Devil's Knot – Im Schatten der Wahrheit – Kritik
Das Drama als Täuschungsmanöver: Atom Egoyan und die unmögliche Suche nach Wahrheit.

Die wahre Geschichte des Justizskandals um die sogenannten West Memphis Three zu verfilmen, nachdem sich bereits mehrere Dokumentarfilme dem ohnehin schon dramatischen Stoff angenommen haben, das erscheint für einen stets nach eher metaphysischen Herausforderungen suchenden Filmemacher wie Atom Egoyan doch zunächst ungewöhnlich. Andererseits lässt der grausame Mord an drei Kindern und seine Wirkung auf die soziale Struktur einer Kleinstadt schnell an Egoyans Erfolg Das süße Jenseits (The Sweet Hereafter, 1997) denken, in dem es ebenfalls um tote Kinder und trauernde Erwachsene ging. War das zentrale Ereignis dort jedoch ein Unfall, geht es hier um ein Verbrechen, und so verlagert sich Devil’s Knot auch zunehmend von den elterlichen Wohnzimmern in den Gerichtssaal, nähert sich dem Kern der unglaublichen Begebenheit: Drei unschuldige Teenager wurden zu Haftstrafen und in einem Fall zum Tode verurteilt, wobei ihre Faszination für dunkle Musik und Kleidung einigen Ermittlern als ausreichender Schuldbeweis erschien, um alternativen Spuren gar nicht erst nachzugehen. Erst seit 2011 sind die Beschuldigten nach 18 Jahren in Haft wieder auf freiem Fuß, allerdings wurden sie offiziell niemals freigesprochen.
Es geht also um Wahrheit und Skepsis, und auch Egoyans Werk ist geprägt von einer tiefen Skepsis gegenüber objektiven Wahrheiten, schon die für seine Filme typische Bildsprache legt Zeugnis davon ab. Selten bleibt die Kamera von Paul Sarossy stehen, sie gleitet über die Körper und Flächen, tastet die Figuren eher ab, als sie zu beurteilen, dekonstruiert das scheinbar Evidente. Doch waren die Handlungen von Egoyans anderen Filmen noch ausgedacht, erschwert die Dramatisierung eines realen Falls diesen Ansatz doch merklich, können wir die unglaubliche Geschichte der West Memphis Three tatsächlich kaum ausblenden.
Dieses Mitdenken der wahren Begebenheit ist Segen und Fluch zugleich. Zunächst ist Devil’s Knot auf den Realitätsbezug angewiesen, weil er als bloßer Spielfilm kaum funktioniert: Zu klischeebeladen ist die Südstaaten-Gemeinde porträtiert, zu einfach die dramatische Ausstaffierung, zu flach gezeichnet die wichtigsten Charaktere. Nun war Egoyan nie ein Regisseur komplexer Figuren und einer realistischen Erzählweise, ebenso wenig ein begnadeter Drehbuchautor. In den besten seiner Filme, die oft auf Romanvorlagen beruhen, ergaben sich die Tiefenwirkungen immer aus der Gesamtkonstellation, aus der behutsamen Konstruktion eines vielschichtigen Raumes, in denen die Personen mehr Zeichen denn Figuren waren, nicht von ihren Traumata zu trennen, in denen Abwesenheiten so viel aussagten wie das Sichtbare, Antworten nur neue Fragen aufwarfen.

Der Grat, auf dem Egoyan sich schon in diesen Filmen bewegte, war dabei stets schmal, Tiefgründigkeit und Banalität lagen manchmal eng beieinander. Dazu trugen die oft allzu deutlichen Dialoge ebenso bei wie die wenig zurückhaltende Filmmusik von Stammkomponist Mychael Danna. In Devil’s Knot schwingt das Pendel bedrohlich in Richtung überdeutliches Melodram und scheint dort festgehalten zu werden, im trauernden Gesicht Reese Witherspoons, in den allzu bekannten Gerichtsverhandlungen, in den ästhetisierten Erinnerungen an die ermordeten Kinder.
Doch bei dieser Diagnose stehenzubleiben, würde einem selbst in seinem Scheitern noch äußerst interessanten Regisseur nicht gerecht. Denn auch hier bleibt Egoyan zwei Grundmotiven treu: der nicht rückgängig zu machenden Vergangenheit und dem nicht zugänglichen Ereignis. Und Letzteres bestimmt schließlich die Bewegung, die Devil’s Knot im zweiten Teil vollführt, in dem auch die ungewohnt linear-chronologische Erzählweise der Anfangssequenzen aufgebrochen wird, die Widersprüche des Gerichtsfalls nun auch filmisch betont werden, sich zumindest in Ansätzen die Desorientierung einstellt, die wir gewohnt sind. Denn so konventionell die Gerichtsverhandlung auch gezeigt wird, sie verläuft nicht in Richtung Wahrheit. Mindestens drei alternative Schuldige können zwischendurch ausgemacht werden, keine Möglichkeit erscheint viel (un)wahrscheinlicher als die andere, alle werden im Film nicht zu Ende gedacht. Was Egoyan in erster Line problematisiert, sind nicht die Fehler von Polizei und Justiz – selbst wenn diese unmissverständlich angeklagt werden –, sondern das Bedürfnis nach Erklärung und Einordnung, nach der Ruhe der eindeutigen Antworten. Das Ereignis selbst – ob das Busunglück in Das süße Jenseits, der Mord in Wahre Lügen (Where the Truth Lies, 2005), der Seitensprung in Chloe (2009), sogar der Genozid an den Armeniern in Ararat (2002) – ist stets nur vermittelt zugänglich, auch in Devil’s Knot nicht zuletzt durch die massenmediale Aufbereitung des Mordfalls, an der einige trauernde Eltern mit Freude teilhaben.

Egoyans Held ist denn auch nicht der klassische Aufdecker, sondern ein überzeugter Zweifler. Privatdetektiv Ron Lax (Colin Firth) gerät an den Fall nicht, weil er uneingeschränkt an die Unschuld der Teenager glaubt, sondern weil er ihre Bestrafung verhindern will. Er weiß nicht die Wahrheit, er bezweifelt nur eine Wahrheit. Und mehr noch als Plädoyer gegen Todesstrafe und US-Justizsystem ist Devil’s Knot Plädoyer für diese Art von Skepsis. So enttäuschend der Film als Dramatisierung einer wahren Begebenheit also ist, so konsequent ist er in dem, was er versucht. Dass dieser Versuch scheitert, scheitern muss, liegt am spannungsreichen Verhältnis zur Authentizität des Materials. Egoyan dekonstruiert so wild, legt so viele neue Spuren, spielt gar mit dem Gedanken einer willentlichen Verschwörung, dass wir immer wieder auf die wahre Begebenheit zurückgeworfen werden, den Film abgleichen wollen mit der Realität, gar nicht anders können, als genau die Frage zu stellen, deren vorschnelle Beantwortung fast zum Tod eines 18-Jährigen geführt hätte. Mit der Konstruktion eines klassischen Whodunit und der Verweigerung seiner Auflösung zwingt uns Egoyan die Suche nach Wahrheit auf, die er selbst problematisiert. Was aber, wenn es genau darum ging?
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