Alles ist gutgegangen – Kritik
VoD: François Ozons Alles ist gut gegangen ist der Final Countdown eines großen Sturkopfes und ein maximal unaufgeregter Film übers Sterben.

Das Wasserglas erreicht ohne Mühe die Lippen, die seit dem Schlaganfall etwas herunterhängen, der 85-jährige André Bernheim (André Dussollier) kann selbstständig trinken. Der Physiotherapeut und sein Patient freuen sich gemeinsam, nur aus unterschiedlichen Gründen. Denn was der Trainer nicht weiß: André übt nicht fürs Leben, sondern fürs Sterben. Gift will er bald schlucken mithilfe eines solchen Wasserglases, in der Schweiz, wo die Sterbehilfe legal ist, aber niemand aktiv beim Tod behilflich sein darf.
Leben und Sterben, das sind in François Ozons neuem Film nicht zwei Seiten einer Medaille, sondern ein und dieselbe Bewegung. Sterben, das will André nicht als Negation seines Lebens begreifen, sondern als dessen letzten Ausdruck. Und Sterbehilfe, das will Alles ist gut gegangen (Tout s’est bien passé) nicht zum Anlass für moralische Grundsatzdebatten machen, sondern nur als Ausgangspunkt für eine Handlungskette. André ist sich seiner Entscheidung so sicher, wie Autumn sich in Eliza Hittmans Niemals selten manchmal immer (Never Rarely Sometimes Always, 2020) sicher war, ihr Kind abtreiben zu lassen. Und so ist auch Ozons Film im Kern nicht mit dem Abwägen, sondern mit dem Durchführen beschäftigt.
„Ich möchte, dass du mir hilfst, das alles zu beenden.“

„Dein Vater ist ein Sturkopf“, diesen Satz bekommt Tochter Emmanuèle (Sophie Marceau) mehr als einmal zu hören. Sie ist das Zentrum von Alles ist gut gegangen. Einmal sehen wir sie vor dem Spiegel, wie sie ihr eigenes Gesicht zum geschädigten des Vaters verzerrt, ihn wütend nachäfft: „Ich möchte, dass du mir hilfst, das alles zu beenden.“ Eine Parodie, so böse wie verständlich, muss sie doch auch erstmal einen Umgang finden mit diesem Wunsch, der da gerade erst frisch an sie herangetragen wurde. An sie, und nicht an ihre Schwester Pascale (Géraldine Pailhas), die dieser Umstand zugleich entlastet und ein wenig eifersüchtig macht. Allmählich nehmen diese beiden Schwestern die Bürde auf sich, leiten alles in die Wege, für einen Mann, der wohl eher ein Rabenvater war, wie etwa die wenigen Kindheitserinnerungen Emmanuèles nahelegen, die Ozon in den Film schneidet.
Alles ist gut gegangen basiert auf der wahren Geschichte, die Emmanuèle Bernheim, mittlerweile selbst verstorben, 2013 als Buch veröffentlichte. Ozon hat daraus ein recht generisches Drehbuch, dabei aber alles richtig gemacht: Der unaufgeregte Realismus kommt ohne falsche Sentimentalitäten aus, behält aber die richtigen bei, wartet mit Liebe zum Detail ebenso auf wie mit Sinn für Humor. Die Handlung folgt dem schnörkellosen Verlauf der Sterbehilfe-Bürokratie (vorgetragen von einer unheimlichen Hanna Schygulla als Chefin einer Schweizer Organisation) und den juristischen Vorkehrungen ebenso wie den emotionalen Schnörkeln der Betroffenen, zu denen neben den Schwestern und ihrem Vater auch die chronisch depressive Mutter Claude (eine eiskalte Charlotte Rampling) gehört sowie ein zunächst mysteriös in Andeutungen versteckter Herr namens Gérard (Grégory Gadebois).
„Wie wäre es denn mit dem 27. April?“

Alles ist gut gegangen bleibt stets persönlich. Der Todeswunsch ist nicht das große Andere, sondern ein Wunsch, der auf andere trifft. Das Thema Sterbehilfe wird umfassend erörtert, aber stets nur im Hinblick auf die Figuren. Was nicht heißt, dass es hier privatistisch zugeht: Der chronische Personalmangel in der Pflege wird genauso angesprochen wie das ökonomische Privileg, das die Entscheidung zum selbstbestimmten Sterben noch immer darstellt. Selbst solche offensichtlichen Checkpoints sind leichtfüßig in die Handlung gewoben.
Einmal flackert Hoffnung auf bei Emmanuèle: André fragt, ob man den anvisierten Termin für die Fahrt in die Schweiz nochmal verschieben könne, schließlich sei das Konzert seines Enkelsohns in der Woche darauf. Lernt da ein Lebensmüder das Leben wieder lieben, biegt ein Film da nochmal in eine andere Richtung ab? Weit gefehlt. Bald darauf heißt es: „Wie wäre es denn mit dem 27. April?“ Alles ist gut gegangen, das ist sein größtes Verdienst, bleibt stets pragmatisch.
Der Film steht bis 28.04.2024 in der ZDF-Mediathek.
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