Drop Out - Nippelsuse schlägt zurück – Kritik

Ist es ein Neo-Noir, ein Erotikthriller? Eine derangierte Großstadtkomödie, ein Sittenporträt eines zugekoksten 90er-Hamburgs? In jedem Fall ist Drop Out (1998) ein Film, der in seiner Großspurigkeit im deutschen Kino Seltenheitswert hat.

Das Faszinierende an einem Noir-Film ist doch, daran teilzuhaben, wie die Figuren durch den Stadtraum streifen, der für sie gleichermaßen Verheißungen und Bedrohungen bedeutet. Dazu das immer stärker werdende Gefühl beim Sehen, dass dem Helden die Kontrolle über das Geschehen entgleitet, sich die Schlinge um seinen Hals zuzieht. Der genaue Verlauf der Story wird da zur Nebensache. Manchmal ist sie so intrigen- und wendungsreich, dass man nicht mehr richtig durchsteigt. Der Noir-Krimi steht neben aller Handlungs- und Dialoglastigkeit aber eben auch für ein Kino der forcierten Stimmungen. Man kann sich in ihm auch einfach mal von den Bildern, die einem so manches vorenthalten, und dem Score, der einem oft vorgibt, was man fühlen soll, treiben lassen.

Vergessene Großspurigkeit

So eine Seherfahrung bietet auch der deutsche, seinen Formwillen stets zur Schau stellende Low-Budget-Film Drop Out – Nippelsuse schlägt zurück (1998), der nun eine restaurierte Kino-Wiederaufführung bekommt und im November zudem fürs Heimkino erscheint. Passend zum Filmtitel bringt ihn der auf kleine und querstrebende Werke spezialisierte Verleih Drop-Out Cinema gemeinsam mit den Kollegen von Forgotten Film Entertainment heraus – auch das passt zu dem heute vergessenen Neo-Noir. Oder ist es doch eine derangierte Großstadtkomödie mit Sitcom-Einschlag? Ein Erotikthriller? Das Sittenporträt eines zugekoksten 90er-Hamburgs? Klar ist jedenfalls, dass in Drop Out unterschiedliche Stile, Genre und Filmgeschichtstraditionen aufeinanderprallen und etwas ergeben, was in seiner Großspurigkeit im deutschen Film jüngerer Zeit selten sein dürfte.

Das hängt sicher auch mit dem ungleichen Regieduo der Wolfgang Büld Produktion zusammen: Die Hauptdarstellerin und Regiedebütantin Beatrice Manowski (*1968), die auch das Drehbuch (mit-)verfasste, und eben Wolfgang Büld (*1952), Produzent und zeitweilig populärer Genrefilmer mit Mainstreamambitionen. Manowski – die wohl, nach allem, was man hört, das Gros der Regie übernahm – sorgt mit ihrer eitel-rotzigen Art, jede Einstellung zur eigenen Bühne werden zu lassen, für den Punk-Charme des Ganzen. Büld scheint hingegen vor allem seiner Lust am „Geschmacksverirrten“ und Burlesken, etwas, was auch schon sein Nena-Vehikel Gib Gas – Ich will Spaß (1983) und den frühen Schweiger-Streifen Manta, Manta (1991) auszeichnete, neue Facetten hinzufügen zu wollen.

Repertoire des unguten Geschmacks

Manowski hatte bereits bei Manta, Manta vor der Kamera gestanden – aus heutiger Sicht ein schönes Zeitdokument des Manta-, Frisösen- und Dorfproll-Humors, aber auch abseits dessen souverän in seinem Transfer US-amerikanischer Suburban- und Gangwar-Motive in bundesdeutsche Hinterlandtristesse. Die für Leinwandnaturalismen bereits hier zu exaltiert aufspielende Manowski verkörpert Sabine, das Mauerblümchen mit Omafrisur und unvorteilhaftem Brillengestell. Als sie ihrer besten Freundin Uschi im Friseursalon aushilft, verwechselt sie das Shampoo mit der Tube, in die sie für einen Schwangerschaftstest gepinkelt hat. Es landet natürlich aus Versehen im Haar der Kundin.

