Der menschliche Faktor – Kritik

PR für eine rechte Partei und ein Einbruch im Ferienhaus: Ronnie Trocker beobachtet eine Familie, die sich langsam selbst demontiert. Der menschliche Faktor wechselt gekonnt die Perspektiven, hält seine Figuren aber doch außer Reichweite.

Die Geräusche sind immer die gleichen: In einem abgelegenen Ferienhaus schlägt eine Tür, ein erschrockener Aufschrei, hastige Schritte die Treppe herunter. Später besteht Mutter Nina (Sabine Timotheo) vor dem Polizisten darauf: Da waren Einbrecher im Haus. In dem Moment springt die Handlung in die Vergangenheit, wechselt den Blickwinkel. Zuerst zu Vater Jan (Mark Waschke), der im Moment des Einbruchs vor dem Haus telefoniert, dann zu Tochter Emma im Bad (Jule Hermann) und zu Sohn Max (Wanja Valentin Kube) im Kinderzimmer. Durch die vielen Zeitsprünge und Perspektivwechsel hat der Film mehr als nur ein Aroma von Rashomon (1950). Im Gegensatz zu Kurosawas Klassiker liegt hier das Interesse aber weniger in der Auflösung eines Mysteriums. Das Ereignis bietet vielmehr den Einstiegspunkt in das fragmentierte Porträt einer Familie, die sich langsam selbst demontiert.

Schrecken der Freiheit

Jan und Nina leiten zusammen eine erfolgreiche PR-Agentur. Durch ihre Arbeit können sie sich ein unaufgeregtes Leben leisten. Mit ihren Kindern leben sie in einer weitläufigen Innenstadtwohnung, von der aus sie den Automatismen ihres Alltags nachgehen. Nur das Dröhnen der Straßenbahn durch die Fenster ihres Esszimmers deutet anfangs auf ein Draußen hin, das in ihre sichere Blase eindringen möchte. Als Jan hinter Ninas Rücken einen PR-Deal mit einer rechtspopulistischen Partei abschließt, gerät ihre Ehe in Schieflage. Nina überlegt, aus der Agentur auszusteigen – weniger aus politischer Überzeugung denn aus persönlicher Kränkung. Um immerhin den Familiensegen wieder herzustellen, entscheidet sich die Familie für ein Wochenende in ihrem Ferienhaus am Meer. Am ersten Abend passiert es dann: Eine Tür schlägt, ein erschrockener Schrei, hastige Schritte auf der Treppe...

Mit dem Einbruch kitzelt Regisseur Ronnie Trocker eine menschliche Grundangst: den Verlust der Sicherheit in den eigenen vier Wänden. Er verschwendet keine Zeit, diese Angst vom Einzelfall auf eine gesellschaftliche Ebene anzuheben. Der Polizist, der den Tatbestand aufnimmt, schreibt den Einbrechern pauschal eine ausländische Herkunft zu. Die politische Partei, deren Wahlkampagne Jan leiten möchte, schürt die Angst vor einer Überfremdung, um Stimmen zu sammeln. Die Zusammenarbeit mit der Partei wird publik gemacht, Farbbomben fliegen gegen die Fassade der Agentur. Bald steht die Frage im Raum, ob der Einbruch etwas mit der Kampagne zu tun haben könnte. Jan und Nina bewegen sich in ihren selbst gezogenen Grenzen, um dem Netz an Verantwortungen zu entkommen, das ihre Freiheit mit sich bringen würde. Jetzt aber steht das Tor offen, und die Außenwelt dringt ein.

Neblige Blicke

Der menschliche Faktor baut konkrete Themen wie Rassismus und politische Radikalisierung zu einem Rahmen für ein bewusst enigmatisches Familiendrama. Jeder Erzählsprung schärft die Skizze einer Familie, die zwar sich und die Welt wahrnimmt, eine Teilhabe darin aber verlernt hat. Wie im Halbschlaf bewegen sie sich durch die leeren Räume ihres Ferienhauses und die nebligen Hochhausschluchten des Ferienortes. Gerade Sabine Timotheo fasziniert als Nina, die sich mit nebligem Blick immer irgendwie in eine andere Dimension zu wünschen scheint.

Trocker hält sich damit zurück, die Taten der Figuren zu psychologisieren, fügt ihr Verhalten manchmal erst später in einen Kontext oder lässt es gänzlich für sich stehen. Der menschliche Faktor nimmt stark subjektive Blickwinkel ein, lässt aber die Figuren paradoxerweise stets eine Armeslänge außer Reichweite. Er erkauft sich seine Komplexität mit einer gewissen emotionalen Unnahbarkeit. Dem Drama zu folgen, fühlt sich dadurch mitunter an, als blättere man nüchtern durch eine ungeordnete Fallakte.

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