Dogman – Kritik
Die Machtlosigkeit als Wesenskern – Matteo Garrone begibt sich in Dogman an eine Stätte des ewigen Verhungerns, der hilflos verkeilten Körper und der halbgaren Sehnsuchtsbilder.

Hunde gibt es in vielerlei Größen, und man könnte annehmen, dass sich aus der Vielfalt der äußeren Erscheinungsformen eine entsprechende Vielfalt der Verhältnisse ergibt, in die der Mensch zum Hund eintreten kann. Aber für den menschlichen Blick ist nur eine Unterscheidung tatsächlich von Bedeutung: Entweder ein Hund ist groß genug, um auch noch in Momenten der Schwäche und Hilflosigkeit stets als eigenständige Kreatur in Erscheinung zu treten – oder er ist es nicht, ist bei allem Tun und bei allen Äußerungen seines Instinkts und seiner Bedürfnisse immer nur ein Objekt, ein Schauspiel, eine Fiktion seiner selbst. Ein in unseren Augen derart verzwergtes Tier ist dann auch gar nicht mehr eigentlich ein kleiner Hund, sondern etwas von seinen größeren Verwandten Grundverschiedenes – ein Hündchen, für das die Machtlosigkeit nicht nur ein äußerer Zustand, sondern die entscheidende Bestimmung seines ganzen Wesens ist. Es trägt sie immer mit sich herum, ist ganz in ihr aufgegangen und kann ihr folglich auch nie entfliehen oder sich aus ihr erheben, ohne dabei selbst verloren zu gehen.
Symbolisch überhöhtes Randgebiet

Der Hundefriseur Marcello, das macht Matteo Garrones Dogman von Anfang an deutlich, ist ein solches Hündchen. Mit seinem schmächtigen und stets geduckten Körper huscht er durch die unasphaltierten Straßen einer dystopisch anmutenden Siedlung, die mit ihren hohen Wohnblöcken und ihren massiven, mit Zinnen verzierten Betonbauten wie eine gedrängte Festung im Brachland nahe der italienischen Meeresküste liegt. In dieser Stadt scheint es als einzige Infrastruktur ein Spielautomaten-Kasino, einen halbseidenen Goldankauf, einen Stripclub und eben Marcellos Hundefrisiersalon zu geben – man weiß nicht so recht, wie sich die Menschen hier überhaupt am Leben halten ohne Supermarkt, ohne Krankenhaus, ohne irgendwelche Betriebe oder Fabriken, in denen sie Arbeit finden könnten. Die Figuren in Garrones Film fristen ihr Dasein in einem streckenweise fast schon symbolisch überhöhten Randgebiet, das von jedem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang isoliert ist und der Zeit ein Stück weit enthoben: Dogman zeichnet die Stätte eines langsamen Verhungerns, das so konstant und unerbittlich ist, dass man es schon längst als einen natürlichen Zustand erlebt, als die Art und Weise, in der man nun einmal auf dieser Welt existiert.

Das Fehlen jedes breiteren gesellschaftlichen oder gar politischen Zusammenhangs schafft in Dogman jedoch vor allem den Freiraum für das eigentliche Drama: das einer rein mechanischen Unwucht zwischen zwei Körpern, die nicht anders können, als einander ständig zu umkreisen. Vielleicht ist es Gewohnheit, vielleicht Naivität, vielleicht ist es aber auch die unausweichliche Dynamik der Schwerkraft, die den kleinen Marcello dazu bringt, unablässig die Nähe des großen, bulligen und brutalen Kleinkriminellen Simone zu suchen. Immer wieder verkauft er Simone etwas Kokain oder lässt sich von ihm für kleinere und größere Diebstähle einspannen, hauptsächlich aber wird Marcello von Simone geprügelt, gewürgt, am Kragen gepackt und hin und her geworfen.
Überzeugungen ohne Masse

Dieser Konflikt und diese Abhängigkeit wird in Dogman nicht auf soziale Dynamiken oder auf psychologische Eigenheiten zurückgeführt, sondern als ein rein physikalisches Problem inszeniert. So drängt sich beständig Simones breite Körpermasse ins Bild und lässt den ohnehin zerbrechlichen Marcello vollends zum Strichmännchen verkommen, so bleiben von Marcellos Körper in Simones aggressiven Umarmungen immer wieder nur mehr einzelne Gliedmaßen und ein zwischen den mächtigen Armen wie verlorener Kopf übrig. Marcellos Tragödie besteht in Garrones Film einzig und allein darin, dass er seinem Wollen und seinen moralischen Überzeugungen keinerlei Masse verleihen kann – und dass beides so vollkommen wirkungslos bleiben muss.

Dogman ist am eindringlichsten in dem Entwurf dieser rein mechanischen Konstellation und in der Unerbittlichkeit, mit der er persönliche Konflikte auf ein derart unmenschliches Getriebe zurückführt. Das Ungleichgewicht zwischen Marcello und Simone kann nicht in Gesprächen ausgehandelt werden, kann nicht durch Gesten des Vertrauens oder durch ein erneuertes persönliches Einverständnis aus der Welt geschafft werden – es lässt sich als physikalisches Phänomen nur mit physikalischen Mitteln ausgleichen. Aber ist dieses Getriebe einmal offengelegt, weiß Garrone ihm kaum noch neue Facetten abzugewinnen und lässt es irgendwann nur mehr vor sich hin laufen, bis er dann selbst auch nicht mehr ganz zu wissen scheint, welche Bedeutsamkeit er dem letzten, verzweifelten Gewaltakt eigentlich zumessen will.
Der Wunsch, dass alles anders sein möge
Stattdessen kleidet Dogman das Leid seiner Hauptfigur in allzu vage und visuell auch nur unvollständig erkundete Sehnsuchtsbilder, wenn Marcello etwa beim gemeinsamen Tauchen mit seiner jungen Tochter oder beim nächtlichen Fußballspiel mit den anderen Männern aus der Stadt gezeigt wird. Das Drama, das sich aus dem Schicksal der eigenen Körpermasse ergibt, mündet so in dem Wunsch nach einer Ordnung und einem sozialen Gefüge, in dem diese Masse aufgehoben und ausgelöscht wird, sei es in der Schwerelosigkeit unter Wasser oder in dem festen Regelwerk des Sports. Der Film scheint die körperlichen Dynamiken, die er zuvor so scharf umrissen hat, dann doch nicht recht ernst zu nehmen, wenn er sie am Schluss nur in den Wunsch münden lässt, dass alles doch ganz anders sein möge.
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