Exil – Kritik

Der fortschreitende Wahn gibt den Takt vor. Visar Morinas Exil folgt einem Einwanderer aus dem Kosovo in die Untiefen eines Bürojobs und die Hölle in seinem Kopf, wo harmlose Gesten kaum von böswilligen Übergriffen zu unterscheiden sind.

In den Vorgärten – tschtschtsch – das Stakkato der Wassersprinkler, ein Mann mit lethargischem Blick – tschtschtsch – und schweißdurchnässtem Kragen, seine Schritte heimwärtsgehend – schrrbschrrb –, vorbei an kleinbürgerlichen Fassaden. Xhafer (Mišel Matičević) kommt von der Arbeit, und an seinem Gartentor hängt eine tote Ratte. Die Welt von Exil ist eine des Verdachts, der Paranoia, der Hitze, der Verwesung, des Rassismus. Immer tiefer dringt Regisseur Visar Morina in die Hölle der Vorurteile, der Angst, der Büroarbeit und der Familie, in die Hölle im Kopf von Xhafer, gut bezahlter Angestellter, Vater von drei Kindern, ein arrivierter Einwanderer aus dem Kosovo.

Zermürbende Zweifel, drückende Schwüle

Die Rundmails erhält er nicht mehr, sitzt minutenlang im falschen Raum, kommt zu spät zur Besprechung. Wichtige Unterlagen werden ihm vorenthalten, sein Bericht ist daher fehlerhaft, so blamiert er sich vor versammelter Belegschaft. „Das kann auch ein Versehen sein“, beschwichtigt ihn seine Frau Nora (Sandra Hüller), und als Xhafer bezweifelt, dass sie weiß, wovon sie spricht: „Vielleicht mögen sie dich einfach als Menschen nicht.“ Das könnte auch sein, herzlich ist er nicht gerade, aber was ist mit der toten Ratte? Oder mit dem brennenden Kinderwagen ein paar Tage später? Passiert das alles, weil er Ausländer ist, weil er einen Akzent hat? Oder wird er nur genauso schlecht behandelt wie alle anderen auch? Ist gar er selbst der Bully, den er in anderen vermutet? Der ständige Zweifel zermürbt, drückend ist die ewige Schwüle, unerträglich in den dunklen, engen Gängen des Büros, schweißtreibend beim Sitzen, beim Gehen, beim Sex. Das Klima, es steigt Xhafer zu Kopf, lässt ihn schwindeln. Er droht, die Orientierung zu verlieren.

Diese wird in Exil auch dem Zuschauer systematisch verweigert: Die Kamera klebt am Protagonisten, um ihn herum nur Unschärfe. Selten gibt es einen Gegenschuss; ob die Verständigung gelingt, bleibt immer offen. Wände und Türen engen das Bild ein, Fenster gibt es kaum. Hier sind die Menschen Monaden, jeder hat nur mit sich selbst zu tun. Wer Täter ist, wer Opfer, was eine harmlose Geste und was böswillige Bloßstellung, wird zunehmend ununterscheidbar. Ob er eigentlich Schweinefleisch esse, wird Xhafer gefragt: kulturelle Sensibilität oder Vorurteil? Woher er noch mal komme: echtes Interesse oder Stigmatisierung? Ob er seinen Namen bitte wiederholen könnte: berechtigte Nachfrage oder Schikane? Vielleicht bildet er sich das nur ein, alles nur seine Eitelkeit und Gefallsucht. Aber was hat es dann mit den zwei Dutzend toten Nagern auf sich, die ihm aus seinem Briefkasten entgegenfallen?

Wie ein geistig Verwirrter

Ein Soundtrack – archaisch, metallen, nervös – trommelt sich durch Exil, kongenial zur teuflisch ruhigen Kameraarbeit (Matteo Cocco). Alles ist Rhythmus in diesem Film: Xhafer schließt das Projekt ab, ihm wird – klakklakklakklak – stehend applaudiert (Hohn oder Huldigung?). Ein zweites Mal der Gang nach Hause – tschtschtsch – und die Wassersprinkler. Eilschritte – kntschkntsch – auf Linoleum, und die Rattenkadaver – plaplatsch – auf des Kollegen Tisch geleert. Der Leichnam des Erhängten – blum-blum – stößt sanft gegen die Außenwand. Ein drittes Mal – tschtschtsch – der Gang nach Hause. Das Tempo nimmt zu, der fortschreitende Wahn gibt den Takt vor.

Xhafers Fixierung auf die gefühlte Feindseligkeit in seinem Kollegium lässt ihn den Kontakt zur eigenen Frau und zum einzigen Freund verlieren, für deren Leiden er ebenso wenig Verständnis aufbringen kann wie diese für seines. Seine Klage beim Chef gerät zum Fauxpas: Nichts kann er beweisen, ungeheuerlich sind seine Vorwürfe, wie ein geistig Verwirrter muss er wirken. Seiner Frau, die ihn nicht verstehen kann, erzählt er die Geschichte eines Mannes, der von einem Apfelbaum fiel und darauf einzig von Leuten besucht werden wollte, die wie er selbst einmal von einem Apfelbaum gefallen waren.

Abgründe und das größere Bild

In Exil bleibt letztlich jeder unverstanden. Die Figuren sind getrennt durch ein allgemeines Misstrauen, durch die eigenen Scheuklappen und eben durch einen Rassismus, der jede Interaktion trübt. Und sie sind getrennt durch ihre Klasse: Xhafer hat eine Affäre mit Hatiqe (Flonja Kodheli), einer kosovarischen Putzkraft, die er, vom gelegentlichen Stelldichein abgesehen, brutal ignoriert. Diese hat zwei Kinder und einen Mann im Rollstuhl, bleibt bei ihrer Arbeit im Büro unsichtbar wie ein Gespenst. Visar Morina hat einen Film über die Abgründe der – migrantischen wie nicht-migrantischen – Mittelschicht gemacht und verweist deren Probleme zugleich auf ihren Platz in einem größeren Bild: Es gibt nämlich welche, deren Ausschluss aus der Gesellschaft noch viel umfassender ist. Was seine Figuren nicht sind, ist Exil als Ganzes: verständig.


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