Die Nächte der Würgerin – Kritik

DVD: Eine steife Britin sieht sich mit dem Tier in sich konfrontiert und bricht aus der sexuellen und moralischen Repression der 50er Jahre aus. Die Nächte der Würgerin ist eine Entdeckung aus dem Nischenkino der frühen Neuzeit mit einer erotisch entfesselten Barbara Shelley.

1957 war ein Schwellenjahr in der Entwicklung des klassischen Horrorfilms; nach über einem Jahrzehnt der Stagnation fand das Genre zu einer Erneuerung – nahezu zeitgleich entstanden in britischen Studios die beiden Meilensteine Der Fluch des Dämonen (Night of the Demon) und Frankensteins Fluch (The Curse of Frankenstein), Höhepunkte nur einer ganzen Reihe weltweiter Produktionen, die frischen Wind in die verstaubten Totengrüfte brachten und von denen manche zu Unrecht der Vergessenheit anheimfielen: Ebenfalls aus England stammt der selten gezeigte Die Nächte der Würgerin (Cat Girl), gedreht von Alfred Shaughnessy – dessen einziger nennenswerter Regiefilm dies ist – nach einem Drehbuch von Roger Cormans Schwager Lou Rusoff (Die letzten Sieben / Day the World Ended, 1955) und im Wesentlichen eine Variation von Jacques Tourneurs und DeWitt Bodeens Klassiker Katzenmenschen (Cat People, 1942) mit interessanten Umdeutungen – während im älteren Film eine aus dem düsteren Osteuropa zugewanderte „Katzenfrau“ mit ihrer aggressiven Erotik die Beziehung eines keuschen amerikanischen Pärchens bedroht, zeigt die 50er-Jahre-Interpretation eine steife Britin als tragische Titelheldin, die sich mit einem Mal mit dem Tier in sich selbst konfrontiert sieht.

Eine Studie über Lykanthropie

Leonora Brandt (in der deutschen Fassung „Katherine“) hat einen Mann geheiratet, den sie nicht liebt und der sie schon kurz nach der Hochzeit mit ihrer besten Freundin betrügt. Ihr Herz schlägt noch immer für ihre Jugendliebe, den Psychiater Brian Marlowe, der jedoch selbst bereits vergeben ist und unerreichbares Objekt ihrer weiblichen Begierde wird. Leonora bleibt ein typisches weibliches Opfer der repressiven 50er Jahre, bis sie von ihrem scheinbar verrückten Onkel in das schreckliche Geheimnis der Familie Brandt eingeweiht wird: In ihrem Inneren lauert eine Bestie, die nach frischem Fleisch und Blut giert, verkörpert von einem Leoparden, den der Onkel als Haustier hält und der den Mordtrieb der Menschen auslebt. Als der Onkel stirbt, spürt Leonora dieselbe Veränderung und den Drang zu töten in sich selbst; ihr erstes Opfer wird ihr untreuer Ehemann, der im Koitus mit seiner Geliebten zerfleischt wird. Niemand glaubt der Verzweifelten indes, dass sie für seinen Tod verantwortlich, der Leopard eine Verkörperung ihres „zweiten Ichs“ ist. Während Leonora von Brian in ein Sanatorium eingewiesen wird, wächst in ihr die drängende Eifersucht auf Brians hübsche junge Frau Dorothy …

Mittelalter trifft Moderne in dieser Studie über (vielleicht eingebildete) Lykanthropie, wenn sich unterdrückte Triebe in einer Art animalischen Schizophrenie entladen. Der Ausbruch aus der sexuellen und moralischen Repression der „alten Zeiten“ bricht sich Bahn; von hier führt eine direkte Entwicklung über die Swinging Sixties zu den lüsternen Hammer-Vampirfilmen à la Draculas Hexenjagd (Twins of Evil) der 70er Jahre. Ganz besonders spannend wird dies durch die wunderbare Barbara Shelley in der Titelrolle – der Umbruch manifestiert sich in ihrer Verwandlung von der unterdrückten grauen Maus zur attraktiven, selbstbewusst aggressiven Frau, die auch deutlich in Kleidung und Erscheinung zum Ausdruck kommt: Zu Beginn hochgeschlossen zugeknöpft, am Ende im schwarzen Lackregenmantel, erscheint sie im Verlauf des Films immer verführerischer und erotisch entfesselter. Es ist der erste Auftritt Barbara Shelleys in einem solchen Sujet – immer wieder, nachfolgend etwa in Die brennenden Augen von Schloss Bartimore (The Gorgon, 1964) oder Blut für Dracula (Dracula, Prince of Darkness, 1966), bricht das Abgründige aus ihr hervor, in heftigem Kontrast zu ihrer so spröden, aristokratischen wie überirdisch schönen Erscheinung. Alles in allem eine kleine Entdeckung aus dem Nischenkino der frühen Neuzeit – stilistisch hingegen noch großteils der Vergangenheit verpflichtet; sogar die Musik besteht zu einem Teil aus Klammerpartien aus den 40er Jahren (vor allem Bernard Herrmanns Score zu Citizen Kane, 1941).

Ein Werwolf-Doppel

Die Veröffentlichung von Ostalgica bietet eine Art Werwolf-Doppel: Als Bonusfilm erhält man Milton M. Ginsbergs Horrorsatire The Werewolf of Washington von 1973, der das Thema damals um ein feinsinnig kritische Volte an der korrupten US-Gesellschaft der Nixon-Ära bereichert und heute auch eher Seltenheitswert hat. Es gibt ihn hier direkt von deutscher TV-Kopie in 4:3 und VHS-Qualität.

Der Hauptfilm zumindest hat eine recht gute (DVD-)Abtastung erfahren – angelegt an ein englisches Master wurde der Ton einer deutschen Filmkopie, die merklich in Gebrauch war. An einigen Fehlstellen sind Untertitel eingefügt – allerdings sind nicht alle Stellen, an denen in der deutschen Kopie Bilder fehlten, korrekt angelegt worden. Der deutsche Ton läuft also stellenweise asynchron, der englische O-Ton ist im Vergleich etwas zu leise. Die Synchronisation selbst wurde 1965 für den legendären Mercator-Verleih angefertigt und fasziniert durch ihre durchaus zeituntypische Flapsigkeit.

Dieser Text erschien erstmals in der Online-Ausgabe der Splatting Image; Wiederveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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