Die ewigen Momente der Maria Larsson – Kritik

Emanzipation mit der Fotokamera. Jan Troells Film blickt mit den Mitteln des Biopic auf politische und soziale Konflikte des beginnenden 20. Jahrhunderts.

Die ewigen Momente der Maria Larsson

Europa um die Jahrhundertwende. In den industrialisierten Gesellschaften beginnen Arbeiter sich zu solidarisieren und gegen Ausbeutung und schlechte Arbeitsbedingungen zu wehren. Das politisch-soziale Klima dieser Zeit ist aber nicht ausschließlich von der Konfliktlinie zwischen Arbeit und Kapital geprägt – traditionelle Familienbilder weichen auf, schleichend verliert die Religion ihre zentrale Stellung als gesellschaftliche Autorität, und auch klassische Geschlechterrollen sind – zumindest latent – im Wandel.

Die ewigen Momente der Maria Larsson

Das alles sind zwar tiefgreifende Umwälzungen, aber zugleich Prozesse, die Zeit brauchen, um sichtbar zu werden. Für einen Erzählfilm ist es nicht einfach, diesen langsamen Wandel zu zeigen, ohne ihn in eine starre historische Dramaturgie zu zwängen oder mithilfe vereinfachter Rollenkonflikte abzubilden und dabei die gesamte Komplexität des Stoffes auf schlichte Erklärungen zu reduzieren. Dem schwedischen Regisseur Jan Troell gelingt es aber, dieses Dilemma zu umgehen. Die ewigen Momente der Maria Larsson (Maria Larssons eviga ögonblick) balanciert zwischen Historiendrama und Biopic und funktioniert vor allem, weil er sich nicht zu viel vornimmt.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts steht Schweden in der Hochphase seiner Industrialisierung. Wie in weiten Teilen Europas, beginnt die Arbeiterbewegung auch hier – mitunter gewaltsam –, Arbeitskämpfe zu führen. Maria Larsson (Maria Heiskanen) interessiert das herzlich wenig. Sie hat andere Sorgen: Ihr Mann Sigfrid (Mikael Persbrandt) ist Gelegenheitsarbeiter am Hafen. Ein Trunkenbold zwar, aber ein sympathischer. Allerdings auch, weil Sigfrid weite Teile seines unregelmäßigen Lohns in die Hafenkneipen trägt, muss die Großfamilie jeden Öre zweimal umdrehen. Als es einmal besonders knapp ist, kommt Maria auf die Idee, ihre unbenutzte Fotokamera, einen Lotteriegewinn, in einem Fachgeschäft zu Geld zu machen. Doch anstatt Maria die Kamera günstig abzukaufen, überredet sie der Inhaber Sebastian Pedersen (Jesper Christensen), den Apparat zu behalten. Maria entdeckt so ihre Leidenschaft für die Fotografie. Zuerst macht sie ihre Bilder im Verborgenen, dann porträtiert sie gegen geringes Entgelt Menschen aus dem ganzen Stadtviertel, und später verkauft sie Aufnahmen an die örtliche Zeitung.

Die ewigen Momente der Maria Larsson

Die ewigen Momente, das sind die Momente, die Maria Larsson mit ihrer Contessa auf die Fotoplatte schreibt, zum Beispiel wenn sie das verstorbene Kind einer Nachbarin im Sarg fotografiert und die Nachbarskinder, die ihr dabei verstohlen durchs Fenster zusehen, gleich mit. Sozialrealistische Porträts, die allerdings noch das ausstrahlen, was Walter Benjamin in seinem Kunstwerkaufsatz als „Aura“ bezeichnet.

Mit Marias Erfolg kommt ihr Mann Sigfrid aber ebenso wenig zurecht wie mit ihrer beruflichen und zunehmend auch privaten Nähe zum Fotografen Pedersen. Während sich der mehr bekennende als überzeugte Kommunist politisch progressiv gibt, sieht er durch die breite Anerkennung, die seiner Frau zuteil wird, seine eigene Autorität als Familienoberhaupt in Gefahr.

Die ewigen Momente der Maria Larsson

Regisseur Jan Troell reduziert den grobschlächtigen Hafenarbeiter aber – und das gilt für alle wichtigen Figuren des Films – gerade nicht auf seine Funktion innerhalb der Erzählung. Sigfrid ist vielmehr eine lebendige Metapher für verschiedene Wertehorizonte, die zwar nicht richtig zusammenpassen, sich aber innerhalb der Gesellschaft dennoch auf allen Ebenen überlagern und miteinander kollidieren. Und obwohl Die ewigen Momente der Maria Larsson eine Emanzipationsgeschichte erzählt, ist auch die Protagonistin nicht in erster Linie Frau, sondern ein Charakter, der jenseits stereotyper Rollenbilder ganz eigene Wege geht.

Inszeniert ist das Ganze sehr schlicht. Ausgeblichene Farben und klare Bildkompositionen verhindern ein visuelles Abgleiten in nostalgisches Schwelgen und rücken die Geschichte und deren Subtext ins Zentrum des Films. Die Kommentare von Maria Larssons Tochter Maja aus dem Off verbinden die chronologisch angeordneten Abschnitte und verschiedenen Handlungsstränge zu einem klassischen Erzählfilm.

Die ewigen Momente der Maria Larsson

Neben den Stärken der Biographie zeichnet den Film vor allem aus, dass er seine Figuren sehr behutsam und differenziert in ihrem politisch-gesellschaftlichen Umfeld verortet. Die ewigen Momente der Maria Larsson bietet so Einblicke in eine wichtige Epoche europäischer Geschichte, ohne sich dabei mit eindeutigen Zuschreibungen und monokausalen Erklärungen zu belasten. Alle Aussagen über die Gesellschaft sind an die Einzigartigkeit der Geschichte rückgebunden. Was über sie hinausgeht, wird nur angedeutet und muss vom Publikum selbst freigelegt werden.

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Kommentare


Ingeborg Laengsfeld

Tiefe des Gefühls,langsame Zeit der(für) Wahrnehmung,historische Bildästhetik,schmerzhafter Wandel der Geschlechterrollen,psychoanalytische Betrachtungsweise von männlichem Narzissmus und weiblichen Schuldgefühlen,alle Komponenten ohne Sentimentalität fein ausbalanciert und durch deren fließende Mischung Intelligenz, Bauchgefühl und Kunstgenuss der Sinne ansprechend, die nachhaltige Faszination der vollkommenen Einheit von Wahrheit und Schönheit ausübend...






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