Der letzte Mieter – Kritik
Der letzte Mieter ist ein deutscher Thriller über Gentrifizierung und Wohnungsräumung, der von einer reaktionären Falle in die nächste tappt.

Zwölf Minuten braucht der Film, um sein manichäisches Weltbild zu etablieren: Auf der einen Seite gibt es den waschechten Berliner, Tobias Heine (Matthias Ziesing), seines Zeichens Klempner, mit dicken, schwieligen Fingern, fröhlichem Bäuchlein und vertrauenswürdigem Gesicht. Auf der anderen Seite die Zugezogenen mit schwäbischem Zungenschlag und Kindern, die nur noch Englisch sprechen, mit schicken Wohnungen und teurem Interieur, das vor schmutzigen Handwerkerhänden geschützt werden muss. Protagonist Tobias ist auf Tour, geht seinem Job nach, wartet Heizungen und Toiletten, und überall springt ihm von den ganzen Yuppies nur Verachtung entgegen. Während er den Frust und die Häme in sich hineinfrisst, ziehen an seinen Autoscheiben mal Flaschensammler vorbei, mal Touristen in Massen, mal heruntergekommene besetzte Häuser, mal neue, gläserne Luxusapartments. Als Tobias schließlich vor einem abrissfertigen Haus hält, um dem Vater (Wolfgang Packhäuser) seine Herztabletten vorbeizubringen, der Film also so richtig anfangen kann, ist das komplexe Problem der Gentrifizierung auf eine Schwarz-Weiß-Schablone reduziert.
Der emotionale Wert selbstgebauter Bäder

Vater Heine soll aus seiner Wohnung raus, das Gebäude ist längst verkauft, die Bauarbeiten sind im vollen Gange, überall pocht und klopft es dumpf. Wie im Mutterleib wummern die Geräusche in diesem Film, dunkel und wattig ist der Sound, dunkel und blau ist das Licht. Für Dietmar, den Vater, ist das hier seine Heimat „und deine übrigens auch!“, wie er dem Sohn an den Kopf wirft. Der ist ihm eine Enttäuschung, weil er kapituliert hat vor den Raffkes, die ihm diese Bruchbude wegnehmen wollen. Dass sich der alte Dietmar so sehr auf ein solches Loch kapriziert, kann der Film nur durch den emotionalen Wert motivieren, den selbstgebaute Bäder und mit Kinderhänden in Wände eingeritzte Namenszüge haben.

Mark Franke (Moritz Heidelbach), so heißt der nun auf den Plan tretende Bösewicht, ist hager, hat einen listigen Blick und eine markant gekrümmte Nase. Obwohl er dort eigentlich nichts mehr zu suchen hat, ist er ausgerechnet am Tag der Räumung in Dietmars Wohnung zugegen. Der verdrängte Mieter ist aufgebracht, schimpft den fadenscheinigen Unternehmer einen „gierigen, kleinen Pisser“ und seinen eigenen Sohn einen „Schisser“. Der wiegelt ab, man könne nichts tun gegen die, drei Jahre hat man es versucht und – Atmo-Stopp, entsetzte Gesichter – er arbeite schließlich für diese Leute, ja, die Heizungen der Lofts nebenan hat er gemacht. Endlich zieht sich der Vater tobend in die Küche zurück, die Situation scheint beruhigt, da hört man einen Knall: Der Vater hat sich erschossen, und das „Geiseldrama-Kammerspiel“ beginnt.
Das Böse spielt Verstecken

Dieser Eigenbezeichnung wird der Film auch vollauf gerecht, seine Tricks und Mittelchen scheinen einem Lehrbuch entnommen, sind bestens geeignet, um Spannung und Schrecken zu erzeugen. Gleichzeitig vermitteln sie aber auch eine Weltsicht. Durchweg schiefe Aufnahmewinkel, wackelige Kamera: Was einmal in Ordnung war, gerät jetzt aus den Fugen. Häufige Bodennähe, mal Untersicht, mal Aufsicht: Es gibt hier solche mit Macht und solche ohne Macht. Dauernde Unschärfe und Refokussierung: Das Böse spielt Verstecken, es lauert einem auf. Der letzte Mieter ist ein Film nach Schema, der Form nach und dem Inhalt nach, und die platte autoritäre Fantasie, die sich nun entspinnt, folgt logisch aus seinen Prämissen.

Im Affekt zieht Tobias dem Makler eins mit der Waffe über, mit der sich sein Vater zuvor erschossen hat, und als dann eine bei der Räumung assistierende Polizistin (Pegah Ferydoni) misstrauisch wird, gibt es für ihn kein Zurück mehr: Er muss Schirin, eine unwahrscheinlich liebenswürdige Uniformierte, wohl oder übel überwältigen. So hält er schließlich wider Willen zwei Menschen in Geiselhaft und sich sieht bald von Spezialkommandos belagert. In einer Reihe von eher weniger überzeugenden Volten erweist sich Franke als skrupelloser Geschäftemacher, dessen illegalen Plänen Vater Dietmar auf die Schliche gekommen war. Offenbar kann der Film Immobilienspekulanten nur als Verbrecher imaginieren, so als ob das eigentliche Problem nicht sei, dass man eben nicht zum Gesetzesbrecher werden muss, will man um des Profites willen die Existenzgrundlage zahlloser Menschen zerstören.
Der einfache Mann hat keine Chance

Die Vergeltung, die Tobias im Sinne führt, läuft denn daher auch auf die Verurteilung des Übeltäters durch ebenjenes Gesetz hinaus, das in Wirklichkeit seinen Subjekten ein Recht auf selbstbestimmtes Wohnen de facto verweigert. Ein Gesetz, als dessen Hüterin auch Schirin bestellt ist, die daher konsequenterweise beginnt, Tobias’ Hass auf den Wucherer Franke zu teilen. Der kriege „den Hals nicht voll, kassiert Kohle für nichts“, erklärt Tobias – ehrliche Arbeit auf der einen Seite, unproduktives Finanzkapital auf der anderen. Schließlich erweist sich die Besitzerin des Hauses, gar des ganzen Straßenzuges auch noch als Frankes Mutter, ihr geänderter Nachname hatte diese Entdeckung zunächst verhindert.

So wird zur wichtigsten Lektion des Filmes, dass der einfache Mann keine Chance hat gegen die Maskeradenspiele und die Seilschaften einer Finanzelite, in der untereinander auch noch alle versippt sind. Für ihn bleibt nur die von Hoffnung auf das natürliche Bündnis mit der Staatsgewalt, deren Erfüllung aber von skrupellosen Mächten verhindert wird. Dabei enthielte Der letzte Mieter durchaus den Keim einer Geschichte, in der sich Menschen unterschiedlicher Herkunft ihrer gemeinsamen Interessen bewusst werden. In der sich das liberale mit dem migrantischen und dem proletarischen Großstädtertum zusammentut, um gemeinsam eine Stadt zu erkämpfen, die für seine Bewohner und nicht für den Profit da ist. Die politische Perspektive dieses Films aber ist nicht der Wunsch nach Lofts für alle, sondern nach der Sprengung aller Lofts. Nicht nach der Humanisierung des Gesetzes, sondern nach seinem harten Durchgreifen gegen seine Feinde.
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