Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt – Kritik

Neu auf MUBI: Anekdoten von Ceaușescu, Viktor Orban und Uwe Boll. Radu Judes neuer Film baut einen Dialog mit dem rumänischen Kino des Jahres 1981 auf und offenbart dabei das Konzentrationsvermögen eines Instagram-Feeds.

Gegen Ende von Radu Judes  Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt bringt Protagonistin Angela Răducanu (Ilinca Manolache) ihre Vorstellung von Apokalypse, und auch die des Films, auf den Punkt: Einmal habe sie arbeitsbedingt das Set eines Pornodrehs besucht. Als der männliche Darsteller keinen mehr hochkriegte, musste er abbrechen und wusste sich nicht anders zu helfen, als sein Handy zu zücken und auf PornHub zu gehen. Das schnelle Abrufen von mechanischen Routinen, das kurzfristige Eintauchen in einen gewohnten Trott ist das Einzige, was irgendwie noch für lebendige Regung sorgt. So ergeht es auch Angela selbst, die als Uber-Chauffeurin Fahrgäste kutschiert, als Set-Driverin von Filmset zu Filmset rast und das Ganze noch mit einem Job als Casterin für eine Produktionsfirma verbindet, bei dem sie geeignete Darsteller zu Hause interviewt. Alles, was ihre Müdigkeit dabei noch in Grenzen hält, ist das energische Zermalmen von Kaugummi, die ständig dröhnende Musik, ein Bukarester Verkehr am Rande des Kollapses, die vielen Männer, die sie im Vorbeifahren anbrüllen und dabei Angelas eigenes vulgäres Mundwerk triggern, das dem ihren in nichts nachsteht, und der Instagram-Kanal, der bei jedem Halt mit einem Selfie-Video von Angela unter einem Andrew-Tate-Filter befüllt werden will, in dem sich die misogyne Sprache nur so überschlägt.

Heillose Affizierung

Ganz beiläufig blitzen dann noch Gespräche über Ceaușescu, den Holocaust, den Ukraine-Krieg oder Viktor Orban auf, und sogar Uwe Boll darf irgendwann mal einen Gruß ins Handy sprechen. Radu Jude hat seinen Film wieder mal mit ziemlich viel Beschissenem zugekleistert, und diesmal muss man das über fast drei Stunden lang ertragen. Das viele Kopfschütteln ist man ja schon gewöhnt in Judes Kino. Aber wenig empört man sich diesmal wirklich, und das vielleicht, gerade weil Jude nicht so abstrakt, abgedreht und dekonstruierend wie in Bad Luck Banging or Loony Porn (2021) vorgeht, sondern das Ganze an einen doch ziemlich realistischen Lebensentwurf im modernen Rumänien bindet. Aufmerksamkeits- und Gig-Ökonomie verschmelzen hier miteinander zum dramaturgischen Skelett der Hauptfigur. Weniger geht es also um das Vorführen der Abgründe, als darum, zu zeigen, dass sie tatsächlich in einem Individuum der Gesellschaft zusammenfließen. Und darum, dass die daraus entspringende Subjektivierung nicht mehr ist als der simple Reflex einer Anpassung, die ungefähr so zynisch ist wie der Titel von Judes Film.

Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt  lässt sich denn auch selbst heillos vom Stress affizieren, wechselt ständig die Formate, geht mal in den Insta-Modus, wenn Angela eines ihrer Videos macht, dann wieder auf irgendeinen Videocall. Und schneidet ständig in einen rumänischen Film von 1981 über eine Taxifahrerin gleichen Namens, zoomt an seine Bilder heran, verlangsamt ihn, bringt ihn zum Stehen, bemüht damit den Vergleich zu einem filmischen Bukarest von vor 40 Jahren, um den Blick für die Gegenwart zu schärfen. Judes Film, wie auch das Rumänien seiner Gegenwart offenbaren in dieser Parallele ein Konzentrationsvermögen, das sich am ehesten noch mit dem eines Twitter-Feeds vergleichen ließe. Der rumänische Regisseur ist diesmal so sprunghaft, dass er, als irgendwann mal die Rede von zahlreichen tödlichen Unfällen auf den Straßen Rumäniens ist, ca. fünf Minuten lang Aufnahmen von Trauerkreuzen aneinanderreiht. Und wenn man sich mal zwei Stunden auf das ständige Hin und Her eingelassen hat, glaubt, sich endlich daran gewöhnt zu haben, wartet in der letzten Stunde nur eine einzige statische Einstellung. Die freilich nicht weniger durcheinander und rastlos ist.

Ins Jetzt gebeamtes Bewusstsein

Jude zeigt den Rhythmus des modernenWorld Lebens, will ihn greif- und wahrnehmbar machen. Eintauchen aber soll man nicht. Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt will etwas zu Bewusstsein führen, nicht seine Zuschauer einlullen. Der Film leistet dagegen Widerstand, allein durch die billige Qualität seiner vor sich hinrauschenden Schwarzweiß-Bilder, durch die ständigen Eingriffe in sein Material, wenn der Ton ausfällt oder das Bild anhält. Damit entwickelt sich Judes Kino derzeit immer mehr zu einer Hässlichkeit, die nicht als lustiger Effekt, sondern aus einem Bewusstsein über die Sonderbarkeit seiner Gegenwart entsteht. Es ist deswegen eine schöne Idee, irgendwann Dorina Lazăr, die Hauptdarstellerin des Films von 1981 auftreten zu lassen. Fast regungslos sitzt sie im letzten Bild da, komplett überfordert vom Wirbel um sie herum, als wäre ihr Körper zwar gealtert, ihr Bewusstsein aber direkt ins Jahr 2023 gebeamt worden. So muss eine Zeitreisende aussehen, die Judes Kino mit einem Blick aus der Vergangenheit sieht. Die ganzen aktuellen Diskurse in  Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt könnte man so einer Person wohl noch nachträglich erklären, ihre Wahrnehmung der Gegenwart aber müsste man selbst durchlebt haben, um sie zu verstehen.

Den Film kann man bei MUBI streamen.

Ursprünglich erschienen am 13. August 2013.

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