Ebola Syndrome – Kritik

Neu auf DVD: Aus der Mundhöhle des Infizierten in die Welt gucken. Herman Yaus Hongkong-Sicko Ebola Syndrome ist ein greller Reigen der Widerwärtigkeiten und weiß von der Gleichheit der Menschen im Bösen.

Wenn nach ein paar Minuten der Titel eingeblendet wird, wissen wir bereits sehr genau, woran wir sind. Regisseur Herman Yau und Drehbuchautor Ting Chau haben eine Welt des reinen Exzesses erschaffen. Es geht um einen Sex, den das schonungslose Ausagieren patriarchaler Machtverhältnisse in gleichem Maße lächerlich und widerwärtig macht, eine bitterböse Karikatur der männlichen Unterwerfungsfantasien der Hetero-Mainstream-Pornografie. Es geht um eine denkbar fiese Gewalt, wie man sie in dieser Intensität außerhalb des asiatischen Genrekinos eher vergeblich sucht. Und das alles ist beständig derart over the top, dass es haarscharf an der reinen Albernheit vorbeischrammt. Zugleich aber schlägt Ebola Syndrome so sehr auf den Magen, dass einem das Lachen unentwegt im Hals stecken bleibt. Im Kern der blutrünstigen Farce steckt die große Tragödie einer von kaputten Menschen bevölkerten kaputten Welt.

Die Hölle sind die anderen Menschen

Die Tragödie ist auch die des Mädchens Har, das zum Warten nach unten geschickt wird in die engen, mit Leuchtreklamen voll gehängten Gassen Hongkongs, während sich ihre Mutter oben in der Wohnung mit Kai (Anthony Wong) nicht wirklich vergnügt, sondern eben Ekelsex hat. Als Hars Vater, der zugleich Kais Chef in einem Restaurant ist, mit einem Freund nach Hause kommt und seine Frau und Kai überrascht, will er den Kontrahenten kastrieren. Dieser gewinnt jedoch letztlich die Oberhand und richtet ein Massaker an, das nur das Mädchen überlebt. Bei aller grimmigen Überzeichnung schwingt in dieser Szene auch eine leise Melancholie mit, die verdeutlicht, dass der Film nicht nur die Perspektive seines Protagonisten Kai einnimmt, sondern – zunächst – auch die seiner Opfer. Es geht um das Ende einer Kindheit, den Verlust einer Unschuld, für die in der Welt von Ebola Syndrome kein Platz ist.

Zehn Jahre später ist Kai nach Südafrika geflüchtet, arbeitet wiederum in einem Restaurant und begleitet seinen taiwanesischen Boss eines Tages in die Wüste, um bei einem Zulu-Stamm besonders billiges Fleisch zu kaufen. Die Zeichnung der Dorfgemeinschaft ist voller rassistischer Stereotype, letztlich sind die Zulus aber schlicht ebenso gewalttätig und geldgeil wie die meisten Figuren in Ebola Syndrome, ihre Darstellung drückt eher eine denkbar grimmige Vorstellung von der Gleichheit der Menschen im Bösen aus. Die primitivistische Idealisierung des „Archaischen“, „Autochtonen“ ist hier jedenfalls kein gangbarer Weg. Die Hölle sind die anderen Menschen, und wo Menschen sind, gibt es aus ihr kein Entkommen – vollkommen gleich, ob sie nun Lendenschurz und Speer oder Anzug und Aktentasche tragen.

Profit und Sex

Yaus Film gehört zu einer Art von Kino, die oft als CAT(egory) III-Filme (nach der höchsten Altersfreigabe in Hongkong) oder „Sickos“ bezeichnet werden. Letzteres passt in diesem Falle besonders gut, geht es doch gleichermaßen um eine tödliche Krankheit und eine vollkommen kranke Gesellschaft. Auf dem Rückweg in die Stadt vergewaltigt Kai bei einer Pinkelpause an einem See eine sterbende Zulu-Frau und infiziert sich mit Ebola. Weil seine Vorgesetzten deshalb bald planen, ihn „verschwinden zu lassen“, kommt er ihnen zuvor und verarbeitet ihre Leichen zu Fleischfladen, die er an die Gäste des Restaurants verköstigt. Dann taucht auch noch die inzwischen erwachsene Har (Miu-Ying Chan) mit ihrem Mann in Johannesburg auf und erkennt in Kai den Mörder ihrer Eltern wieder. Während der Jagd auf sie trägt Kai das tödliche Virus schließlich zurück nach Hongkong.

