El hombre de al lado – Kritik
Aus einem simplen Grundkonflikt basteln Gastón Duprat und Mariano Cohn ein herrlich komisches und scharfzüngiges Porträt eines im Familienleben angekommenen Yuppies.

Für Star-Designer Leonardo (Rafael Spregelburd) beginnt der wahre Albtraum nach dem Aufstehen. Als er eines Morgens aus seinem Küchenfenster sieht, blickt er in das Gesicht eines Arbeiters, der dabei ist, ein Loch in die Leonardos Küche gegenüberliegende Wand des Nachbarhauses zu reißen. Sofort zwingt Leonardo den Arbeiter zur Unterbrechung seiner Tätigkeit und fordert eine Unterredung mit dem Auftraggeber. Dieser stellt sich bald darauf als Nachbar Victor (Danial Aráoz) vor, ein Schrank von einem Mann, glatzköpfig, tätowiert, eindeutig aus einer anderen Welt als Leonardo. Victor erklärt zwar durchaus einleuchtend, dass er ein paar Sonnenstrahlen in seinem Wohnzimmer dringend benötigt, doch für Leonardo ist die Situation inakzeptabel. Freundlich, aber bestimmt bittet er Victor, das Loch unverzüglich wieder zu schließen, denn erstens sei die Anbringung eines Fensters an der Hinterseite eines Hauses nicht legal, und zweitens raube sie ihm und seiner Familie die Privatsphäre.
El Hombre al Lado spielt in einem der bekanntesten Häuser von Buenos Aires, der Casa Curutchet, Ende der 1940er Jahre von Le Corbusier entworfen. Im Film hat sich Leonardo in diesem eleganten Stück moderner Architektur ein gemütliches Leben eingerichtet, der internationale Erfolg eines von ihm entworfenen Sessels erlaubt ihm einen solchen Luxus. Jeder Teil des Inventars bis hin zum Telefon ist ein kleines Design-Kunstwerk, das Haus von außen wie von innen eine Insel aus der Zukunft. Trotz regelmäßiger Streits mit seiner Ehefrau und der Nicht-Kommunikation mit seiner Tochter scheint Leonardo zufrieden mit diesem Leben – bis das Loch in der Wand sein Paradies bedroht. Mit dem grobschlächtigen Victor und seinem Plan dringt die Außenwelt in Leonardos perfektes Leben ein, in dem die Idee von Nachbarschaft bislang keinen Platz hatte.

Ein wenig erinnert die langsame Abwärtsspirale, in die Leonardo eintritt, an die Hiob-Figur aus A Serious Man (2009), auch wenn sich die Inszenierung der Argentinier eher an der Lakonie Kaurismäkis als an den Coen-Brüdern orientiert. Das passt auch deutlich besser, sind es doch in El Hombre al Lado keine existenziellen Katastrophen, die über den Helden hereinbrechen, sondern kleine Irritationen, die jedoch deutliche Risse in einer perfekt konstruierten Fassade hinterlassen. Allein scheint Leonardo diese Risse nicht reparieren zu können. Er greift auf einen juridischen Diskurs zurück – „Das darf man nicht!“ –, auf die Konventionen seines eigenen Milieus – „Das macht man nicht!“ –, und landet schließlich bei der schamlosen Ausnutzung seiner Privilegien, als er Victor Geld anbietet. Doch diesen interessieren keine Konventionen, und die Drohung mit der Polizei erkennt er als persönliche Beleidigung – er will den Disput „von Mann zu Mann“ klären.
In dem Maße, wie der vermeintlich harmlose Nachbarschaftsstreit den Standesdünkel und die Arroganz Leonardos enthüllt, schlägt die anfängliche Empathie, die wir mit dem Designer empfinden, in ihr Gegenteil um. Nachdem wir uns zu Beginn nur zu gern in den Argumenten des Designers wiedergefunden und in Victor den potenziellen Gewalttäter erkannt haben, sehen wir in Leonardo bald einen nur beschränkt bemitleidenswerten und selbstgerechten Schnösel. Victor dagegen steht nicht für das Böse, sondern vor allem für eine Realität, die in Leonardos Leben keinen Platz hatte, die zugunsten einer heilen Identität unterdrückt werden musste. Durch die Konfrontation mit dieser Realität beginnt die Fassade zu bröckeln, die kleinen Faschismen der Mittelklasse brechen durch, und das Unverständnis gegenüber dem Fremden kann nur noch durch die Anrufung eines Anwalts gelöst werden. Die vielen originellen Ideen in der Umsetzung werden begleitet von der Verunsicherung, die mit dieser Verschiebung der Sympathien einhergeht.

Wie schon Landsmann Gustavo Taretto in seinem Berlinale-Beitrag Medianeras (2010) nehmen auch Cohn und Duprat die Architektur von Buenos Aires zum Ausgangspunkt und landen bei einer so unterhaltsamen wie ernstzunehmenden Beschreibung unserer Zeit. Leonardos Tochter verbringt ihre Tage mit Bewegungsspielen vor dem Fernseher, das Che-Guevara-Poster in ihrem Zimmer ist bunt verfremdet und nur eine sehr vage Erinnerung ans letzte Jahrhundert, und der Opa erzählt am Mittagstisch nicht mehr von früher, sondern probiert die Spezialeffekte der neuen Handycam aus. Das Loch in der Wand erschüttert diese postmoderne Fröhlichkeit, erinnert an die Unerreichbarkeit der ersehnten Perfektion und macht die Wirkung der Beruhigungspille Digitalität zunichte.

Diese thematischen Motive werden in El Hombre al Lado nicht zuletzt auf akustischer Ebene reproduziert. Das beruhigende Surren der Laptops, mit denen Leonardo an seiner neuen Online-Präsenz arbeitet, wird durch die Bohrmaschine unterbrochen, mit der Victor seine Arbeit beginnt. Die digitale Technik vereinfacht und ordnet unser Leben, ersetzt die materiellen Maschinen aber nicht. Der Lärm der Bohrer, Hämmer und Staubsauger erinnert den König in seinem Palast an die Präsenz des Volkes, den Designer in seinem Le-Corbusier-Haus an die unvollkommene Welt da draußen.
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Kommentare
Cornelia Kukula-Bray
Sehr geehrte Damen und Herren,
bitte teilen Sie mir mit, wo ich den Film auf DVD bestellen kann, _ vielen Dank.
Michael
Hallo, die DVD gibt es hier als Import:
http://www.amazon.com/PELICULA-EL-HOMBRE-DE-LADO/dp/B004QC6HSC/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1385935811&sr=8-1&keywords=el+hombre+de+al+lado
Allerdings handelt es sich dabei wohl nur um die spanische Originalfassung.
2 Kommentare