Eva Doesn't Sleep – Kritik

Über ihre Leiche: In einer episodisch angelegten und mit ausländischen Schauspielerkörpern gefüllten Reflexion über das Schicksal der toten Eva Perón gelingt Pablo Agüero eine anregende Verknüpfung von Ereignisgeschichte und ihrem symbolischen Unterbau.

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Es passt zu der aufregenden Widersprüchlichkeit von Eva Doesn’t Sleep (Eva no duerme), einem Film, der streng strukturiert ist, dessen einzelne Sequenzen genau geplant sind, in dem jeder Dialogsatz etwas bedeutet, der eben überhaupt ein Präzisionsbau ist: dass hier also mittendrin zwei Schauspieler einander gegenübersitzen und mehrere Minuten lang reden, trinken, aufeinander losgehen, ohne dass ein Schnitt sie dabei stören würde. Kein Zweifel jedoch, dass auch in dieser Sequenz nichts dem Zufall überlassen ist, dass auch hier Pablo Agüero nicht an Improvisation gedacht hat, schon deshalb nicht, weil Denis Lavant gar kein Spanisch spricht. Es ist aber andererseits gar kein Ausbruch aus der Strenge, weil diese Strenge weniger eine filmische denn eine theaterhafte ist.

Mutter des Pöbels

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Das Bühnenbild wird nur wenige Male gewechselt, und den jeweils nötigen Umbau überbrückt Agüero durch Archivaufnahmen aus der argentinischen Geschichte, die uns den historischen Kontext der drei Episoden präsentieren, die das Herz dieses Films sind – von Eva Peróns Tod im Jahre 1952 zum ersten Militärcoup drei Jahre später und dann in die revolutionären 1970er Jahre. Im Epilog kehren wir zurück ins Putsch-Jahr 1976, mit dem der Film angefangen hat, zurück zu Gael García Bernal, dessen mysteriöser Admiral voller Hass und Ekel gleich in den ersten Sätzen des Films von der „Hure“ namens Evita spricht und dabei unmissverständlich klarmacht, wie politisch aufgeladen diese Figur war und ist. Die gesellschaftliche Bestandsaufnahme, die Eva Doesn’t Sleep eigentlich nicht ist, schwebt so doch in dem Maße über dem Folgenden, wie seine Worte nachhallen – als jene elitäre Ideologie, in der Evita auf immer verknüpft ist mit dem Pöbel, mit Indios, Arbeitern, Bauern und dem ganzen dreckigen Rest.

Die sprechenden Leichen der Geschichte

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Dass neben den argentinischen Darstellern auch Lavant und García Bernal mitwirken, deutet schon darauf hin, dass Agüero an historischem Realismus nicht viel liegt. Er dokumentiert die argentinische Geschichte nicht, sondern fabuliert sie. Lavant ist für Eva Doesn’t Sleep zudem zentral, weil der vor allem für seine Zusammenarbeit mit Leos Carax bekannte Darsteller nicht in erster Linie eine Persona mit sich herumschleppt, sondern seinen Körper. Und um Körperlichkeit geht es in Eva Doesn’t Sleep, im Gezeigten wie im Gesprochenen, um den Körper als das Unhintergehbare der Geschichte; als das, was dafür bürgt, dass das, was wir uns erzählen, tatsächlich gewesen ist, selbst wenn es längst tot ist.

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Tote Körper: nicht nur der tote Körper von Eva Perón, der zugleich Ausgangs- und Fluchtpunkt dieses Films ist, auch Lavants Gesicht, wenn es mal wieder ins sorgsam ausgeleuchtete Close-up rückt – faltig, schattig, eine Leiche. „Die Toten werden die Toten begraben“, sagt in der dritten Episode des Films ein junger Revolutionär zu dem von ihm entführten General; auch diese Sequenz ist spärlich, aber sorgsam ausgeleuchtet und in langen Einstellungen aufgenommen. Wenige Minuten später wird dieser antworten: „Irgendwann werdet ihr alle verschwinden.“ Hier sprechen Todgeweihte miteinander, überall. Das ist nicht nur die Vervielfältigung des Sujets dieses Films, der tote Körper Eva Peróns, sondern zugleich Agüeros Modell von verfilmter Geschichte als Flucht nach vorn. Keinerlei Verzicht, keinerlei Vorsicht; gerade ihre körperliche Präsenz zeichnet diese Figuren als historische Subjekte aus, die nicht einfach werden verschwinden können, selbst wenn sie schon längst tot sind. Im Kontrast dazu die Archivaufnahmen von Evita, vom jubelnden und trauernden Volk, von putschenden Armeen: vollkommen körperlos, aber ungemein lebendig.

Der Tod, die Frau, die Revolution

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Die Figur Eva Peróns ist das Scharnier zwischen diesen beiden Modi. Die Macht, die von ihrer Leiche ausgeht, braucht beides: ihre gewesene Lebendigkeit und ihre fortdauernde Körperlichkeit. Ein Körper, zuerst einbalsamiert, weil das Göttliche nicht verwesen darf (das ist die erste und schwächste der drei Episoden), dann aus dem Weg geschafft, weil die Hoffnung nicht erinnert werden darf, schließlich gesucht und gefunden, als der Peronismus ein weiteres Mal Einzug im Land hält. „Die Frau, der Mythos“, so banal könnte man das erstmal auf den Punkt bringen, aber Agüero geht es primär eben weder um ihr faktisches Leben noch um ihr symbolisches Erbe. Eva Doesn’t Sleep ernährt sich von der argentinischen Geschichte, fantasiert aber vor allem über diesen toten, weiblichen Körper als eine Kraft, und darüber, was diese Kraft anrichtet mit den am Leben gebliebenen Männern, die ihn zugleich verachten und begehren. Trias männlich-nationaler Ängste und Faszination: der Tod, die Frau, die Revolution. So verknüpft Agüero ganz beiläufig politische Ereignisse und symbolische Ordnung, konkrete Nationalgeschichte und religiöse Mythen, und redet doch eigentlich nur über ihre Leiche.

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