Der Wald in mir – Kritik
Minimalistisch, leicht und leise: Sebastian Fritzschs Der Wald in mir ist eine sorgfältige und berührende, maus- und marderhafte Studie über die Entwicklung eines Studenten zu einem Wahrnehmer von Tieren, Stimmen und Geräuschen. Besondere Highlights: das eigenwillige Schauspiel des Hauptdarstellers und die superbe Tonspur.

Schon im ersten Bild von Sebastian Fritzschs Der Wald in mir ist alles drin: Die Großaufnahme eines Mausepfötchens bringt einem nah, von welch unendlicher Zierlichkeit und Schönheit so eine kleine Konstruktion doch ist. Und sie ist auch noch lebendig! Jan (Leonard Scheicher) steht mit seinen Kommilitonen in einem Labor in grauer deutscher Tristesse vor dem unfassbaren Wunderwerk. Jeder soll so eine Maus zur Operation fixieren. Aber Jan kommt nicht weg über sein Mitleid. Als er mit seiner Mitstudentin Alice (Lia von Blarer) das Tier aussetzt, ist Alice skeptisch, ob diese x-te Generation einer Labormaus weiß, wie sie sich in der Natur verhalten soll. Doch da flitzt sie schon in die Freiheit und verschwindet im Gebüsch.
Eines Tages wird man auch Jan fixieren, aus ärztlich-wissenschaftlicher Routine und aus hilfloser Angst um ihn, weil er nur noch weglaufen und sich im Wald verstecken will. Etwas macht ihn ängstlich und nervös. Man versteht zu wenig von Menschen wie ihm und Mäusen.
Jan spricht wenig. Vielleicht findet er es oft nicht nötig. Und da ist etwas in seinem Inneren, das ihn ablenkt; er findet dafür keine Worte. Es macht ihn scheu und etwas anders als man es gewohnt ist. Schon dieses geringe Maß an Anderssein kann ein Problem werden, wenn z. B. Beruf oder Liebesbeziehung eine präzisere Anpassung verlangen.
Wie man im Wald küsst
Mit Waldbewohnern ist es leichter. In Jans Terrarium zuhause lebt eine schlanke Natter, und im Wald, wo er oft hingeht, sind noch mehr Tiere, die ihn faszinieren. Er verschmilzt wie ein Kind mit ihrer Welt und ihren Stimmen, die er sehr hübsch und überraschend authentisch nachmacht.

Eine Sache, die er dort lernt − und die sein auch sonst formidabler Darsteller fein und eigenwillig hinkriegt − ist die wilde und ungewöhnliche Art, zärtlich und körperlich interessiert zu sein. So wenn er z. B. die fein gewundene Tierhöhle von Alices Ohrmuschel untersucht und beim Küssen leise knurrt, wie ein putziger, aber auch bissiger Marder oder Fuchs. Alice spielt freudig mit. Wie sich die beiden umklammern und herumwälzen in den Blättern und ihren Schatten, und wie er wittert und alles nach der Nase tut: Der ganze Körper ist ein erregtes, feinfühliges, wachsames Schnüffeln und Schnuppern. Auch Alice ist dann wie nicht von dieser Welt und ganz in seinem Element. Ich hoffe, die beiden Schauspieler müssen ab jetzt in jedem Film so küssen.
So weit, so gut, beinah. Doch dann geschieht etwas mit Jan. Vielleicht weil zu viel Neues, Aufwühlendes passiert, Examen, Deadlines, Alice…
„Der muss in die Klinik“
Es beginnt mit einer winzigen Verschiebung der Wahrnehmung. Wie ein Riegel, der gelöst wird. Es kommen Dinge durch die Sinne in ihn hinein, die ihm vorher nicht auffielen.

Zunächst sind es fast unmerkliche, übertriebene Klangwahrnehmungen. Jan hört mehr und mehr Geräusche in der Luft, zuerst nur zart und wispernd. Ein Reichtum von Klängen (großes Lob für die Tonspur), aber ohne erkennbare Quelle. Sie ziehen seine Aufmerksamkeit auf sich; er wirkt äußerlich abwesend, aber drinnen ist unheimlich was los. Die Töne entwickeln sich zu einem nicht abschaltbaren Hörspiel – bzw. einem in Jans Dasein geblendeten Film, denn mittlerweile sieht er die sprechenden Geister sogar. Sie stehen in seinem Zimmer, reden über ihn und geben ihm selbstbewusst alltagsbanale Ratschläge wie: „Ich trinke viel Tee. Das sollte er auch tun“, und: „Der muss in die Klinik.“
„Wo willst du hin?“, fragt Alice, verängstigt von seiner Entwicklung. Das normal „Menschliche“ geht immer mehr verloren, und die Medikamente, die er widerwillig eine Zeit lang nimmt, scheinen die Klänge fieser und schwindelerregender zu machen.
Jan geht in den Wald. Es ist eine schöne Szene dort, nachts mit den anderen Bewohnern und ihren Geräuschen. Er bleckt die Zähne, schnuppert am Gras. Das instinktive Nicht-mehr-denken- Können/Wollen sieht so hingegeben aus; Jan gießt sich da hinein wie in eine Flüssigkeit. Auf einer Wiese beschnuppern ihn großköpfige, schwarze Wollrind-Urviecher, wie sanfte, verzauberte Märchenwesen.
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