Faith – Kritik
MUBI: Glatzköpfiger Übervater, selbsternannte Krieger des Lichts und emotionaler Beistand von Disney's Mulan. Valentina Pedicins Faith zeigt das Ergebnis einer 20 Jahre währenden Selbsterfindung einer italienischen Sekte – mit allem was dazugehört.

Bevor die Bilder sich bewegen, sind da Texttafeln. Als Einführung in die Welt, die uns Valentina Pedicinis Film Faith gleich zeigen wird, steht auf ihnen geschrieben: Im Jahr 1998 hat sich ein Kung-Fu-Meister ganz dem Kampf gegen Dämonen verschrieben und daraufhin junge Kampfsportler rekrutiert, um das Böse zu bekämpfen. Er nennt sie „Warrior Monks“, „Guardian Mothers“, „Warriors of Light“, hat eine von ihnen für den Kampf gegen das Böse auserkoren und ein Kloster gegründet, indem er sie und andere Krieger ausbildet und dort mit ihnen lebt. Bis heute gibt es dieses kleine Kloster, das sich auf einen letzten Kampf vorbereitet – angeblich ohne „emotionalen oder physischen Kontakt“ mit der Außenwelt.
Einer Autofiktion beiwohnen

Pedicini und ihr Filmteam sind nach 20 Jahren Sekten-Existenz nun die ersten Personen, die Zugang zu diesem Kloster bekommen haben: In einer wummernden Techno-Szene werden wir dann das erste Mal in dessen Räumlichkeiten geworfen. Schnelle Bässe, flackernde Lichter, ausgiebig tanzende Körper und mittendrin der Meister selbst, mit Glatze, ganz weißer Kleidung und großem stämmigen Körper. Eine Realität emotional von der Außenwelt abgeschottet? Mit dem ersten Bild stellt Faith sich da gleich mal auf den Prüfstand. Nicht nur weil natürlich schon mit dem ersten Blick die Kamera als Eindringling und Verbindung nach außen feststeht. Sondern auch weil mir diese Gruppe, wie sie da tanzt, irgendwie schon bekannt ist, sie irgendwie mehr Fremd- als Selbsterfindung, mehr ein etabliertes Klischee als autarker Entwurf ist. Glatze, mittleres Alter, stämmiger Körper: Anders habe ich mir den Meister beim Lesen der Texttafeln auch nicht vorgestellt. Stärker hätte er meinen Erwartungen gar nicht entsprechen können. Ganz genau wie all die anderen, die da um ihn herumspringen, bis er die Party mit einem lauten Ruf für beendet erklärt: Die meisten mit geschorenen Haaren, die Frauen häufig noch mit einen Zopf auf der Kahlheit, alle in weißen Klamotten, ganz normiert im Aussehen. Diese homogenisierte Gruppe trifft so ziemlich meine Vorstellung von „Sekte“.
Mit dem Film in diesem Kloster zu sein, bedeutet denn auch dem Ergebnis einer 20 Jahre währenden Autofiktion beizuwohnen. Einer ständigen Selbst-Mythisierung einer Sekte, die sich vielleicht als Regel gibt, kaum bis keinen Kontakt mit der Außenwelt zu haben (einmal folgen wir dann doch jemandem beim ersten Eltern-Besuch nach ein paar Jahren), aber sich ihre ganze Lebensweise, ihre Gefühle, ihre Werte von überall herholt, nur nicht wirklich aus dem Selbst schöpft, wie die Texttafeln zu Beginn nahelegen. Mal sind es Einflüsse einer patriarchalen Kultur: Der Kung Fu-Meister ist, wie sollte es anders sein, ein Übervater für diese Gruppe, ein Abziehbild seiner selbst, der von einigen im Kloster geborenen Kindern (ebenfalls kahl rasiert) Großvater genannt wird. Im Bett liegend spricht er noch ein paar Weisheiten aus, und seine Schüler lässt er als mentales Training in den Spiegel gucken („Sag mir was du siehst?“ „Ich sehe müde aus“ „Schau dahinter.“). Und dann kommen die Einflüsse wieder aus einem ganz spezifischen Kontext und liefern die Affekte für das eigene Training: Einmal singt die auserwählte Kriegerin beim Schlagen gegen den Boxsack den Disney-Song „Sei ein Mann“, und der hat ja bekanntlich schon in Mulan ziemlich gut auf den Kampf vorbereitet.
Spielfilmische Form

Eine der interessantesten Fragen, die sich Faith deshalb stellen lassen muss, ist die über seine Form und ihr Verhältnis zum Sujet: Wie viel von diesen Beobachtungen kommt tatsächlich aus den gefilmten Protagonist*innen, wie viel ist Teil einer inszenatorischen Rahmung, die sich hier vergleichsweise stark vor den Blick schiebt? Arbeitet hier ein Blick daran, etwas erkennbar zu machen, was er vorgefunden hat, oder stülpt er der Realität etwas über? Eindeutig ist das natürlich nicht zu bestimmen.
Ein kontrastreiches Schwarz-Weiß liegt jedenfalls über den Bildern und das lässt die Glatzen-Krieger noch gleicher aussehen. Ohnehin überformt Pedicini das Klosterleben gerne: Die Kamera bedient sich der ganzen Palette von Einstellungsgrößen, löst den Film beinahe spielfilmisch in Schuss-Gegenschuss auf, fährt voller Effekt heraus und heran. Der Blick bleibt, trotz der teils intimen Distanzen, von den Protagonisten unadressiert, was die ganze Inszenierungsarbeit manchmal wieder unsichtbar macht, auf den Glauben hinarbeitet, dass sich vor unseren Augen die Selbstinszenierung einer ultra-christlichen Gruppierung auftut, und nicht der vorgeformte Blick eines Eindringlings.
Plötzlich Streicher und Bläser

Pate für dieses ungeklärte Verhältnis steht vor allem die Musik: Manchmal baut Faith sanfte Töne ein, die ruhigen Momenten nochmal ein spürbar anderes Gefühl gibt, als sie vielleicht selbst hergegeben hätten. Manchmal aber legt der Kung Fu-Meister selbst voranpeitschenden Trance mit psalmvortragender Bibelstimme auf, um seine Krieger zu trainieren, und Faith muss wegen des Rhythmus, den sich diese Szene selbst gibt, kaum mehr tun als die Kamera draufhalten. Am schönsten wird dieses Verhältnis aber am Ende hörbar, wenn über eine Art Glaubensbekenntnis-Zeremonie ganz plötzlich Streicher und Bläser anschwillen, die in jedem Hollywood-Film sofort als kitschig-pathetische Gefühlsmanipulation durchgehen würden. Gleichförmig läuft die Musik über die Bilder, als hätte Faith sie einfach hinzugefügt und doch klingt es manchmal so, als wäre würde sie den Raum tatsächlich erfüllen: Eine Form, die selbst ganz offen lässt, wie viel sie in ihr Sujet hineinträgt, das passt insgesamt natürlich ziemlich gut zu einer Gruppe, die sich abschottet, aber den Kontakt nach außen eben doch nie abgebrochen hat.
Den Film kann man bei MUBI streamen.
Neue Kritiken

Mein 20. Jahrhundert

Caught Stealing

Wenn der Herbst naht

In die Sonne schauen
Trailer zu „Faith“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (7 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.