Eine private Angelegenheit – Kritik
Dreiecksgeschichte im Partisanenkrieg des Jahres 1943: Der letzte Film der Brüder Taviani liefert uns dem zunehmenden Wahn seines getriebenen Protagonisten aus. Ein nachdenkliches Spätwerk, in dem der Faschismus als stetige, bleierne Bedrohung fühlbar wird.

Es ist wohl kein Zufall, dass Eine private Angelegenheit, der letzte Film der Brüder Taviani, deren Karriere 1960 begann, in Deutschland erst mit dreijähriger Verzögerung in die Kinos kommt. Ihre Mischung aus rechtschaffenem Humanismus, gepaart mit einer liebevollen Aufmerksamkeit für die Schrullen der italienischen Landbevölkerung, hat in der cinephilen Community nicht gerade Hochkonjunktur. Ein breiteres Publikum hingegen dürfte mit dem politischen Sendungsbewusstsein ihres Kinos fremdeln, das in der Tradition der militanten italienischen Linken der 1960er und 70er steht.
Zwischen Petzold und Zemeckis

Jenseits von Schrullen und Politik versetzen uns die ersten Minuten von Eine private Angelegenheit erstmal in eine unwirkliche Welt, in der Geschichte und Traumlogik nicht klar zu unterscheiden sind, ein wenig wie in Christian Petzolds jüngeren Historienfilmen, mit denen die Tavianis auch einen vorsichtigen Klassizismus der Formsprache teilen. Das melodramatische Zusammentreffen von Opferbereitschaft im Kampf gegen den Faschismus mit privater Liebesnot erinnert hingegen stark an Robert Zemeckis’ unterschätzten Hollywood-Blockbuster Allied von 2016.

Vordergründig erzählt Eine private Angelegenheit eine klassische Dreiecksgeschichte vor dem Hintergrund des Partisanenkampfs in Norditalien. Milton (Luca Martinelli) hat sich zu Beginn des Krieges in Fulvia (Valentina Bellè) verliebt und glaubt, dass sie seine Liebe erwidert. Aber einige Jahre später, inzwischen als Partisan in schwere Kampfhandlungen verwickelt, erfährt er, dass diese hinter seinem Rücken eine Liaison mit Miltons bestem Freund Giorgio (Lorenzo Richelmy) hatte. Von nun an setzt Milton, der nicht von ungefähr nach dem Verfasser des Gedichts „Paradise Lost“ benannt ist, Himmel und Hölle in Bewegung, um Giorgio zu finden, der aber mittlerweile von den Faschisten gefangen genommen wurde.
Retten oder Rächen?

Doch während man schon versucht ist, den Film als Schmachtfetzen abzutun, der den Partisanenkampf als Zeitkolorit benutzt, machen sich faszinierende Leerstellen in der Erzählung bemerkbar. So erfährt man beinahe nichts über Hintergründe und Motive der Figuren, das Liebesdreieck ist auf eine fast abstrakte Situation reduziert. Zwar rettet der charismatische Luca Marinelli in der Hauptrolle mit seiner geistvollen Präsenz manche schwächere Szene. Doch der Protagonist, den er spielt, bleibt den ganzen Film über eine Chiffre. Seinen richtigen Namen kennen wir nicht, sein Gesicht spricht nur vage von existenzieller Getriebenheit und Todessehnsucht. Die Erinnerungen an Fulvia, in blumigen Postkartenfarben vom metallischen Grau der kriegsgebeutelten Gegenwart abgehoben, wirken wie Projektionen von fragwürdigem Wahrheitsgehalt. Auch Miltons Beziehung zu seinem Freund und Nebenbuhler bleibt in der Schwebe. Möchte er Giorgio aus der Gefangenschaft befreien, um ihn zu retten oder um Rache zu nehmen?

Eine private Angelegenheit beantwortet diese Fragen nicht, liefert uns lieber dem sich ins Mythische steigernden Wahn Miltons aus, der die apokalyptischen, von ewigem Nebel durchzogenen Hügellandschaften durchquert, wo überall der Tod in Gestalt schwarz uniformierter Milizen lauert. Zunächst ist er auf der Suche nach Giorgio selbst, später versucht er, einen faschistischen Soldaten gefangen zu nehmen, um ihn gegen seinen Freund auszutauschen. Mit jedem Rückschlag, den er erleidet, erscheint das Gelingen seines Unterfangens unwahrscheinlicher, Milton aber macht mit dem Eifer eines Sisyphus weiter.
Drum-Solo in der Luft

Obwohl die Taviani-Brüder den historischen Hintergrund nicht besonders ausgestalten, ist doch entscheidend, dass Eine private Angelegenheit im Jahr 1943 spielt. Die Befreiung ist noch wenig mehr als eine vage Hoffnung, und der Nebel, der die Landschaft fest im Griff hat und ihre Bewohner verlangsamt, fast schlafwandlerisch agieren lässt, erscheint als Nacht der Geschichte, die sich auf das Land gesenkt hat. Auf einem Feld trifft Milton eine schwangere Frau, die mit einer Hand auf ihrem Bauch sehnsüchtig zu den amerikanischen Bombern am Himmel herauf blickt. Versonnen flüstert sie: „Fliegt, fliegt nach Deutschland, ihr Schönen.“ Im Lager einer benachbarten Partisanenkompanie, die kürzlich einen Gefangenen genommen hat, bittet Milton darum, diesen für seinen Austausch mitnehmen zu dürfen. „Sie wollen ihn nicht. Sie sagen, er wäre eine Bestie, vollkommen nutzlos“, erklärt ihm der Kompanieführer. „Die Bestie“ aber ist Jazz-Schlagzeuger und gibt wild gestikulierend ein Drum-Solo in der Luft, das vom Soundtrack des Films aufgenommen wird und zu dessen Klängen Milton seinen Weg verbissen fortsetzt.
Auch wenn Paolo Taviani – sein Bruder Vittorio ist im Frühjahr 2018 verstorben – in einem Interview den aktuellen Bezug ihres letzten Films herausgestellt hat: Eine private Angelegenheit erscheint weniger als Kommentar zum wieder erstarkenden Faschismus in Europa denn als zutiefst nachdenkliches Spätwerk der Taviani-Brüder, in dem die Filmemacher in die Zeit ihrer Kindheit zurückkehren und dort den Faschismus als Gefühl einer stetigen, bleiernen Bedrohung wiederfinden. Ein Gefühl, zu dessen Träger der junge Protagonist Milton wird, der am Ende des Films auf einem Hügelplateau steht und es nicht fassen kann: „Ich lebe noch“, sagt er, bevor er in dem Nebel verschwindet, aus dem er zu Beginn gekommen ist.
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