Drive-Away Dolls – Kritik
In seinem Roadmovie über ein ungleiches Frauenpaar auf der Flucht setzt Ethan Coen vor allem auf lesbischen Sex und Dildowitze. Dass an dem bereits 2000 entstandenen Drehbuch kaum etwas geändert wurde, merkt man Drive Away Dolls an.

Flackerndes Neonlicht, eine schummrige Bar, in der hintersten Nische ein schwitzender Typ im Trenchcoat, der einen Metallkoffer umklammert und panisch auf die Uhr schaut. Seine Verabredung ist geplatzt. Er stürzt nach draußen, flieht in eine dunkle Gasse, verfolgt von skrupellosen Gangstern, die sich mit Baseballschläger und Knochensäge auf ihn stürzen. Ein markerschütternder Schrei, dann ist Pedro Pascals Auftritt als schmieriger Erpresser auch schon vorbei. Nur sein abgesägter Kopf in einer Hutschachtel wird als Running Gag später noch ein paarmal auftauchen.
Drive Away Dykes

So beginnt Drive Away Dolls, der neue Film von Ethan Coen, noch ganz im Stil der schmutzigen Film-noir-Komödien, für die die Coen-Brüder als Autorenduo berühmt sind. Doch diesmal ist Joel nicht beteiligt. Und schon in der nächsten Szene macht die Handlung eine scharfe Kurve. Wir sehen zwei Frauen im Bett, leckend, stöhnend, schreiend – orgiastischer Lesbensex in Nahaufnahme, etwas, das in Coen-Brothers-Filmen eher selten vorkommt. Jamie (Margaret Qualley), eine junge Frau mit großer Klappe und explosiver Libido, lässt nichts anbrennen, egal ob auf der Comedy-Bühne oder beim Abschleppen von Zufallsbekanntschaften aus der lokalen Dyke Bar. Klar, dass das nicht ohne Folgen für ihre feste Beziehung bleibt. Ihr Girlfriend, eine nicht ganz so libertäre Polizistin, schmeißt sie aus der gemeinsamen Wohnung. Jamies Antwort auf den Beziehungsstress: ein Roadtrip nach Florida mit Zwischenstopps in allen Lesbenbars auf dem Weg in den Süden.

Zur Reisegefährtin überredet sie die introvertierte Politaktivistin Marian (Geraldine Viswanathan), die eigentlich nur ihre Tante in Tallahassee besuchen wollte. Das Auto für den Abenteuertrip macht Jamie bei einem zwielichtigen Mietwagen-Dealer klar, der Fahrer für Autoüberführungen sucht. Was die „Drive Away Dykes“ – so lautete der Arbeitstitel des Film – nicht wissen: Versteckt im Kofferraum ihres Leihwagens liegt heiße Ware. Und so schlittert das ungleiche Runaway-Paar auf dem Roadtrip in immer größere Verwicklungen, Missverständnisse und verunglückte Sexabenteuer, während ihnen fiese Gangster auf den Fersen sind und irgendwann auch noch die eifersüchtige Ex auftaucht.
In der Dildo-Falle

Dramaturgisch irrlichtert der Film zwischen derbem Slapstick und schummeriger Krimi-Action. Tatsächlich wollten Ethan Coen und seine Partnerin Tricia Cooke, mit der er das Drehbuch verfasste, dem Roadmovie-Genre mit der queeren Storyline neues Leben einhauchen. Doch trotz prominenter Besetzung – neben Pedro Pascal spielen auch Matt Damon, Colman Domingo und Miley Cyrus mit – ist das leider ziemlich in die Hose gegangen. Oder besser in die Dildo-Falle. Coen und Cooke setzen vor allem auf lesbischem Sex als Motor und Aufreger des Films. Ob auf dem Klo, unter der Dusche, im Auto, in der Gay Bar, bei der Fußballerinnen-Party, in Flashback-Sequenzen mit Lavalampen-Optik, es wird dauernd geknutscht, gefingert oder mit Dildos penetriert. Allerdings wird der Sex dabei ziemlich klemmig dargestellt, die lesbische Lust wirkt fast schon spießig. Was ja auch ein Statement wäre. Doch in Drive Away Dolls sind fast alle Sexszenen nur zum Lachen da, sie dienen als Comedy-Elemente des Films. Das ist nicht nur ermüdend, sondern auch alles andere als sexpositiv.

Die eigentliche Thriller-Geschichte wird nachlässig und einfallslos erzählt: Jamie und Marian entdecken im Mietauto den Dildo-Koffer. Haha. Natürlich probiert Jamie später im Hotelbett einen davon aus. Hahaha. Derweil wird der Mietwagenverleiher von den Gangstern zu Klump gehauen. Aua. Die angeheuerten Killer machen auf kaltblütig, lassen sich dann aber von einem kläffenden Hündchen in den Arsch beißen. Hihihi. Die ganze Handlung scheint fast nur aus aneinandergereihten Versatzstücken anderer Filme zu bestehen. Darunter auch welche von den Coen-Brüdern selbst: Blood Simple (1984) und The Big Lebowski (1998) lassen grüßen. Bei rebellischen Frauen on the road denkt man an Thelma & Louise (1991) von Ridley Scott. Das geschwätzige Gangsterduo, das den Girls auf den Fersen ist, erinnert wiederum an Vincent und Jules, die philosophierenden Killer aus Quentin Tarantinos Gangsterparodie Pulp Fiction (1994), der abgetrennte Kopf in der Hutschachtel an David Finchers düsteren Thriller Se7en (1995). Alles Filme aus den 90er Jahren, was vielleicht kein Zufall ist.
Kruder Polit-Plot

Coen und Cooke entwickelten das Skript bereits Anfang 2000. Damals fanden sie keine Finanzierung für das Projekt. Jetzt haben sie es mit Starbesetzung reanimiert. Am ursprünglichen Drehbuch hätten sie kaum etwas geändert, sagten sie im Moviemaker-Interview. Genau da liegt das Problem. Vor 20 Jahren wäre ein lesbischer Roadmovie noch überraschend gewesen und das Kinopublikum hätte wahrscheinlich auch über blöde Dildowitze gelacht. Inzwischen sind komplexe queere Charaktere und queerer Sex längst im Mainstream angekommen. Die Messlatte liegt heute also deutlich höher. Da hilft auch der krude Polit-Plot am Ende des Films nicht wirklich: Hinter dem Dildo-Killerkommando stecken nämlich einflussreiche Trump-Republikaner, die einst auf Drogenpartys ihre erigierten Schwänze abformen ließen, was ihren heutigen Karrieren schaden könnte. Vielleicht hätte sich aus den trashigen Zutaten der Drive Away Dolls ein origineller Meta-Thriller zaubern lassen. Ethan Coen ist leider nur eine klischeeüberladene Comedy gelungen, über die sich weder Fans des schwarzhumorigen Coen-Universums noch Freundinnen des queeren Kinos freuen dürften.
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