Die Unerwünschten - Les Indesirables – Kritik

Im zweiten Teil seiner Banlieue-Trilogie dröselt Regisseur Ladj Ly den Klassenkampf an der Wohnfrage auf und setzt  Hoffnung auf die Politisierung seiner jungen Heldin. Im Mittelpunkt von Die Unerwünschten - Les Indésirables stehen ein Gebäude und eine jahrzehntelange systematische Ausgrenzung.

Eröffnet wird Die Unerwünschten - Les Indésirables aus den Lüften. Geschmeidig braust die Kamera auf einen Wohnkomplex zu, der aus mehreren länglichen, hässlichen Gebäuden besteht. Fast ein Dutzend solcher Gebäude zwängt sie – mit dem für Drohnenaufnahmen typischen, latent bedrohlichen Geräusch – in ihr Sichtfeld. Dicht an dicht zieren kleine Fenster die dreckigen Fassaden: Gucklöcher in Leben, die dort zusammengepfercht wurden; soziale Eingrenzung als soziale Ausgrenzung.

Das Viertel im fiktiven Montvilliers steht für jene Siedlungen, die von den 50er bis 70er Jahren in Frankreich erbaut wurden und mittlerweile verkommen sind. Würdig lässt es sich dort nicht leben; nicht einmal sterben, so erzählt es die quälend lange Sequenz, in der ein Sarg im engen und unbeleuchteten Treppenhaus heruntergetragen wird − es funktionieren weder der Aufzug noch das Licht. Man zuckt jedes Mal zusammen, wenn der Sarg trotz aller Vorsicht immer wieder an Wand oder Geländer stößt. Jeder Stoß ein Symbol für die strukturelle Gewalt, die sich in den individuellen Körper einschreibt. Zugleich erzählt der mühsame Gang herunter auch etwas von der Unmöglichkeit, die soziale Ausgrenzung, für die das Wohnen hier stellvertretend steht, zu überwinden: individuell, aber auch kollektiv. Dazu fehlt schlicht der politische Wille. Es sind eben, so der Titel, nicht alle erwünscht.

Die demokratischen Institutionen reclaimen

Wie aber mit dem Unerwünscht-Sein umgehen, wie seine Existenz unabhängig vom Wohlwollen anderer behaupten, wie sich überhaupt von fremden Wünschen anderer emanzipieren? Drei Wege zeigt Die Unerwünschten, etwas holzschnittartig, auf: den sich selbstverletzend anbiedernden stellvertretenden Bürgermeister Roger Roche (Steve Tientcheu), den gewaltbereiten jungen Blaz (Aristote Luyindula) − dessen Freundin ihn als „Schmalspur-Malcom X“ persifliert − und die mit politischem Selbstempowerment auftretende Haby (Anta Diaw), die beschlossen hat, für die Bürgermeisterwahlen zu kandidieren. Ly lässt wenig Zweifel daran aufkommen, welchen Weg er für den richtigen hält: Haby − und mit ihr die Politisierung und die Zurückeroberung des Selbstbewusstseins, dass die demokratischen Institutionen nicht nur jenen gehören, die sie in den Dienst ihrer Partikularinteressen zwingen − ist die Hoffnungsträgerin des Films.

An der Figur des stellvertretenden Bürgermeisters zeigt Ly dagegen auf, welchen Platz die herrschende Klasse jemandem zuzugesteht, der nicht aus ihren Reihen stammt. Roche, der selbst im Armutsviertel aufgewachsen ist, fungiert als Sprachrohr des Viertels, verleiht der Politik die nötige street credibility und Diversität, muss für dieses „Zugeständnis“ aber seine politischen Ambitionen kappen und als Sündenbock für die Korruptionsgeschichten anderer herhalten. In einer eindrücklichen Szene spielt er an Heiligabend den Weihnachtsmann für die Polizisten auf der Wache. Roche hat ihre Spielregeln akzeptiert: Wenn er sich verkleidet und verstellt, wenn er sich ihren Erwartungen fügt, den schmalen Platz ausfüllt, den man ihm zugesteht, wenn er sich für die Polizeikollegen zum Spektakel macht, dann, und nur dann, ist er erwünscht. Aber es ist ein schmaler Grat: Als Roche spontan anbietet, auch für die Kinder des Bürgermeisters den Weihnachtsmann zu spielen, gibt es eine nüchterne Absage: Das würde sie „verwirren“.

Blutender Koloss

Die Unerwünschten ist ein Film über die Kälte der herrschenden Klasse. Als es zu einem kleineren Brand in Gebäude 5 kommt, nutzt der neue Bürgermeister die Gelegenheit, um es noch an Heiligabend leeren zu lassen und sein Abrissvorhaben (in Wahrheit ein Säuberungsvorhaben, denn gerade die Großfamilien sollen keinen Wohnraum mehr in der Stadt finden) zu beschleunigen. In einer der gewaltvollsten Szenen des Films schmeißen die Bewohner ihr Hab und Gut aus den Fenstern, um es zu retten. Wieder erfasst die Drohnenkamera das Gebäude, das aus der Luft wie ein blutender Koloss wirkt, dem das Leben gewaltsam entrissen wird. „Bâtiment 5“ lautet der Originaltitel des Films (auf Deutsch „Gebäude 5“), und rückt damit die Bauten in den Mittelpunkt, an denen sich so viel ablesen lässt.

Neben der Frage, wie man sich politisch Gehör verschafft, zeigt Ly in einer Vielzahl kleiner Szenen auch, wie man sich auf dem begrenzten Raum – wörtlich und im übertragenen Sinn – einrichten kann, der einem gewährt wird. Vom illegalen Restaurant in einer Wohnung, das als wichtiger Treffpunkt im Viertel dient, über den Parkplatz, auf dem Autos repariert werden, bis hin zum Minivan, der flugs zum öffentlichen Verkehrsmittel umfunktioniert wird, wenn mal wieder gestreikt wird: Ly zeigt Menschen voller Solidarität und Ideenreichtum.

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