In Drop Out wird der Gag dann zitiert: Hier observiert Manowskis Filmheldin Marion Niplowski, auch „Nippelsuse“ genannt (beim Nachdenken habe sie, wie sie sagt, die Angewohnheit, sich die Nippel zu reiben), ihr Auftragsziel von einem Van aus. Aus dem offenen Autofenster greift sich plötzlich eine Obdachlose ihre Bierdose. Es ist auch hier wieder die falsche Flüssigkeit, schließlich kann die Detektivin nicht austreten … Solche derben Einlagen, die sich über Körper und Milieus ohne Rücksicht auf den „guten Geschmack“ amüsieren, hat der Film häufig im Repertoire: nächtliche Verfolgungsjagden mit wippenden Umschnalldildos, ins Leere gehende Tresengespräche über Analsex, schlichte Gemüter mit Perücken und modische Verirrungen an allen Ecken und Enden, schließlich ein auch gern vom 4/4-Takt durchdrungener Kriminalplot, der, statt Spannung zu erzeugen, eher dazu dient, komische Szenerien aneinanderzureihen.

Low-Budget-Poesie

Dabei liest sich die Story von Drop Out erst einmal grob wie ein klassischer Noir, bloß eben mit weiblichem hard boiled detective: Eine erfolglose und desillusionierte Kneipensängerin verlässt ihren vor sich hinsiechenden Künstlerfreund und gibt bei ihrem neuen Vermieter aus Verlegenheit an, Privatdetektivin zu sein. Auf die Lüge folgt ein erster Auftrag, der sie gleich in die Schaltzentralen der Macht katapultiert. Statt die übliche, kleine Sexaffäre aufzudecken, geht sie viel tiefer ins Schlamassel: Ein Mord und ein Cop, der die Detektivin verdächtigt, dann noch eine lesbische Hamburger Senatorin, die erpresst zu werden scheint, Kellertüren in die Unterwelt. Und: Viel Koks und Szenen mit nackter Haut.

Alles, was einen klassischen Krimi ergeben könnte, durchkreuzen nicht nur die Komödieneinlagen, sondern auch die „zugekokste“ Inszenierungsweise selbst: Drop Out ist fast schon zu selbstbewusst vorgetragen, als sprunghafte Szenenkompilation an den Bedürfnissen eines Krimikino-Publikums vorbeiinszeniert (ein US-amerikanisches Pendant wäre vielleicht Abel Ferraras Kammerspiel-Sci-Fi-Erotikthriller New Rose Hotel, 1998). Die Kamera von Uwe Bohrer macht sich häufig bemerkbar, entwickelt ein Eigenleben. Den schlecht aufgelösten Filmbildern von Manowskis nacktem Körper wohnt eine eigene Poesie inne. Drop Out teilt sie sich mit einem anderen Low-Budget-Film, den Bohrer bebilderte hat: Jörg Buttgereits Underground-Klassiker Nekromantik (1987). Wie eigenständig und lyrisch bereits hier die Bildgestaltung war, haben seine shock values wohl in der allgemeinen Wahrnehmung stets etwas verdeckt. Die Bilder in Drop Out würde man nicht im üblichen Sinne schön nennen – sie wirken sogar nochmal mehr Lo-Fi als die von Nekromantik; was auch daran liegt, dass er auf Betacam gedreht und für die Kinoleinwand auf 35-mm-Material transferiert wurde.

Starkino

Drop Out greift auch immer wieder aus der Leinwand heraus: Marion erzählt uns rückblickend (also in guter, alter Noir-Tradition), wie es zu den Verstrickungen kam, die sie unter Mordverdacht stellten. Wir werden in diesen Home-Movie-Szenen direkt angesprochen, das exaltierte Gequassel hebelt ein Eintauchen in die Spielfilmhandlung von vornherein aus. Drop Out kommt wie eine drogeninduzierte Performance daher, sein Stil – die krassen Drehbuchdialoge, die Krisselbilder und wirren Storyversatzstücke – macht die Immersion unmöglich. Und doch stellt sich irgendwie eine Sogwirkung ein.

Das liegt vor allem an Manowski und ihrer Präsenz, speziell an ihrem Gesicht. Man sieht diesem Gesicht, das auf schöne Weise etwas Verbrauchtes hat, unmittelbar an, dass es uns nur Künstliches ausdrückt. Zugleich wirkt es frisch und authentisch. In Buttgereits Nekromantik gibt es eine Szene, in der Manowski neben der faulenden Leiche, die ihr nekrophiler Freund für sie beide besorgt hat, auf dem Bett liegt und ihr aus einem Roman vorliest. Das Ganze ist merkwürdig und unnachahmlich betont. Die Szene wurde spontan am Set entwickelt; etwas von dieser Art (sich ohne Rücksicht auf irgendwelche Konventionen selbst) zu spielen, blitzt immer wieder in Manowskis Regiedebüt auf. Drop Out ist extrem auf seinen „Star“ zugeschnitten, ein Star, der im Muff des deutschen Kinos der 1990er wohl nicht zum Star werden konnte.

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