Elysium – Kritik
Die Zukunft liegt im Süden: Neill Blomkamp entwirft seine Dystopie auf schlaue Weise, aber buchstabiert sie enttäuschend aus.

Wenn der Südafrikaner Neill Blomkamp unserem Planeten die Zukunft voraussagt, verfährt er dabei wie ein gestrenger Buchhalter, der historische, politische und soziale Entwicklungen unerbittlich bilanziert: Alle Sollstellen der gegenwärtigen globalisierten Verfassung werden unterstrichen, das Haben jedoch wird meist getilgt. Was ihn dabei auszeichnet ist seine Strategie maximaler Transparenz. Wenn er uns zukunftsweisend vor dem Heute warnt, ist bei jeder Prognose deutlich, auf welche aktuellen Entwicklungen er abhebt. Im Falle seines Durchbruchs District 9 (2009), in dem eine sensationslüsterne Medienmaschinerie das soziale Unrecht zwischen Erdbürgern und Aliens befeuert, war das die Tatsache, dass Apartheid und Rassenungleichheit noch lange nicht aus der Welt sind.

In seinem Zweitling Elysium nun haben sich in knapp 150 Jahren einige brisante Probleme katastrophisch verschärft: Die terrestrische Verteilungsungerechtigkeit hat die Superreichen zur Flucht ins Weltall geführt, wo sie in einer um die Erde kreisenden (und sehr deutlich bei der Computerspielreihe Halo abgeschauten) Ringwelt aus geschmacksfernen neoklassizistischen Vorstadtsiedlungen endlose Cocktailpartys schmeißen. Währenddessen ist die Erdbevölkerung mehrheitlich zum Lumpenproletariat verkommen; nur ein kleiner nicht-verwahrloster, nicht-krimineller Prozentsatz lässt sich in den Produktionsstätten der Reichen weiterhin brav kapitalistisch ausbeuten. Dabei zeigt Blomkamp seine Slum-Stadt nicht als eine einzige Hölle: Das Leben ist hart, ja, aber durchaus lebenswert, weil man in der Armut einander nahe ist und das Schicksal kameradschaftlich erträgt.

Dass keine Tiere mehr auf der Erde leben, wird dabei eher als Fußnote abgehandelt. Das zukünftige Drama ist hier weniger klimatisch ausgerichtet, als ganz und gar menschlich – und damit, nicht ungünstig für die nicht gerade alltägliche Paarung eines Actionfilms mit sozialrevolutionären Weckrufen, auch nur von Menschen veränderbar. Die in der Story von Elysium verhandelte Frage ist, wer beim Planschen in den orbitalen Pools mitmachen darf – und wer draußen bleiben muss. Pass- und Visastreitereien also, mit den daraus resultierenden Asyl- und Flüchtlingsdramen.
Die zentralen Antipoden entstammen übrigens der ganz wirklichen Reichtumsaristokratie Hollywoods: Unten Matt Damon als glatzköpfiger Ex-Autodieb, der durch einen Arbeitsunfall verstrahlt wird und zur lebensrettenden Behandlung nach Elysium kommen will; oben Jodie Foster als drakonische Homeland-Security-Chefin der Bonzenenklave, die in radikaler Fortführung des heutigen Umgangs mit Flüchtlingen von Abschreckungs- auf Unterbindungspolitik umgeschaltet hat. Schiffe mit Asylsuchenden werden also schon im All abgeschossen.

Um seine Welt zu entwerfen, bedient sich Blomkamp eines sowohl historiografisch wie filmisch recht genialen Schachzugs: Er verhandelt die Reise in der Zeit anhand einer Verschiebung im Raum. Die Story auf der Erde findet im Los Angeles des Jahres 2154 statt, doch es sind die harscheren Viertel von Mexiko-Stadt, die uns als L.A. präsentiert werden – ohne jede inszenatorische Anstrengung, diesen Fakt zu verheimlichen. Die Zukunft der amerikanischen Metropole ist das Heute ihres südlichen Pendants, samt nahezu totaler Latinisierung. Zukunftsprognose als Umschichtung von Gegenwartsfragmenten: Das Sci-Fi-Szenario ist Augenwischerei, es dient allein der Aufmerksamkeitsverlagerung eines unterhaltungsfixierten Publikums auf für diese Zwecke normalerweise eher ungeeignete Themen.

