanten Collage liefert What a Fantastic Machine einen so unterhaltsamen und vielseitigen Abriss der Bewegtbild-Geschichte, dass selbst zappelige Schulklassen verstummen.

Jedes Jahr versteckt die Berlinale einige großartige Filme in der Kinder- und Jugend-Sektion Generation, wo sie dann oft recht wenig Beachtung finden. Warum bestimmte Werke dort landen statt in vermeintlich wichtigeren Sektionen hat wohl nicht zuletzt damit zu tun, dass der Berlinale Weltpremieren enorm wichtig sind. Im diesjährigen Wettbewerb sind 16 von 19 Beiträgen Weltpremieren – die anderen drei sind internationale Premieren. In der wichtigsten Nebenreihe Encounters gibt es ausschließlich Weltpremieren. Zwar dürfte es den meisten Kinobesuchern herzlich egal sein, ob ein Film schon anderswo gelaufen ist, der Berlinale scheint das Prestige einer Weltpremiere aber mitunter wichtiger zu sein als die Qualität. Wie anders ist zu erklären, dass aus ganz Südostasien nur ein einziger aktueller Langfilm auf der Berlinale zu sehen ist, während im Januar beim Rotterdamer Festival gleich 14 Produktionen aus der Region liefen?

Das Bild zwischen Wahrheit und Lüge
Auch And the King Said, What a Fantastic Machine lief bereits woanders, hat in Sundance vor einem Monat sogar einen Dokumentarfilm-Preis gewonnen, wohl auch deshalb läuft er jetzt bei Generation. Die Vorführungen dieser Sektion sind aufgrund der häufig anwesenden Schulklassen nicht unbedingt für andächtige Stille bekannt. Fantastic Machine ließ das junge Publikum – abgesehen von ein paar „Woahs!“ und anderen Lauten des Erstaunens – beim besuchten Screening jedoch größtenteils verstummen.

Mit einer rasanten Collage skizziert der Film die Geschichte der Foto-, Film- und Videokultur. Der Anfang reicht von der Camera Obscura über die älteste erhaltene Fotografie und die Versuche von Eadweard Muybridge bis zu den Lumière-Brüdern – und spätestens da wird der erste von vielen Diskursen der Medientheorie gestreift. Sahen die Lumières die Kamera noch als Instrument zur objektiven, neutralen Dokumentation der Realität – als Wahrheitsmaschine sozusagen –, zeigte wenige Jahre später ihr Landsmann Georges Méliès, dass sie sich auch hervorragend zum Inszenieren oder Verfälschen der Wirklichkeit eignet: Seinen Film The Coronation of Edward VII (1902) – quasi die erste Mockumentary der Filmgeschichte – kommentierte eben jener Edward VII sinngemäß mit den Worten: „What a fantastic machine the camera is! It showed even the parts of the coronation that didn’t take place.“
Gehirne für Werbung öffnen
Im Folgenden zeigt das Regie-Duo Axel Danielson und Maximilien van Aertryck, wie verschiedene Perspektiven die Wahrnehmung verändern und wie Bilder politisch instrumentalisiert wurden – dazu streut der Film auch ein bezeichnendes Interview mit Leni Riefenstahl ein. Wir sehen großartige Aufnahmen von Kindern beim Kinobesuch: In diesen Schuss-ohne-Gegenschuss-Sequenzen erfahren wir nicht, was die Kinder sehen, sondern blicken ausschließlich in ihre mal begeisterten, mal staunenden, mal verängstigten Gesichter, die eindrucksvoll demonstrieren, welche immense Wirkungsmacht Bilder haben können.

Bald schon sind wir beim Kabelfernsehen, das politische Wahlen wie Boxkämpfe inszeniert und dessen Hauptfunktion laut einem interviewten PR-Strategen darin besteht, menschliche Gehirne für Werbespots zugänglich zu machen. Und natürlich landen wir im Web 2.0 mit der ebenso erfreulichen wie schauerlichen Demokratisierung der Videoproduktion, die über YouTube und Onlyfans bis hin zu lebensgefährlichen Stunts und demokratiefeindlichen Verschwörungstheorien führt.
Rückblick an einem Wendepunkt
Fantastic Machine bietet einen ebenso unterhaltsamen wie lehrreichen Abriss der Bewegtbild-Geschichte, ohne dabei Vollständigkeit zu beanspruchen. Der Voice-over-Kommentar der beiden Regisseure wirkt mitunter recht didaktisch, doch die große Leistung dieses Films besteht ohnehin nicht in seinen Erklärungen, sondern in der Selektion und der sinnvollen Anordnung der endlosen Menge potenziellen Materials. Zu einem Zeitpunkt, an dem wir die Schwelle zur vollautomatischen Bildgenerierung und zur Manipulierbarkeit von Live-Videos überschritten haben, blickt er zurück auf den langen Weg, über den wir an diesen Punkt gekommen sind. Die Erfindung der Kamera hat nicht einfach eine weitere technische Maschine in die Welt gebracht, sondern jene Welt entscheidend um- und mitgeformt. Im Kinosaal lässt einen diese Bilder- und Gedankenflut zunächst verstummen – sorgt aber danach für umso mehr Gesprächsstoff.
Der Film steht bis 23.04.2025 in der Arte-Mediathek.
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