Ema – Kritik

Ema weiß nicht, ob sie Ehefrau und Mutter sein möchte, sehr wohl aber, dass sie tanzen will. Was in Pablo Larraíns Film dabei wirklich passiert und was bloße Metapher ist, müssen die Zuschauenden selbst abwägen.

Ema (Mariana di Girolamo) ist permanent in Bewegung. Kein Raum kann sie halten. Sie zuckt, zappelt, stolziert, slidet. Sie steigt auf dem Tisch und in die Bahn, dreht sich um und im Kreis, zuerst in die eine Richtung, dann in die andere; weg von Mann und Sohn. Dann weiter, vorwärts. Und wieder einen Schritt zurück. Emas Leibesertüchtigungen mögen zufällig wirken, aber sie bedeuten keinen Taumel, keinen Rausch. Sie sind kontrollierte Bewegungen, deren Verlauf und Ende Ema kennt.

Hinter allem steht ein größerer Plan

Wie die Bewegungsqualitäten der Protagonistin lässt sich die Dramaturgie von Pablo Larraíns Ema beschreiben. Der Film des chilenischen Regisseurs, der 2019 bei den Filmfestspielen in Venedig seine Weltpremiere feierte, springt zwischen Orten und Zeiten hin und her. Die Verunklarung von Verhältnissen ist eine Strategie von Ema. Eine Chronologie müssen die Zuschauenden selbst montieren und detektivisch abwägen, was im Film eigentlich genau passiert sein soll und was bloße Metapher ist, welchen Aussagen der Figuren geglaubt werden kann.

Und auch diese Figuren müssen permanent ausmachen, wie sie zueinander stehen. „Wenn du erst einmal rausfindest, was ich tue und wieso, wirst du entsetzt sein“, sagt Ema an einer Stelle zu einem Feuerwehrmann, den sie aufreißen will. Es wird sich später zeigen, dass es sich nicht um einen beliebigen Feuerwehrmann handelt, so sehr der One-Night-Stand auch den Anschein hat, einfach so zu passieren. Hinter allem steht ein größerer Plan, der Emas vermeintlich zufälliges Handeln erklärt. Ema verspricht Auflösung, die am Ende (und das allein ist erstaunlich) eintritt. Die Bastelarbeit der Zuschauenden muss sich schließlich lohnen.

Tanzen auf jeden Fall

Ema bringt weniger eine Handlung nach vorne als die Hauptfigur selbst mit ihren platinblonden, nach hinten gegelten Haaren und ihrer affektiven Welt. Nachdem der aufmüpfige Adoptivsohn Polo (Cristián Suárez) einen Brandanschlag auf ihre Schwester verübt hat, hat die Tänzerin Ema den Jungen zurückgegeben und muss sich dafür unter anderem vor ihrer Mutter rechtfertigen. Vom zeugungsunfähigen Ehemann und Choreografen Gastón (Gael García Bernal), mit dem Ema zusammenlebt und -arbeitet, versucht sich die junge Frau zu trennen. Die Emanzipationsprozesse, in denen Larraíns Protagonistin steckt, wollen nicht so leicht abgewickelt werden.

Ema ist eine Abfolge von Situationen, die aufgrund des größeren Plans absolviert werden müssen; Dramaturgie und Figur vollziehen dabei jedoch Pendelbewegungen, kreisen um den einen Konflikt, dass Ema nicht mehr Mutter sein will (und dann aber doch), nicht mehr Ehefrau sein will (und dann aber doch), auf jeden Fall aber tanzen mag (ja, das auf jeden Fall). Wir beobachten Ema bei der Probe, in der Schule, auf der Party, wie sie mit diesen Fragen umgeht – oder sie verdrängen will. Mit von der Partie ist der Elektro-Reggaeton-Soundtrack von Nicolas Jaar, der die Protagonistin nach vorne treibt, in ein Weiter, das noch gefunden werden muss und das vielleicht Freiheit heißt.

Das power couple verschlingt die Protagonistin

2016 drehte Larraín mit Jackie seinen ersten englischsprachigen Film. Darin spielte Natalie Portman mit süßlicher Stimme und starrem Gesicht Jackie Kennedy kurz nach dem Attentat auf Ehemann John. Jackie war spannend, weil er die Aufgesetztheit von Gesten ausstellte und damit Authentizität als bloßen Effekt zeigte, das Handeln der First Lady in ihrem Interesse an Inszenierung sichtbar machte. In Ema führt Larraín seine Faszination an der Ehe als unheimlicher Konstruktion fort und fragt, was durch diese Form der Verbindung mit Menschen passiert. So selbstbestimmt Ema laut ihrer Umwelt unterwegs ist, so sehr ist sie im Film eine Figur, die verschiedene Gegenüber braucht, um eigene Bedürfnisse und Wünsche zu formulieren. Eines dieser Gegenüber stellt Ehemann Gastón im Film dar, der in seiner ausgestellten Lächerlichkeit dabei zusehends mehr Raum einnimmt. Ema y Gastón lautet gar ein zweiter Titel, unter dem Larraíns Film vermarktet wird: Das einstige power couple verschlingt die Protagonistin.

Dabei entzieht sie sich in der scheinbaren Willkürlichkeit ihrer Handlungen einer Einfühlung, wird erst im Moment der Auflösung gegen Ende des Filmes verständlich und verständlich gemacht. Ema muss vermittelt werden. Das ist insofern bemerkenswert, als sie dem Film selbst als allumfassende Projektionsfläche dient, ja fast als personifiziertes und offensiv vor sich her getragenes Versprechen einer komplexen, weiblichen Hauptfigur, die Ema präsentieren will: cool, sexy, bisschen geheimnisvoll. Dazu passt die Ausstattung des Films sowie die Bildgestaltung (Kamera: Sergio Armstrong), die die Glattheit einer Musikvideo-Ästhetik bedienen. Über das Ende, das die Unabhängigkeit von Ema betonen soll, fängt der Film die Protagonistin wieder ein und lässt sie genau nicht in einer Widersprüchlichkeit stehen.

Die Hafenstadt Valparaíso, in der Larraíns Film gedreht wurde, wird zum Schauplatz für Mutterschaft, Manipulation und Flirt. Grelle Lichter und Flammen erleuchten die Straßen, durch deren Bars und Clubs Ema mit ihren Freundinnen tanzt. Mit ihnen kann sie über ihre Probleme sprechen, sich betrinken, nach Lösungen suchen, rummachen. Die Schwesternschaft zeigt sich als alternatives Familienkonzept, das Larraín der Verbindung mit Gastón entgegensetzt – und das für Ema und die Zuschauenden die viel interessantere Welt ist als die, die die bürgerliche Ehe zu bieten hat. Ema feiert das Umentscheiden, das Umdrehen, hat die Pirouetten seiner Hauptfigur aber doch stetig unter Kontrolle.

Der Film steht bis 22.12.2022 in der Arte-Mediathek.

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