Diamantino – Kritik
Neu auf MUBI: Ein Film, so verrückt wie die Gegenwart. Fußballstar Diamantino soll für Portugal den Austritt aus der EU ermöglichen, doch er trägt zu viel Empathie in sich. Auf dem Fußballfeld sieht er gigantische Hündchen in rosa Wolken.

Diamantino ist nicht Ronaldo. Nicht in diesen Worten, aber so ungefähr klingt der Disclaimer am Anfang des Films. Die Bilder strafen den Hinweis auf die Zufälligkeit aller Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen Lügen. Schauspieler Carloto Cotta, den man vor allem aus Miguel Gomes’ Tabu (2012) und 1001 Nacht (2015) kennt, ist kaum wiederzuerkennen, denn er hat sich in eine ziemlich überzeugende Imitation von Ronaldo verwandelt, vor allem in seinen Gesten und Gesichtsausdrücken. Und das, obwohl es Diamantino, diesem Meta-Film zu Portugal, Wirtschaftskrise, Rechtspopulismus, Steuerflucht, Fußball und Startum, gar nicht so sehr um Imitation geht.
Von einem Kuriosum zum nächsten

Die satirische Überzeichnung, die mit der Figur des weltbekanntesten Fußballers ihren Ausgang nimmt, visiert vielmehr die Entkernung der zeitgenössischen Welterfahrung an. Sie muss dafür, wie das so ist, erstmal gar nicht weit von der Wirklichkeit beginnen. Diamantino behauptet von der Fußball-WM 2018 in Russland Bilder zu liefern, und schon in diesen ersten Szenen ist die Verunsicherung zentrales Gestaltungsmittel: Die Aufnahmen wirken wie eine Mischung aus digitalem Fernsehmitschnitt, abstrahiertem Computerspiel und einem stylishen Kinofilm. Ein bisschen trifft das auf den gesamten Film zu, schon allein, weil die digitalen Effekte, die sich regelmäßig allzu deutlich auf die Einstellungen legen, wie aus einer Sci-Fi-Serie der 1990er wirken. Doch dann bricht schon nach wenigen Minuten das Instant-Ikonische hinein, und es wird klar: 2018 ist eine Allusion auf 2016, das EM-Endspiel, das wie wenige andere alle Stärken eines großen Kinodramas in sich vereinte.

Diamantino am Boden, er weint. Nicht nur in der Wirklichkeit, auch im Film wird dieses Bild zu einem Internet-Meme, doch darum geht es nur am Rande. Viel wichtiger ist nämlich, dass Diamantino das Fußballspiel verliert, weil er keine rosa Wolken und Riesen-Hündchen mehr sieht. Das amerikanisch-portugiesische Regieduo Gabriel Abrantes und Daniel Schmidt, das mit Diamantino sein Spielfilmdebüt vorlegt, nutzt Einfälle wie diesen als Verfügungsmasse und wechselt ungeniert von einem Kuriosum zum nächsten. Doch die rosa Wolken und Riesen-Hündchen, sie sind das Urmotiv, das für den Fußballer, dessen Wahrnehmung beim Spielen sie nachzuempfinden behaupten, so wichtig ist. Es geht dabei weniger um ein Verständnis seiner Psyche als um ein Ernstnehmen seiner eigenwilligen Sicht auf die Dinge, denn als dumm wird er noch schnell und oft genug dargestellt.
Gefallen finden an Inkonsistenz

Der Plot von Diamantino hat etwas von einer Gangsterkomödie: Weil der Protagonist mit seiner Yacht einem Flüchtlingsboot begegnet, entscheidet er sich, einen Flüchtling zu adoptieren. Die schwarze Geheimagentin/Steuerfahnderin Aisha (Cleo Tavares) gibt sich daraufhin als Junge aus Mosambik aus, um bei ihm undercover in Sachen Geldwäsche und Steuerflucht zu ermitteln. Die wahren Schuldigen, seine zwei Schwestern, Zwillingskarikaturen, suchen derweil nach einer Möglichkeit, noch mehr Geld mit ihm zu machen, und verkaufen ihn für medizinische Versuche, mit dem Zweck, ihn zu klonen, für das Wohl eines nationalistischen Portugals. Was davon nun im Mittelpunkt steht, ist schwer zu sagen, weil die Regisseure, die auch das Drehbuch verfasst haben, an Inkonsistenz viel Gefallen finden. Mit der Beziehung zwischen Adoptivvater und Fakeflüchtling schält sich in der zweiten Hälfte aber durchaus ein Erzählstrang heraus, der besonders schön absurd-produktiv ist.
Eine Triggerrevue

Über Ronaldo, diesen mythisch überhöhten, stählernen, stolzen, nahbaren, omnipräsenten, beinahe kindlichen Star, der alle physischen Attribute mitbringt und doch gerade sexuell ungreifbar bleibt, weiß Diamantino trotz all seiner abgefahrenen und exaltierten Perspektivwechsel bestens Bescheid. Vermutlich ist der Film ohnehin sehr viel weniger chaotisch, als er wirkt. Denn auch wenn seine dramaturgische Verfassung für eine gewisse großherzige Naivität spricht, sind die medialen Bezüge und politischen Marker auf explizite Weise scharfgestellt. Daran ändert nichts, dass sie kaum einmal wirklich losschießen als Satire, die sich nämlich ihrer Absichten nicht zu vergewissern braucht und sich nicht erklären will. Und sich im Triggern von Assoziationen besser gefällt als im Festbeißen.

Im Moment der Filmerfahrung selbst lässt diese Triggerrevue allerdings nie ganz vergessen, dass der Film um einen Protagonisten herum aufgebaut ist, der nicht nur Phänomen ist, sondern auch Mittelpunkt einer Erzählung. Und um als solcher auch zu einer Figur mit Eigenheiten und Intentionen zu werden, bräuchte es mehr als nur Erkenntnisse von (medialen) Blicken auf ihn. Vielleicht ist es das, was das Regieduo am Schluss nachholt, wenn das Voice-over von Diamantino wieder einsetzt und Traum-Kino-Kinder-Welten aufblitzen für den vor Empathie strotzenden Fußballer. Die rosa Wolken waren lange schon verflogen, die Yacht hatte längst keine Anziehung mehr ausgestrahlt, und das Mann-Kind drohte sich zunehmend in jemand anderen zu verwandeln – und so hatte sich tatsächlich ein Mangel eingeschlichen, weil die Entkernung der Weltwahrnehmung Diamantino doch irgendwie treffen muss: Denn in der Wirklichkeit, egal wie bitter sie zugespitzt wird, kann dieser Star nicht leben. Wir auch nicht, im Übrigen. Aber dafür haben wir ja das Kino.
Hier kann man den Film streamen.
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