Der denkbar grelle Reigen der Widerwärtigkeiten und Grenzüberschreitungen entwickelt im Verlauf von Ebola Syndrome einen zunehmenden Sog. So finster wie die Atmosphäre des Films ist dabei auch sein Bild des Menschen und der patriarchalen und kapitalistischen Verhältnisse, deren Gefangener er ist, die er dabei aber zugleich mit seinen Taten am Leben hält. Die beständigen Eskalationen, die dem Film seine narrative Struktur geben, entspringen letztlich alle zwei zerstörerischen Quellen: dem Streben nach Profit und einer sadistischen männlichen Sexualität.

Viehische Misogynie

Sex, Gewalt und Geld sind dabei nicht das eigentlich angestrebte Ziel, sondern bloße Mittel zur Macht über das Gegenüber. Frauen fungieren in dieser gesellschaftlichen Ordnung als Trophäen des sozialen Aufstiegs und Statussymbole einer finanziell privilegierten Position. Indem sich Kai der Frauen seiner Vorgesetzten „bemächtigt“, trachtet er danach, diesen ihren sozialen Status streitig zu machen. Dass Frauen für ihn letztlich immer nur ein Stück Fleisch sind, führt der Film auch in einer besonders ekelerregenden Szene vor Augen, in der ihm ein Loch in einem Stück Fleisch in sexueller Hinsicht eine Frau ersetzt. Auch wenn diese viehische Misogynie ein Merkmal der Figur, nicht des Films ist, sind Frauen hier nicht automatisch „besser“, im Sinne von weniger grausam und skrupellos. Auch ändern sich die Machtverhältnisse nicht, jedenfalls nicht zum Besseren, indem die proletarische Hauptfigur sich die Position derer erkämpft, die sie ausbeuten. Es ist die Macht selbst, die jede*n, korrumpiert, die*der sie besitzt.

Der Mensch wuchert per Virus in die Natur

Das Virus als zerstörerische, ein unbändiges Chaos anrichtende Macht spiegelt die soziale (Un-)Ordnung der ewigen Machtkämpfe. Dabei scheint es weniger um die Entmenschlichung der Figuren zu gehen, sondern eher darum, dass ihre Psychopathie, ihre totale Indifferenz gegenüber menschlichem Leid und Leben, in Form des Virus in die Natur wuchert. Letztlich sind die Schrecken der Gesellschaft dabei immer größer als die der Natur – zumal Kai das Virus schließlich auch als eine Art biologische Nahkampfwaffe einsetzt, indem er die Polizisten anspuckt, die im Finale seine Verfolgung aufnehmen.

Zugleich gehören die Szenen, in denen Yau die Viren per CGI bei ihrem Flug durch die Luft sichtbar macht, auch zu seinem ästhetischen Programm einer radikalen Sichtbarkeit: Sie fügen sich gut in einen Film, dessen Kamera den Blick von keiner Grausamkeit abwendet. Auch wenn die Animationen, wie viele ihrer Zeit, nicht gut gealtert sind, sind gerade die kurzen Einstellungen, in denen die Kamera aus Kais Körper durch seine Mundhöhle hinaus in die Welt guckt, in die er die Viren speit, essenziell. Dass die Kamera uns in den Rachen des Killers versetzt, bedeutet gerade nicht, dass wir seine Opfer wären. Vielmehr vollzieht sich eine unheilvolle Synthese von „böser“ Natur, bösen menschlichen Taten und der Apparatur des Kinos. Mit aller Unschuld ist in Ebola Syndrom auch die Möglichkeit eines unschuldigen Kamerablicks verschwunden.

Der Text ist ursprünglich am 11.05.2020 erschienen.

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