Il buco - Ein Höhlengleichnis – Kritik

VoD: Licht ins Dunkle bringen. Michelangelo Frammartino erzählt in seinem bildgewaltigen neuen Film eine Höhlenexpedition aus den 1960er Jahren nach. Il Buco - Ein Höhlengleichnis interessiert sich für das Forschen in der Tiefe, aber auch für das Leben und Sterben an der Oberfläche.

Die Kamera wartet in der Höhle. Die Welt ist unterteilt in Licht und Dunkelheit. Aber immer Ton und dadurch eine Welt. Zikaden… Wasser auf Stein… Fliegen… Ein helles Glockenläuten kündigt Kühe an, die in die Tiefe der Höhle spähen. Eine Stimme holt sie zurück, reist über die Wolken und deren Schatten von einer anderen Stelle des Tals. Es ist der Lockruf der Hirten. Er wartet an der Waldsteile. Er wartet mit grauen Haaren und sonnengekerbtem Gesicht und meistens mit Hut, aber manchmal ohne. Er vereint das Wissen des Tals, über seine Geographie, seine Geschichte und seine Bedürfnisse. Der Körper als lebendes Archiv.

Hochhaus im Fernseher

Michelangelo Frammartinos Ein Höhlengleichnis (Il buco) ist teilweise Fiktion, weil er erstmal daran arbeitet, eine Ebene des Nacherzählens aufrechtzuerhalten. Es wird nicht viel gesprochen und das Gesagte bleibt unübersetzt und nur durch seine Funktion greifbar: Kommandos, Warnrufe und Gebete. Der Film spielt in Kalabrien, dem verrutschten Herzen Italiens. Der nächstgelegene Ort zu der Höhle ist ein Bauerndorf aus Backstein und roten Ziegeldächern. Man baute auf engstem Platz und das Leben entwickelte sich in den Zwischenräumen. In den Gassen und Erkern. Versammelt sich in der Kirche und der Bar, die den einzigen Fernseher besitzt. Er berichtet vom Bau des Pirelli-Hochhauses in Mailand und den Menschen, die es pflegen. Geschichte wird hier als ökonomisches Wachstum gelesen, Frammartinos Blick aber bleibt im Dorf, in Kalabrien, dort, wo das Geld nicht ankommt.

Ein Höhlengleichnis spielt in den 1960er Jahren. Ein Team aus Höhlenforschern aus Piedmont, die bisher nur den Norden Italiens erforschten, wenden sich dem Süden zu. Ihr Ziel ist der Abisso del Bifurto. Ihre Expedition wird erfolgreich sein und die bis dato dritttiefste Höhle der Welt entdecken. Sie werden jahrelang niemandem davon erzählen. Um die Tiefe der Höhle herauszufinden, lassen Sie einen Stein fallen, doch der Ton gibt hier nur eingeschränkt Auskunft. Sie zünden Blätter eines Magazins an (Epoca mit Nixon und Kennedy auf dem Titelblatt – zwei Weltanschauungen, die hier beide scheitern) und lassen diese wie brennende Tauben in die Tiefe flattern, bis sie verharren und von unten leuchten. In einer beeindruckenden Aufnahme sehen wir eine Wiederholung von diesem Prozess, aber die Kamera wartet nun bereits in der Tiefe auf das brennende Papier. Immer Dunkelheit, die von Feuer und Funken und den Helmen ausgemalt wird. Eine Sprosse der Leiter, mit der die Forscher hinabklettern, fasst kaum zwei Handbreiten. Sie ist in der Vertikale gesichert, nicht aber an den Rändern.

Kennedy mit Loch im Kopf

Gedreht wurde der Film von Renato Berta, der langjährige Kameramann von Jean-Marie Straub und Straub-Huillet ist bzw. war. Beim Dreh, das erzählt Frammartino in einem Interview mit dem Filmmaker Magazine, teilte sich das Team in zwei Gruppen auf. Eine Crew ging mit Frammartino in die Höhle – vier Stunden Ab- und Aufstieg, dazwischen waren teilweise nur ein oder zwei Einstellungen möglich –, eine andere wartete mit Berta an der Oberfläche und wertete das empfangene Bildmaterial aus. Um dieses an die Oberfläche zu bringen, wurde ein fast ein Kilometer langes Glasfaserkabel ausgelegt. Das Equipment blieb, in wasserfesten Boxen verstaut, während dem ganzen Dreh unter der Erde.

Die Forscher im Film trauen dem Wasser nicht, und trotzdem folgt man ihm, um den tiefsten Punkt zu finden, kartiert um es herum. Je tiefer sie kommen, desto feuchter wird der Ton. Es tropft, plätschert und rieselt. Die Körper zeigen die physische Anspannung. Nixons Gesicht ist weggebrannt, Kennedy hat ein Loch in seinem Kopf. Bald werden auch sie zu Wasser werden, in das Ökosystem der Höhle einfließen. Man sucht den sicheren Schritt, zwängt und verbiegt die Knöchel, um nicht mit dem Boden in Berührung zu kommen, der undurchsichtig ist und trügen kann. Als es darum geht, eine Pfütze, vielleicht zwei Meter im Durchmesser, zu durchqueren, wird ein rotes Boot nach unten geschafft. Man traut dem Wasser nicht.

In ihrem Selbstverständnis ist Höhlenforschung eine vor allem persönliche Arbeit, fern von der Akademisierung, mit der die Disziplin heute betrieben wird und in der Expeditionen nur anerkannt werden, wenn man sie publiziert. Aber nicht weniger unproblematisch: Einer Höhle wird immer die Ethik derer aufgezwängt, die sie erforschen. Der Film versteht dies, zeigt, wie der Abisso del Bifurto belagert und beispielsweise mit einem Fußball bespielt wird, schafft aber nicht den Spagat, das auf seine eigene Form und Existenz umzudenken. Auch weil es dann vielleicht keinen Film geben würde.

Stille und Resignation

Während die Expedition voranschreitet, ist der Hirte in ein Koma gefallen und wir begleiten ihn beim Sterben. Die Gewalt, die dieser Eingriff in das Land, diese Expedition bedeutet, fordert seine Opfer. Ein Höhlengleichnis spielt sich zwischen diesen beiden Ebenen ab und erschafft dadurch zeitweise die schönsten Bilder dieses Kinojahres. Die physische Qualität der Bilder in der Höhle, wo Raum nur sichtbar wird, wenn der Körper und damit das Licht sich ihm aktiv zuwenden. Die sinnliche, Bressonische Reduktion auf dem Sterbebett, wo der Hirte über einen Schwamm zu trinken bekommt und seine Hände immer noch leicht zittern und noch nicht ruhen können. Die Forscher erreichen das Ende der Höhle – eine Wand aus Stein, davor eine Wasserlake – und reagieren mit stiller Resignation. Der Hirte atmet zum letzten Mal aus und das Licht bricht sich noch einmal an seinem Gesicht, bevor dieses mit einem Tuch verhüllt und die Leiche nach draußen getragen wird. Was bleibt ist das Land, der Nebel und sein Echo. Wenn das Bild schweigt, hat der Ton das letzte Wort.

Der Film steht bis 23.12.2024 in der Arte-Mediathek.

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