Die weiße Krankheit – Kritik
Stream: Ein Virus, der zuerst in China aufgetreten ist, sich durchs Händeschütteln verbreitet und ältere Menschen gefährdet. Der tschechoslowakische Film Die weiße Krankheit (1937) evoziert aktuelle Schlagzeilen, nutzt die Seuche aber vor allem als Perspektive auf Krieg und Diktatur.

Ein Film über zwei Todesmaschinen. Zum einen gibt es einen Diktator, der sein Volk zum Krieg aufhetzt, gegen ein vermeintlich schwächeres Nachbarland. Zum anderen grassiert eine tödliche Krankheit mit dem Namen Morbus Chengi, die zunächst in einem chinesischen Krankenhaus nachgewiesen wurde und auch ansonsten sofort aktuelle Schlagzeilen evoziert: Morbus Chengi verbreitet sich über Körperkontakt – vor allem durchs Händeschütteln – und gefährdet ausschließlich Menschen im fortgeschrittenen Alter, ab 45 bis 50 Jahren. „Die Jungen sind mir wichtiger”, sagt der Diktator, auf diesen Umstand angesprochen. Die Jungen braucht er für seinen Krieg, sie sollen einen edlen, patriotischen Tod sterben anstatt langsam dahinzusiechen.
Pazifistischer Seuchenschutz

Das Land, in dem der Diktator herrscht, trägt im Film keinen Namen, ebensowenig wie dasjenige, gegen das sich seine Agitation richtet. Das ist auch nicht notwendig: Die weiße Krankheit (Bílá nemoc), die Verfilmung eines gleichnamigen Bühnenstücks von Karel Čapek, entstand im Jahr 1937, und absolut jede_r Zuschauer_in dürfte damals in dem Diktator Adolf Hitler erkannt haben, in den ihm zujubelnden Massen die Deutschen und in dem bedrohten kleineren Land das Produktionsland des Films, die Tschechoslowakei. Gerade einmal ein Jahr später besetzte Nazideutschland das Sudetenland, zwei Jahre später gelang dem jüdischen Regisseur und Hauptdarsteller des Films Hugo Haas die Flucht in die USA, wo er später als Charakterdarsteller und B-Movie-Auteur reüssierte.

Die politische Schlagrichtung von Die weiße Krankheit liegt auf der Hand (ebenso wie, rückblickend, die schmerzhafte Hilflosigkeit seiner humanistisch-pazifistischen Rhetorik). Nur, kann man sich fragen, was hat in einem Film über faschistische Aggression eine Seuche zu suchen? Tatsächlich besteht der Clou des Films im Verhältnis der beiden Todesmaschinen zueinander. Zu Filmbeginn laufen sie parallel nebeneinander her: Der Krieg rückt näher, die Seuche ist nicht zu stoppen. Aufeinander bezogen werden sie schließlich von einem Arzt: Doktor Galen (Haas, ein tragisch-trüber Schmerzensmann) hat ein Mittel gegen die Krankheit gefunden, aber er verabreicht es nur den Ärmsten der Armen, sperrt sich gegen einen massenhaften Einsatz in den Krankenhäusern des Landes – solange die Kriegsvorbereitungen weiterlaufen.
Dem Tod die Heroik nehmen

Galen verweigert sich einem Trade-off, der darauf hinausliefe, das Volk fit zu machen für den Tod. Diese Wendung sorgt dafür, dass die Seuche sich nicht auf eine politische Allegorie reduzieren lässt. Sie ist kein bloßes Äquivalent des Krieges (und es geht auch nicht nur darum, den Faschismus als eine Seuche zu kennzeichnen), vielmehr ist sie interessant gerade in ihrer Differenz zum Krieg. Die Seuche demaskiert den Tod, entkleidet ihn der Heroik. Er ist plötzlich nicht mehr kollektives Nationalschicksal, sondern betrifft Einzelne, schwache Individuen. Auch den engsten Umkreis des Diktators und schließlich, erwartungsgemäß, ihn selbst. In den Begegnungen von Galen und dem Herrscher findet der Film sein Zentrum.

Ein faszinierender, keineswegs runder Film. Politisch ist er nicht immer konsequent, das Ende ist zwar angemessen unversöhnlich, aber zwischendurch schleichen sich patriotische Töne ein. Die Herkunft von der Bühne merkt man ihm an, im Primat des allegorischen Plots über die Figuren, und auch in der minimalistischen, kammerspielartigen filmischen Form. Sowohl die Krankheit als auch der Krieg bleiben weitgehend abstrakt. Die Seuche manifestiert sich zunächst durch einen weißen, berührungsunempfindlichen Fleck auf der Haut, ein dem Reich archaischer Mythen entstammendes Vorzeichen eher denn ein medizinisches Symptom – was sich in Die weiße Krankheit auch dadurch ausdrückt, dass das Mal des Todes nie direkt ins Bild gerückt wird. Stets ist die Szene so eingerichtet, dass uns der direkte Anblick der unheilverkündenden Markierung erspart bleibt.

Der Krieg wiederum reduziert sich auf ein paar generisch montierte Paraden- und Schlachtengemälde – und auf die blank polierten Militärstiefel des Diktators, für die die Kamera eine eigenartige Obsession entwickelt. Einmal gibt es einen Schwenk von den Diktatorenstiefeln zu den Schuhen des Arztes. Gleich danach einen zweiten von der Körpermitte des Diktatoren zu der des Arztes und schließlich einen dritten, vom Kopf des einen zu dem des anderen. Schicht für Schicht werden sie verglichen, ohne dass der Film aus dem Vergleich ein Fazit ziehen würde.
Den Film kann man hier kostenlos ansehen.
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