Fabian oder Der Gang vor die Hunde – Kritik
VoD: Dominik Grafs Kästner-Verfilmung Fabian oder Der Gang vor die Hunde handelt nicht einfach vom Berlin der Weimarer Republik, sondern aus ihrem Geist heraus.

Im Jahr 1931 schaut der promovierte Germanist Jakob Fabian (Tom Schilling) enttäuscht die Welt an: zum Beispiel den Kellner eines gutbürgerlichen Lokals in Berlin, wie der mal wieder einen Obdachlosen oder eine Reinigungskraft wie Dreck behandelt. Manchmal auch die durch die Straßen marodierende SA oder seinen Freund Labude (Albrecht Schuch), der sich im Laufe des Films nach einer schmerzhaften Trennung im berüchtigten Nachtleben der Großstadt verliert. Einmal steht Fabian in den Babelsberger Filmstudios und sieht seine Geliebte Cornelia (Saskia Rosendahl) beim Vorsprechen. Eigentlich arbeitet sie in der Abteilung für Filmrecht, aber das schon immer mit Blick auf eine Schauspielkarriere. Sie liest einen Text von Fabian, der gerade an seinem ersten Roman und nebenbei Werbetexte für Zigaretten schreibt. Erst ist Cornelia ein bisschen aufgeregt, spricht dann selbstbewusst in die ratternde Kamera vor ihr. Immer beäugt von dem großen Filmproduzenten Makart (Aljoscha Stadelmann), der sie sowieso schon auf zu betörende Weise toll findet. Was sie erst noch als Existenzsicherung in der Finanzkrise und für ihre Beziehung mit Fabian tut, wird sie bald komplett einnehmen und ein Verhältnis mit Makart eingehen lassen. Fabian ahnt das, verlässt den Raum und spaziert durch die Studios. Einmal mehr enttäuscht vom Leben. Aber auch: irritiert und verloren in den Kulissen alter Historienfilme.
Der Film als Filmkritik

Die Szene verweist auf das Verhältnis von Dominik Grafs Kästner-Verfilmung Fabian oder Der Gang vor die Hunde zur deutschen Filmlandschaft. Graf-Filme, das sind stets auch Graf-Filmkritiken. Nicht direkt als ablehnender Gegenentwurf, sondern gewissermaßen als Verfluchte Liebe, als kritische Auseinandersetzung mit spürbarer Leidenschaft. Nicht nur seine Dokumentarfilme haben sich den deutschen Film zum Sujet gemacht. Das Gleiche könnte man auch von seinen Polizeirufen und Tatorten sagen, die immer frischen Wind in die oft verstaubten Fernsehreihen gebracht haben. Und so setzt sich Fabian nicht nur ausführlich mit Erich Kästners Roman auseinander, sondern auch mit anderen Weimarer-Republik- und Historienfilmen.

Bei Fabian steckt die kritische Haltung kaum im Inhalt der Literaturvorlage, sondern schon in der Form. Lange, ruhige, digital gefilmte, episch breite, teils mit CGI versetzte, von rauchender Industrie und neonleuchtenden Nachtclubs erzählende Ansichten finden sich hier also kaum. Stattdessen gibt es einen engen 4:3-Bildkader und zitternd-tanzendes Filmkorn: dicht an den Figuren geführt, mit fast stürzender Handkamera gefilmt, verbunden mit nervös hin und her springenden Schnitten, einmal eingefasst in wild verteilte Splitscreens, oft unterlegt von losen Klangstücken, unterbrochen von historischen Straßenaufnahmen, mal zu Zeitraffer-, mal zu Super-8-Aufnahmen umgeformt, erzählt von zwei verschiedenen Stimmen im Voice-over. Ordnung suchen wir hier oft vergeblich, am Anfang vor allem auf ästhetischer, irgendwann dann eher auf narrativer Ebene, wenn wir mit den Hauptfiguren ziellos durch Berlin treiben. Fabian ist ganz bestimmt kein stabiler deutscher Film über eine instabile deutsche Zeit.
Zeitlose Geschichte

Und das ist der Kern der leidenschaftlichen Filmkritik. Fabian handelt ohnehin nicht einfach von einer Zeit, sondern aus ihrem Geist heraus. Weder schaut hier die Gegenwart aus konsequent heutiger Perspektive auf die Vergangenheit, wie das etwa Babylon Berlin mit seiner Anbiederung an amerikanisches Quality-TV tut. Noch bedeutet die vorangestellte Bemerkung „frei nach dem Roman von …“, dass eine Geschichte zeitlos genug ist, um sie wie in Burhan Qurbanis Berlin Alexanderplatz (2020) in die Gegenwart zu übertragen. Mit seiner Lust an der Form ist Fabian ganz bei den Kunstavantgarden der 1920er Jahre, mit der Lust am Spiel seiner Darsteller beim Sprech von vor 90 Jahren und den mal ziemlich wortwitzigen, mal melancholischen Dialogen Kästners. Graf taucht mit Fabian aus einem Deutschland 2021 direkt in die Weimarer Republik 1931 ein und nicht wieder auf, so wie seine Kamera am Beginn durch die U-Bahn Haltestelle am Heidelberger Platz schwebt: vorbei an Smartphone haltenden und Sneaker tragenden Figuren und dann die Treppe hoch, wo schon die roten und braunen Wahlplakate hängen.
Konstrukte mit losen Fäden

Umso beeindruckender dann, wie wenig Gegenwart Graf in die Vergangenheit trägt und wie viel er davon trotzdem aus ihr herausholt. Nur einmal wird es richtig ahistorisch, als plötzlich auf Stolpersteine geschnitten wird. Ansonsten aber scheint die Vergangenheit ihre Zeitlosigkeit ganz allein zu behaupten: mit Berliner Altbau, Bauhaus-Villen und Kostümen, die – ein bisschen wie bei Christian Petzolds Transit (2018) – historisch nicht so fest zu verorten sind. Und auch die Verarbeitung der Literaturvorlage ist kaum von einer akuten Message geleitet. Klar gibt es auch hier das Motiv der Moral: Die am Beginn einmal erwähnte Frage, ob die Welt denn anständig sei, scheint immer wieder auf. Natürlich sehen wir hier ein von Akademikern bevölkertes Berlin, das sich in Kneipen, Restaurants, Ateliers und Nachtclubs abspielt. Und auch aus dem titelgebenden Gang vor die Hunde, der deutschen Gesellschaft vor dem Zerfall, ließe sich sicher problemlos ein Gegenwartskommentar konstruieren. Aber so richtig geht das nicht auf, zu lose die Fäden, die solche Konstrukte zusammenhalten könnten. Fabian entzieht sich den eindeutigen Vereinnahmungen von außen. Für Kästner war der Film eine „unverwischbare eigenwillige Kunst- und Unterhaltungsgattung“. Grafs Film zeigt, was das heißt.
Der Film steht bis 26.09.2023 in der Arte-Mediathek.
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