Ellbogen – Kritik
MUBI: Mehr als eine (fast) 18-Jährige aushält. Hazal reißt von Berlin nach Istanbul aus und findet weder hier noch dort Zugehörigkeit. Ellbogen ist ein Coming-of-Age-Film in der postmigrantischen Gesellschaft, aus einer dezidiert migrantischen Perspektive erzählt.

Das Leben von Hazal, ihren Freundinnen und ihrer Familie in Berlin ist kompliziert. Sie bewegen sich inmitten von Rassismus, ökonomischer Perspektivlosigkeit und dem Wissen, in einer Gesellschaft zu leben, zu der man nicht dazugehört und es auch nie tun wird. In der man keinen Ausbildungsplatz bekommt, nur prekäre Beschäftigungen ausüben kann und eine Tante, die es geschafft hat, zu studieren, den Druck nur noch erhöht. Eine sehr viel kompliziertere und anstrengendere Welt also, als es für eine (fast) 18-Jährige aushaltbar ist. Was Hazal erlebt, das wird schnell klar, ist zu viel.
Jede Regung einfangen

Ellbogen ist ein Coming-of-Age-Film in der postmigrantischen Gesellschaft aus einer dezidiert migrantischen Perspektive erzählt. Aber wird hier wirklich jemand erwachsen? Für Hazal hängt viel an ihrem 18. Geburtstag, am Tag, an dem man, zumindest mal juristisch gesehen, erwachsen wird. Der Film versucht, jede ihrer Regungen einzufangen, ist immer ganz nah bei ihr, wenn sie sich mal wild, mal melancholisch, mal schüchtern, mal breitbeinig durch die Szenen hindurcharbeitet, die Ellbogen in der ersten halben Stunde um sie herum baut und die auf eine Eskalation zulaufen, die uns nach einer guten halben Stunde mit dem Bus nach Istanbul führt.

Der Vorfall, vor dessen Folgen Hazal nach Istanbul flieht, lässt sie auch dort nicht los. Als sie im Internet-Café durch eine Kommentarspalte scrollt, wird ihr klar, dass es für sie nicht nur aufgrund der Drastik ihrer Tat kein Zurück mehr gibt. Der Blick der Mehrheitsgesellschaft ist keiner auf Augenhöhe, sondern ein rassistischer, abwertender Blick, der sich nicht für sozialeRealitäten interessiert, sondern sein Urteil schon gefällt hat.
Keine Zugehörigkeit möglich

Im Städtewechsel von Berlin nach Istanbul zeigt Asli Özarslans Film keinen klaren Bruch, sondern Kontinuitäten: Auch in der Türkei wird Hazal kein Glück finden können, weil ihre Identität ihr keine Zugehörigkeit ermöglicht. Berlin und Istanbul sind Orte, die Deutschland und die Türkei unmittelbar miteinander verbinden und in denen das komplizierte Nationalitätenverhältnis ausgehandelt wird. Im Vorbeigehen thematisiert der Film die Repressionen gegen Kurd*innen des Erdoğan-Regimes, nationale und identitäre Konflikte, die in Hazals Leben hineinragen, aber für sie nicht richtig greifbar sind. Daher erneut: Wut, Angst, Traurigkeit.

Hazal bleibt bis zum Schluss schwer greifbar. Ihr Körper schiebt sich von einer Konstellation in die nächste, wir und sie wissen nie, was sie als Nächstes tun wird. Sie ist das Epizentrum eines Films, der versucht, sich voll und ganz seiner Protagonistin zu verschreiben. Drumherum gibt es kaum etwas, hier und da formelhafte Konflikte, die ausbuchstabiert und von den Figuren immerzu ausgesprochen werden.
Es gibt nur eine Richtung

Immer dann, wenn etwas unklar bleibt, wenn die Ambivalenz, mit der Hazal auf ihre Umwelt blickt, erfahrbar gemacht wird, öffnet sich der Blick für eine tatsächlich andere Perspektive jenseits der Eindeutigkeiten. So sehr Hazal ein Mensch mit Gefühlen, Träumen und Ängsten ist, so sehr wirken viele andere Figuren wie Körper, die eine soziale Rolle innerhalb des filmischen Milieus einnehmen sollen, aber nicht mit Leben gefüllt werden. Interessanter ist da die Unversöhnlichkeit des Films, die zum Schluss eine in gewisser Weise moralische, aber vor allem politische Zuspitzung erfährt. Keine Reue, keine Vergebung. Eine Umarmung, dann wegrennen. Wieder stehenbleiben, die Augen schließen. Dann mit festem Blick in die Kamera schauen. Es gibt nur eine Richtung: Vorwärts immer, rückwärts nimmer.
Den Film kann man bei MUBI streamen.
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