Blomkamp hat insgesamt klar eine Satire gedreht, mit überzeichneten Figuren, teils absurden Zuspitzungen und deftiger Schwarz-Weiß-Malerei. Problematisch ist allein, dass er all das in einem recht schnell als klassisches Heldenepos durchschauten Unterhaltungsformat verhandelt. Dass die Story auf ein grandioses Happy-End zusteuert, weiß man früh, aber inwiefern sich diese Ad-hoc-Befriedung mit den brisanten Grundthemen verträgt, bleibt dahingestellt. Natürlich muss ein Blockbuster keine Antworten auf hochkomplexe Fragen der Verteilungsgerechtigkeit haben, aber dann wiederum reißen nur wenige Blockbuster so viele politische Fässer auf wie Elysium. Und an seinen eigenen Anklagen gemessen, fällt der Film doch arg naiv aus, und der Verdacht, dass die gegenwartsdiagnostische Geste nur Strategie der Alleinstellung ist, wiegt schwer.
Andererseits hat Elysium viel für sich. Da gibt es einzelne Szenen, in denen seine satirische Schärfe ganz trefflich mit dem hohen Produktionsaufwand kollidiert, wie beispielsweise im Falle eines eigenhändig von Bugatti designten Raumschiffchens, mit dem ein von allem Menschlichen angewiderter Firmenboss (William Fichtner) zwischen irdischem Arbeitsplatz und elysischer Heimat pendelt. Das ist doch mal ehrliches Product Placement: Wenn man sich schon bei den heutigen Reichtumsverhältnissen in einem Bugatti Veyron besser fühlt, wie muss es dann erst sein, im fliegenden Nachfolger über die nicht endenden Slums und Müllkippen von Los Mexiko zu schwirren?

Außerdem hat Blomkamp weder seine Vorliebe für Body Horror à la Cronenberg noch seinen Punch in Actionszenen verloren. Wenn Matt Damon nach dem Strahlenunfall per Akkubohrer ein Exoskelett in die Knochen geschraubt bekommt, um sich dann mit einem Pack südafrikanischer Söldner zu prügeln, stimmt ziemlich viel an Blomkamps Rezeptur des politischen Kommentars im Genregewand. Das Gefecht ist wuchtig und staubig, dabei aber vor allem spannend, weil ernsthaft unklar ist, ob der Held überhaupt lebendig davonkommt. Hätte Blomkamp dieses Gefühl für Risiko, für Einsatz und für Gefahr nur auch im weiteren Rahmen erwecken können, Elysium wäre neben Cuaróns Children of Men (2006) einer der stilprägenden Sci-Fi-Filme jüngeren Datums geworden, gleichermaßen visuell wie thematisch profund. Doch spätestens beim Happy End ist man auf unangenehme Weise unschlüssig, ob hier am Schluss nicht doch die vereinte Kraft von Hollywood und Genrekonvention über die Sozialkritik von unten triumphiert.
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Kommentare
Chris
Habe den Film dieses Wochenende gesehen und finde die Kritik sehr zutreffend. Kurz ausgedrückt, gebe ich 4 von 5 Sternen. Sehenswert!
ulle
Schade.Ich hatte mehr erwartet vom District 9 Macher. Anstatt dessen hat er scih verkauft (warum auch nicht, wenn man mit einem solchen Film Millionär werden kann) : platteste Hollywood SciFi -Liebesgeschichte- Kind -hat -Krebs-Mix -Machart: Robocop, District 9 und Total Recall meets Halo (Videogame). Selten so gelangweilt. CGI im übrigen mittelmässig, als solches erkennbar.
Einzige Überraschung: Jodie Foster als eiskalter, sehr gealteter Engel.
fifty
Das CGI mittelmäßig? Brille nicht aufgehabt? Allein schon die Raumstation der Reichen – orientiert an den Visionen des Zeichners Donald Davis – sucht doch seinesgleichen, so überzeugend und detailliert ist sie in Szene gesetzt! Ansonsten ja, ein eher unterhaltsamer als nachdenklich stimmender Blockbuster, der aber wenigstens nichts verspricht, was er nicht einhält. Hab den Film jetzt das zweite Mal geguckt und finde ihn runder und weniger konstruiert als den Vorgänger „District 9“. Und trotz der Action scheint er mir in seiner sozialkritischen Dimension origineller als die meisten Distopieentwürfe zurzeit, die so gerne diese Kiste öffnen und dann nicht wissen, wohin sie mit ihrem Ansatz wollen.
3 Kommentare