Die Liebhaberin – Kritik
Wer die Hüllen fallen lässt, lässt noch lange keine Konventionen fallen: Der österreichische Regisseur Lukas Valenta Rinner erkundet in Die Liebhaberin gesellschaftliche Nischen und fragt, wer eigentlich frei ist.

Die Liebhaberin beginnt nüchtern mit der Suche nach einer Haushälterin, einer schnell getakteten Abfolge von Vorstellungsgesprächen: Unerschütterlich starrt die Kamera auf den Bewerberstuhl und sieht zu, wie die Frauen einander ablösen. Die Einstellung suggeriert völlige Austauschbarkeit, das unsichtbare Gegenüber spricht immer wieder dieselben Worte. Unter den Bewerberinnen ist Belén (Iride Mockert) diejenige, die am wenigsten überzeugt: verschrecktes Gesicht, gekrümmte Schultern, gleichgültiger Tonfall; der Mangel an Engagement ist fast bemüht. Dann: Ellipse. In der nächsten Sequenz fährt Belén zu ihrer neuen Arbeitsstelle. Die Anfangssequenz liefert aber mehr als den Impuls, der Belén durch die Handlung schickt. Zum einen bricht sie mit unseren Genreerwartungen und liefert eine Vorahnung: das unbestimmte Gefühl, dass Belén seltsam ist und etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Sie ist aber auch die erste, wenngleich zaghafte Darstellung eines sozialen Raums in diesem Film, der zwei gesellschaftliche Nischen durch eine Hauptfigur erkunden lässt, die in keinen der beiden heimisch ist.
Nähe, die keine ist

Denn bevor Belén Neuland betritt, bekommen wir in Form der Bewerbungsgespräche eine flüchtige Vorstellung ihrer Lebenswirklichkeit. Die Vermittlerin fragt die Bewerberinnen, ob sie bereit wären, bei ihren Arbeitgebern zu wohnen, und die Beiläufigkeit der Frage sagt viel aus über das Ausmaß der Dienstbarkeit, die verlangt wird; die Unsichtbarkeit der Fragenden verschärft das ungünstige Kräfteverhältnis, nimmt ihr die Individualität und erhebt sie zum System. Ob das verschlossene und lustlose Gesicht von Belén eine Antwort auf soziale Ungerechtigkeit ist, sagt der Film nicht. Was und wen Belén zurücklässt, als sie als Haushälterin bei einer gut betuchten Familie einzieht, sagt er auch nicht. Er verweigert uns Einblicke in ihr Innenleben, ebenso wie er uns ihren Blick verweigert: Immer wieder ist die Kamera auf ihr Gesicht gerichtet, geht rückwärts, um ihr mit immergleichem Abstand zu folgen, in einer Nähe, die eigentlich keine ist. Denn weder sehen wir, was Belén sieht, noch zeichnet sich jemals auf ihrem Gesicht ab, dass das Gesehene etwas in ihr auslöst. Und auch die volle Wahrnehmung ihrer Bewegung im Raum wird uns verweigert, die gemeinsame Bewegung von Schauspieler und Kamera hat etwas von einem Auf-die-Stelle-Treten.

Belén also, die rätselhafte, undurchdringliche Frau ohne Vergangenheit und ohne Zukunft ist die Protagonistin, die der Film uns an die Seite stellt, um eine gated community am Rande der argentinischen Hauptstadt zu erkunden, eines dieser abgezäunten und abgesicherten Wohngebiete, die vielleicht die sichtbarste Form sozialer Grenzziehung darstellen. Die Liebhaberin dokumentiert nicht nur diese Art des Wohnens, sondern wirkt an der Konstruktion ihrer ästhetischen Erhabenheit mit. Der Film fängt den Wohnkomplex wie ein kunstvolles Arrangement ein, in starren Aufnahmen, deren Stillstand wie auf die Unverrückbarkeit der zu Stadtbau gewordenen Privilegien hinweist. Denn die gated community ist eine Welt des Stillstands und der Langsamkeit, abgeriegelt von einem Außen, das man feindlich gesinnt wähnt, aber auch vom Gehetze, von der Bewegung, der Menschenmenge. In der gated community werden die Menschen fast immer nur einzeln gezeigt, lose herumschweifend in den großzügig geschnittenen Räumen. Vielleicht ist das bebilderte soziale Abschottung, vielleicht auch eine Erinnerung daran, dass soziale Privilegien oftmals mit einer Herrschaft über den Raum einhergehen. Und schließlich ist die gated community eine Welt der Ordnung, eine Welt, in der man Freude hat am säuberlichen Ziehen klarer Grenzen: Überdeutlich ist die Anweisung der Hausherrin (Andrea Strenitz), die Tassen den richtigen Untertellern zuzuordnen.
Die Liebhaberin stellt Körper gegenüber

Als Belén eines Tages hinter dem elektrischen Zaun erst einen nackten Mann und dann ein ganzes Nudistencamp entdeckt, glaubt man zunächst an eine überspitzte Gegenüberstellung: Hier die steifen Reichen, die in ihren überdimensionierten Häusern vereinsamen und ihre Herrschaft bis in den Geschirrschrank hinein ausüben, wo Gleiches von Ungleichem getrennt werden muss; da die libertinen Nackten, die in Einklang leben mit der Natur und keine Ungleichheit kennen; hier die Gefangenen, da die Freien. Und tatsächlich wird Beléns Annäherung an die Nudistengemeinschaft wie eine Befreiung inszeniert, zuvörderst eine Befreiung des Körpers: Die gekrümmte Frau richtet sich auf, übt sich im aufrechten Gang; der Dutt wird gelöst, die Kleidung fällt: Als Belén zum ersten Mal nackt gezeigt wird, reinszeniert der Regisseur Botticellis Geburt der Venus und gibt uns unmissverständlich zu verstehen, dass seine Figur neu geboren wird. Die Kamera hört auf, dem verschreckten Gesicht auf die Pelle zu rücken, wir sehen nicht mehr die Welt auf Beléns Gesicht einprasseln, sondern wir sehen Belén in der Welt, als Teil von ihr. Die Liebhaberin stellt Körper gegenüber: Auf der einen Seite den erschöpften Körper, der gegen einen arbeitet (die Hausherrin, die Schlafstörungen hat); den zur Leistung getriebenen Körper, der schließlich auch versagt (der Sohn der Hausherrin, der Tennis spielt); auf der anderen Seite den befreiten Körper, frei von Kleidung, von Leistungsdruck, von Schönheitsnormen.

Das Interessante an diesem Film aber ist, dass er sich von der Nacktheit nicht beirren lässt, dass er mit dem Wegfall der Kleidung nicht auch den Wegfall sozialer Regeln annimmt; und dass er damit nicht so sehr die Unterschiede zwischen zwei Formen menschlicher Koexistenz ausschlachtet, sondern vielmehr zwei gesellschaftliche Nischen in ihren manchmal ähnlichen Funktionsweisen zeigt. Denn die Nudisten mögen zwar große Reden schwingen auf ihre Freiheit, sie legen sich aber auch allerlei Freiheitsbeschränkungen auf und beschränken im Übrigen auch die Freiheit anderer, etwa in der eindrücklichen Szene, in der nackt auf Papageie geschossen wird, weil sie eine Plage sind. Jedem seine Papageie – die Freien sucht man in diesem Film vergebens.
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