Escalation – Kritik

Vom Generationenkonflikt, von der allumfassenden Macht des Kapitalismus, von der emotionalen Blindheit der Männer und von der Intelligenz der Frauen, die wissen, dass der Weg zum Hirn des Mannes über seine Libido führt. Roberto Faenzas psychedelisches Spielfilmdebüt Escalation ist jetzt auf Blu-ray erschienen.

Escalation  7

Subversion, Aufbegehren gegen Autorität, Rebellion gegen das Bestehende, das Kaputtmachen dessen, was uns kaputtmacht. „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“, hieß es (ironisch?) in den Sechzigern, jener Zeit, als der Generationenkonflikt zum politischen Manifest wurde. Selbstverwirklichung statt Leistungsstreben und Verwertbarkeit in einem System, das auf Blut und Ausbeutung aufgebaut war, lautete die Devise. Wer im Herzen jung geblieben ist, der sympathisiert mit solchen Ansichten. Aber was, wenn man auf der anderen Seite steht, als Vater, der sich wünschte, dass der Apfel nicht so dermaßen weit vom Stamm gefallen wäre?

Escalation  6

In Escalation, Roberto Faenzas Spielfilmdebüt von 1968, geht es genau darum: um den Konflikt zwischen dem großindustriellen Vater Augusto Lambertinghi (Gabriele Ferzetti) und seinem Sohn, dem von der Reise nach Indien träumenden Taugenichts Luca (Lino Capolicchio). Lambertinghi sucht dringend einen Geschäftsnachfolger und wünscht sich nichts mehr, als dass sein Sohn in seine Fußstapfen treten möge. Doch der liegt lieber in der Hängematte und meditiert. Der Vater ködert ihn schließlich mit dem Versprechen, ihm die Reise an den Ganges zu finanzieren: ein Fehler, wie die hinzugezogene Psychologin Carla Maria Mannini (Claudine Auger) weiß, die versuchen soll, Luca die Flausen auszutreiben. Um ihn in die Fänge des Kapitals zu treiben, wickelt sie ihn um den kleinen Finger, ehelicht ihn und macht aus ihm einen gestriegelten und gebügelten Geschäftsmann. Bis der von dem Verrat Wind bekommt …

Infantile Dickköpfigkeit

Escalation  5

Escalation ist eine vordergründig komische, eigentlich aber ziemlich bittere Farce über die gleichmachende Kraft des Kapitalismus und die gnadenlose Naivität des Menschen – vor allem aber des Mannes. Die Sympathien mögen auf dem Papier klar verteilt sein, aber Luca, dieser Einfaltspinsel, macht es einem nicht gerade einfach, Partei für ihn zu ergreifen. Bei allen offenkundigen Differenzen, in einer Sache sind sich Vater und Sohn erschreckend ähnlich: Ihren Lebensstil haben sie nicht aus freien Stücken gewählt, sie tun nur das, was ihnen bequem ist. Augusto Lambertinghi könnte genauso wenig erklären, warum es erstrebenswert sein sollte, Tag für Tag in einem vollautomatisierten Büro zu sitzen (was in seiner Firma genau produziert wird, erfährt man nicht), wie Lucas ewiger Müßiggang Ausdruck einer tiefen Überzeugung wäre. Es ist halt einfach verdammt komfortabel, den ganzen Tag zu faulenzen, vor allem, wenn der Papa diesen Lebenswandel bereitwillig subventioniert. Seine Unfähigkeit, Aufmerksamkeit für irgendetwas aufzubringen, was außerhalb seines unmittelbaren Interessengebiets liegt, erinnert an die störrische Dickköpfigkeit von Kindern. Genauso wie der Schmollmund, den er ostentativ aufsetzt, wenn ihn etwas langweilt. Lambertinghi mag die geschliffeneren Umgangsformen haben, aber in seinem idiotischen Beharren darauf, Luca zu seinem Erben zu machen, ist er dem Sohn sehr ähnlich. Man muss an seinem Urteilsvermögen als Geschäftsführer zweifeln.

Escalation  4

Noch mehr als ein Film über Eltern und Kinder, ich deutete das bereits an, ist Escalation aber ein Film über Väter und Söhne, kurz: über Männer. Eine Mutter gibt es nicht, nur eine Tochter, die als Ratgeberin und ungehörte Stimme der Vernunft fungiert. Die Autorität Lamberthingis, der meint, das väterliche Machtwort sei ausreichend, um einen Gammler zum Unternehmer zu machen, ist eine leere Hülle, eine ohne echte Überzeugung eingenommene Pose. Erziehung ist seine Sache nicht, er ist es gewohnt, dass die Dinge funktionieren wie in seinem Büro, wo ein Knopfdruck reicht, um die Sekretärin antraben zu lassen, und Besucher so lange vor der geschlossenen Tür ausharren, bis er den Summer drückt. Kein Wunder, dass er eine Frau hinzuzieht, seinen Sohn zur Vernunft zu bringen. Und diese Carla Maria steckt sie alle in die Tasche, weiß ganz genau, wie die Männer ticken und dass der Weg ins Hirn von Luca über seine Libido führt.

Farbenprächtige Neuentdeckung

Escalation  8

Vor drei Jahren lief Faenzas Escalation auf dem 2. Terza Visione, dem Festival des italienischen Genrefilms in Nürnberg, in einer allerdings eher traurigen Kopie, die den psychedelischen Farbenreichtum des Films hinter einem roten Schleier verbarg. Es ist sehr viel leichter, Escalation in der jetzt von dem aufstrebenden Label Forgotten Film Entertainment vorgelegten HD-Version zu goutieren – und ins Herz zu schließen. Man muss sich etwas an den Ton des Films gewöhnen: Faenza legt seine Figuren als übersteuerte Karikaturen an, Naturalismus liegt ihm fern. Am deutlichsten wird das im Spiel Capolicchios, das auch in einer italienischen Commedia sexy nicht aus dem Rahmen fiele, aber auch in den absurden Settings: Das Bett, in dem Luca und Carla Maria eben keinen Beischlaf haben, ist dreieckig, ihre ganze Wohnung ein psychedelischer Einrichtungsalbtraum. Auch die Handlung schwingt sich bisweilen in absurde Höhen vor, lässt Lambertinghi selbst vor einer Elektroschocktherapie oder einer Entführung seines Sohnes nicht zurückschrecken, um ihn auf den „rechten Weg“ zu bringen. Im letzten Drittel wird Escalation dann zum lupenreinen Krimi, in dem die vollzogene Wandlung Lucas sich in einem kaltblütig geplanten Mord manifestiert. Für die Lambertinghis gibt es ein echtes Happy End. Dass es sich nach einer Beerdigung auf einer gewaltigen Müllkippe vollzieht, fällt ihnen nicht negativ auf. Morricone liefert dazu den beschwingten Trauermarsch.

Neue Kritiken

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.